Japan – Großmeister der Bürokratie

Axel Brennicke


Editorial

(11.11.2012) Ewige Meckerer gibt es immer. Einige von ihnen geben nicht auf und sterben einfach nicht aus. Und immer sind die anderen schuld.

Besonders beliebt, weil sehr ergiebig, ist bei den Meckerern die Bürokratie. Sie maulen herum, bloß weil sie als Wissenschaftler für die Uni-Verwaltung Nachweise aller früheren Beschäftigungen im öffentlichen Dienst bringen müssen, damit die Bürokratie überprüfen kann, ob bei der neuen Einstellung nicht das Maximum von zwölf Jahren im Dienst für den Steuerzahler überschritten wird. Diese Grenze von zwölf Jahren wurde eingeführt, weil klar ist, dass ein Wissenschaftler nicht länger als diese Dutzend Jahre produktiv und konstruktiv an der Uni wirken kann. Schließlich ist offensichtlich, dass ein Wissenschaftler nach dieser Zeit ausgebrannt, fertig und erledigt ist. Danach kann man ihn nur noch als überqualifizierten Arbeitslosen beschäftigen oder er sucht sich etwas ganz anderes.

Der Mauler beschwert sich, bloß weil die Uni-Bürokratie die zwölf Jahre zählen will, obwohl er auf einem DFG-Projekt beschäftigt wird, für das diese Regelung überhaupt nicht gilt. Macht nichts, sagt die Bürokratie, dann machen wir‘s einfach geltend. Und wenn nicht, zählen wir trotzdem. Schließlich ist es ein grundlegendes Prinzip der Bürokratie, dass sie sich und alle anderen mit unsinnigen Dingen beschäftigt, nur damit alle was zu tun haben.

Editorial

Wer mault, ist bestimmt schon länger als ein Dutzend Jahre dabei. Die zweite Grundlage der Bürokratie ist das Misstrauen. Das Misstrauen den Nichtbürokraten gegenüber, allen Menschen, die irgendetwas schaffen oder produzieren, das man nicht hinter Aktendeckel verschwinden lassen kann. Deshalb ist es auch ganz normal, dass die Uni-Bürokratie sich von Instituten und Direktoren und diversen anderen Menschen bestätigen lässt, dass ein Vortrag gehalten wurde, bevor der geehrte Gast aus dem Ausland sein Eisenbahnticket in der vierten Klasse erstattet bekommt. Und so ist es ganz normal, dass aus Misstrauen kein Bargeld herumgereicht wird, sondern der Gast lange vor dem eigentlichen Vortragstermin seine Kontonummer herausrücken muss, damit lange nach diesem Tag die Bürokratie exakt das Eisenbahnticket erstatten kann. Und das Zimmer im Bahnhofsviertel.

Was gibt es da zu meckern? Misstrauen ist gesund. Immer das Schlechteste zu vermuten, schärft die Aufmerksamkeit und hebt die Stimmung. Warum manche immer noch maulen, kann wohl nur daran liegen, dass die deutsche Bürokratie noch lange nicht ausgefeilt genug ist. Insbesondere die Universitätsbürokratie könnte noch sehr viel umständlicher und ineffektiver werden, kann noch sehr viel lernen – am einfachsten, indem sie sich anschaut, wie es andere machen.

Zu den Großmeistern der Bürokratie gehört Japan. Schauen wir uns einmal als Musterbeispiel an, wie ein ausgereiftes Misstrauenssystem, wie die Universitätsbürokratie in Japan, einem Gast die Unkosten erstattet.

(Da es leider doch immer wieder den einen oder anderen bei uns gibt, der das flüssige Lesen einschlägiger Schriften schon wieder vergessen hat, und ich es nie gelernt habe, hier einige Erklärungen der abgebildeten Abrechnung, soweit ich sie behalten habe:)

Der Haupttext der Abrechnung über Reisekosten – Stopp, falsch formuliert: der Bestätigung, dass Reisekosten für einen Besucher abgerechnet werden können – ist eigentlich relativ uninteressant. Oben sehen Sie, dass jemand von der Moleculare Botanik der Ulm University an dieser Universität in Japan war. Weiterhin können Sie einige Zahlen lesen, die sagen, dass diese Person vom 2.4. 2012 bis zum 3.4. 2012 als Gast an dieser Universität war. Lassen Sie sich nicht verwirren durch Zahlen in der dritten Reihe von oben, dort ist als Jahreszahl 24 angegeben, die japanische Zählweise für den 2.4. im Jahr 24 der Herrschaft des derzeitigen Kaisers.

