Der Rechnungshof verrechnet

Axel Brennicke


Editorial

(20.12.2012) Der Rechnungshof des Landes Baden- Württemberg möchte sich gern vergrößern. Wie jede bürokratische Einheit. Die beste Strategie dazu ist eine Erweiterung der Kompetenzen. Die einfachste Möglichkeit sind mehr Kleinheiten. An die verschleuderten Millionen von Steuergeldern kommt der Rechnungshof sowieso nicht. Erfundene Zahlen für Bahnhöfe und Flughäfen sind nie schuld. Nie falsch, niemand lügt. Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem Geld der Steuerzahler überprüft ein Rechnungshof lieber nicht im Großen, das könnte peinlich werden.

Der Wachstumsbranche Rechnungshof bleibt als Expansionsraum also nur noch, nicht mehr nur Mittelgroßes wie ganze Finanzämter, Landesanstalten oder Universitäten anzugucken, sondern jedem halben Cent hinterher zu jagen.

Kleinigkeiten angucken ist die Zukunft. Euphemistisch zieht eine neue Gründlichkeit und Sorgfalt ein. Konsequent versucht der Rechnungshof im ersten Schritt, einzelne Institute zu prüfen. Zur Probe und Übung eines an der Universität Ulm.

Bloß welches? Na, was meinen Sie? Richtig, die Uni-Verwaltung hat die Molekulare Botanik vorgeschlagen – „mein“ Institut. Als einziges an der ganzen Universität. Dazu den Botanischen Garten. Und sie hatte damit Erfolg.

Editorial

Bei dem Wort Rechnungshof denkt man erst mal an Ärmelschoner und Bleistift hinterm Ohr. Aber nein, da sitzen nette Menschen, ehrlich interessiert. Zumindest scheinbar. Klar, sie haben keine Ahnung, was Forschung und Lehre sind. Zumindest am Anfang. Das ist ja auch okay. Ich verstehe auch nichts von Rechnungshöfen und -wesen. Die menschlichen Prüfer vor Ort stehen aber massiv unter dem Druck, irgendetwas zu finden. Bevorzugt Verschwendung von Geldern. Irgendetwas, das man einsparen kann.

Leider sind bei uns alle Papiere und Rechnungen super-top in Ordnung, es gibt nichts, womit der Aufwand zu rechtfertigen wäre. Unsere Buchführung ist auch besser als die in der Zentral-Verwaltung der Uni – der Rechnungshof fragt zuerst uns, wenn die Dokumentation unklar ist. Da sie in der Verwaltung unklar bleibt; und von dort verwirrend mit täglich anderen Daten kommt. Wir wissen besser, auf welchen vier Landesstellen mit welcher Nummer bei uns im Institut Menschen ausgebeutet werden, als die Unizentrale. Die haben ja auch viel mehr solcher Zahlen zu organisieren.

Also, was kann man sparen, fragt die Hierarchie oben im Rechnungshof. Sie fragt das die Prüfer unten, vor Ort, am Flöz.

Das meiste Geld sind ja die Drittmittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Zum Glück gibt es die. Da spart das Land alles, kostet nichts. Man könnte mich entlassen, dann könnte sich das Land auch mein Gehalt sparen. Nun hat man aber schon zwei von vier W3-Professuren in der Botanik eingespart, und das schon seit ein paar Jahren, da geht nicht mehr viel. Sonst gern. Sehr gern. Der große Wurf der beamteten Sparfüchse: Man könnte, statt die maroden kleinen Gewächshäuser in der Molekularen Botanik zu reparieren und zu isolieren, die Pflanzen im Botanischen Garten anziehen. Dafür ist der ja schließlich da. Und Pflanze ist Pflanze, das sollten die Profis im Garten hinkriegen. Und der Botanische Garten ist nur wenig über einen Kilometer frische Luft entfernt. Für eine wohlgenährte und gut trainierte Pflanze keine Entfernung.

Die Empfehlung – oder ist es ein Befehl? – des Rechnungshofs: die maroden Gewächshäuser in der Molekularen Botanik abreißen. Nachdem schon vor ein paar Jahren das Bauamt von Land und Uni etwa 370.000 Euro für den Abriss und einen kleineren, gut isolierten Neubau errechnet hatte, hatte die Molekulare Botanik für ebendies einen eigenen Kostenvoranschlag einer professionellen Firma eingeholt: um die 155.000 Euro. Aber solcherlei wird von der Uni prinzipiell abgelehnt – bei Sachen, die uns angehen, ist das ja auch kein Wunder, oder? Vernunft hin oder her.

Der Rechnungshof meint, wenn man das Gewächshaus nicht beheizen müsse, könnte man Heizkosten sparen. Das klingt durchaus vernünftig, und wir fragen uns, wieso da noch niemand sonst drauf gekommen ist. Wie viel die Uni damit allerdings einsparen könnte, weiß niemand. Heißwasserzähler waren vor 40 Jahren, beim Bau des Gewächshauses, kein Thema. Außerdem kosten diese Zähler auch Geld, lohnen sich mithin gar nicht.

Wird das Gewächshaus nicht mehr beheizt, müssen da durchgeführte Wasserund Kühlleitungen umgebaut und woanders gelegt werden. Das organisiert die Uni im Schnellverfahren. Dafür ist plötzlich Geld da. Wie viel das kostet, weiß ebenfalls niemand. Vergleich mit den Heizkosten? Fehlanzeige. Kosten-Nutzen-Rechnung so was braucht die Uni nicht. Hauptsache sie kann dem Obersparer Rechnungshof mit Kotau mitteilen, Yessir, Befehl befolgt.“ Vernunft? Nix in Sicht.

Der Rechnungshof berechnet also frei von Daten – und die Uni kuscht. Sehr gern sogar. Seit zehn Jahren will sie die Gewächshäuser der Molekularen Botanik wegnehmen, sollen die blöden Forscher und Lehrer, die den Unibetrieb ohnehin nur stören, für Untersuchungen von Stress ihre Arabidopsen und anderes Grünzeug durch Eis und Schnee schleppen. Seit zehn Jahren schreibe ich für die Molekulare Botanik regelmäßig Briefe an die wechselnden Kanzler/ innen und Rektoren/Präsidenten, dass das nicht geht. Eben wegen der Forschung und der Lehre.

Jetzt endlich jubelt die Uni, sie kuscht gern, der Rechnungshof fordert den Abriss der Gewächshäuser in der Molekularen Botanik. Auf wessen Vorschlag wohl? Nun, wir wollen nicht spekulieren, nicht ohne Daten.

Immerhin konnten wir den Prüfern vom Rechnungshof klar machen, dass ein Praktikum der Pflanzenphysiologie mit lebenden Pflanzen im Sommersemester geschickter wäre, als so wie jetzt im Wintersemester. Da kuscht die Uni aber nicht, die Verlagerung aus dem Wintersemester ins Sommersemester gehe nicht, sagt sie.

Früher war das anders, bis zur Einführung des Bachelor of Science (B.Sc.) fand das Pflanzenphys-Praktikum immer im Sommer statt. Pflanzen wachsen im Frühjahr nun mal einfach besser als zu Weihnachten. Mäuse dagegen sind immer da.

Wird jetzt unser Gewächshaus abgeschaltet, müssten wir jede Woche die tropischen Mimosa pudica (auch bekannt als „Schamhafte Sinnpflanze“) über einen Kilometer aus dem Botanischen Garten durch Eis und Schnee schleppen, und das so vorsichtig, dass die Blätter danach noch leben und für die Studenten die Messungen der elektrischen Impulse noch funktionieren.

Aber vorher noch die Anzucht: Der Botanische Garten sagt zu Recht, das gehe nicht, keine Leute. Stimmt, dort wurden auch Stellen gestrichen. Aber nicht die Arbeit. Sieht jeder, dass die Mannschaft dort voll ausgelastet ist – eher überlastet als im Pausenstress. Das hat sogar der Rechnungshof gemerkt und fordert, dass einige Aufgaben des Gartens abgespeckt werden sollen. Wohl auch, um dann weiter zu kürzen.

Klar ist jedenfalls, dass der Botanische Garten nicht zusätzlich für die Studenten die Versuchspflanzen anziehen kann. Konsequent verlangt nun der Rechnungshof, dass der Botanische Garten genau dies tut, also zusätzlich Pflanzen für die Lehre hegt und pflegt.