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Sie können kein Japanisch? Axel Brennicke reiste von Ulm nach München (Theresienwiese) und zurück; Zweck: Oktoberfest; Verbrauch: 5 x 1l Bier; Name des Dekans: Maximilian, einladender Prof: Ludwig II.

Da es nur eine Abrechnungsbestätigung ist, sehen Sie auch keine Zahlen in Euro, Dollar oder Yen, sondern lediglich die Angaben, dass ein Zug von einer Stadt bis zur nächsten und zurück benutzt wurde, und dass eine Übernachtung für den Gast zur Verfügung gestellt werden soll.

Wirklich interessant wird‘s bei den roten Stempeln am rechten Rand. Diese Stempel sind Unterschriften. Da jeder dieser Unterzeichner unendlich viele solcher Formulare unterschreiben muss, ist man in Japan dazu übergegangen, Unterschriftsstempel zu benutzen, um das Ganze effizienter zu gestalten und nebenbei die Handgelenke zu schonen (wahrscheinlich haben die japanischen Krankenkassen darauf bestanden, dass Stempel rechtsgültig sind).

Mit dem ersten Stempel ganz oben bestätigt der Dekan, dass dieses Formular gültig ist. Mit dem zweiten Stempel bestätigt die Verwaltung, dass der Dekan das Formular abgestempelt hat. Als dritter unterzeichnet der Assistent des Dekans, dass dieses Formular von der Verwaltung zurückgekommen ist und nun an die Verwaltungsabteilung der Kasse der Universität weitergeleitet wird.

In der Doppelreihe bestätigt in der linken Spalte oben der Chef der Kassenverwaltung der Universität, dass dieses Formular bisher ordnungsgemäß abgestempelt wurde und weiterlaufen kann. Die vier Stempel darunter sind vier verschiedene Personen, die in der Kasse irgendetwas abgeschrieben, fotokopiert und in andere Formulare umgefüllt haben und dieses jeweils bescheinigen.

Der letzte Stempel ganz unten in dieser Reihe ist wiederum der Chef der Verwaltung, der bestätigt, dass die vier Mitarbeiter darüber alle ordnungsgemäß unterschrieben haben.

In der rechten Spalte überprüft die Verwaltungsabteilung des Controlling, dass die Kassenverwaltung dieses Formular richtig abgestempelt hat. Davon ist der oberste Stempel wieder der Chef, darunter kommen vier weitere Mitarbeiter der Abteilung, die jeweils bestätigen, dass sie dieses Formular in ihren Fingern hatten.

Links unten neben dieser Doppelspalte bestätigt der Institutsdirektor, dass dieses Geld aus dem Institutsetat – also aus seinem Etat – genommen werden soll. Darunter bestätigt der einladende Professor, dass er dieses Formular gesehen hat und dass er und der Zettel den Rundlauf durch die diversen Verwaltungsabteilungen erfolgreich absolviert haben.

Oben auf dem Formular gibt es noch eine Post-it-Notiz, die bestätigt, dass dies eine Geschäftsreise und keine private Reise war, die im Geschäftsjahr 24 abzurechnen ist. Leider hab ich vergessen, wer dies dort aufgeklebt hat, aber ich glaube, das ist nicht so entscheidend.

Zum guten Schluss gibt es noch einen Stempel in der Mitte des Formulars oben direkt unter dem M von Moleculare Botanik. Dies ist der Stempel des eingeladenen Gastes aus Ulm. Wenn Sie also nach Japan reisen und Sie dort zu einem Vortrag an einer Universität eingeladen werden, so müssen Sie unbedingt einen Unterschriftsstempel mitbringen, in dem Ihre Unterschrift in einem Kreis als Rundstempel mit roter Tinte gestempelt werden kann. Nur dann haben Sie die Möglichkeit, die japanische Bürokratie davon zu überzeugen, dass Sie da waren und dass Ihr Gastgeber Ihnen die Unkosten für Hotel und Anreise erstattet.

An diesem Beispiel kann die deutsche Universitätsbürokratie nur lernen. Bei uns ist alles viel zu einfach, viel zu wenige Leute kontrollieren viel zu wenig andere. Wir könnten locker Vollbeschäftigung erreichen, wenn wir von den Meistern der Bürokratie lernen würden und einfach einige zusätzliche Stationen und Unterschriften für Formulare bei uns einführten.

Ich will aber natürlich nicht meckern, unsere Bürokratie ist in diesem Sinne ja auch nicht schlecht. Schließlich bemüht sie sich redlich, ihr Misstrauen zu päppeln und zusätzliche Kontrollen und Unterschriftsmöglichkeiten zu erfinden oder weiter zu entwickeln. Nur zu!