Da im Pflanzengarten niemand Zeit hat, sollen wir jeden Tag zum Ansäen und Wässern von Bohnen, Spinat (tiefgefrorener Rahmspinat geht leider nicht), Buchweizen und so weiter dort hin laufen. Und dann die zarten Pflänzchen durch -10 °C frisch und munter den Studenten auf den Labortisch bringen.

Apropos Studenten: 80 Biologen-Lehrlinge wollen einen halben Tag pro Woche bespielt und mit Grünfutter versorgt werden. Das ist eine Menge Grünzeug, das pünktlich reif sein muss. Für die Isolierung von grünen und gelben Farben dürfen die Pflanzen nicht vorher schlappmachen, sie müssen knackig frisch sein. Bohnengelenke dürfen nicht steif gefroren daherkommen, sondern müssen biegsam und in einem bestimmten Wachstum und Alter sein, damit die Studenten sie vermessen können. Da wollen viele ausgesät werden, damit am Dienstag genau die richtigen Größen dabei sind. Dazu müssen wir jeden Tag vorsichtig gießen und aussuchen. Aus vielen Pflänzchen. Mindestens einmal am Tag nachgucken. Jeweils durch frischen Herbstwind und Wintersturm laufen.

Das soll Kosten sparen?

Von der Forschung haben wir noch gar nicht geredet: Zu dem einzigen für die empfindlichen Mutanten von Arabidopsis thaliana noch brauchbaren Raum, nämlich der vor 15 Jahren mit Geld des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und der DFG gebauten Klimakammer, müssen wir durch die Gewächshäuser der Molekularen Botanik gehen. Wenn die jetzt nur noch -10 °C haben, ist der Durchgang dort eine mächtig coole Sache. Es sind zwar nur zehn Meter bis ins Labor, aber Schock ist Schock, sagen die Blümchen. Die schlappen Mutanten sagen gar nichts mehr.

Solche Maßnahmen können sich nur Nicht-Biologen und Nicht-Gärtner ausdenken. Leute, bei denen sogar ein Ficus benjamina im Büro vor lauter Sparmaßnahmen die Grätsche macht. Leute, die eine Pflanze nur in Form von Din-A4-Zellulose gut finden. Das ist so, als ob der Gärtner den Lehrplan für Mathe in der zwölften Klasse prüft und mit grüner Tinte korrigiert. Oder der Germanist dem Installateur erklärt, was ein Flansch ist.

Apropos Fachleute: Im Rechnungshof arbeiten Spezialisten. Die kennen sich aus mit Bürokratie. Damit sie Forschung und Lehre besser verstehen, muss ganz einfach mehr Bürokratie her. Unzumutbar, dass an der Uni noch irgendjemand Zeit für Forschung und Lehre haben will. So verlangt der Rechnungshof, dass die Ableistung der Lehre erst einmal vernünftig bürokratisiert wird. Es könnte ja sein, dass ein pfiffiger Hochschullehrer seine neun Stunden Lehrverpflichtung nicht vollständig schafft, sondern delegieren muss, weil er sonst keine Zeit für die dringend notwendige Bürokratie hat. Also soll ab sofort in vielen Verzeichnissen, Ordnern und Unterordnern für einen Bürokraten nachvollziehbar dokumentiert werden, wer an der Uni welche Nummer im Vorlesungsverzeichnis unterrichtet. Ob die Personen und Gelder für die vernünftige Durchführung von Praktika ausreichen, ob die Voraussetzungen für frische Pflanzen zerstört werden, darum geht es nicht. Viel wichtiger ist es, dass wir soviel Zeit für die Dokumentation der Lehrverpflichtungen aufwenden müssen, dass keine Zeit mehr bleibt für Vorlesungen und Praktika, geschweige denn eine anständige Vorbereitung.

Ob eine Institution wie der Rechnungshof lernen kann, dass die Expertise der Bürokratie und deren Büroherrscher-Spezialisten das Wesen und die Effizienz der Forschung kaum fassen können?

Dass der Forschungsalltag niemals in Begriffe für Schubladen, Akten und Ordner gepresst werden kann? Denn, wenn das geht, ist es keine Forschung mehr. So lässt sich Effizienz von Forschung nicht messen. Man kann nicht einfach sagen, dieses Experiment ging schief, das verschwendet Geld, deshalb sind solche Experimente in Zukunft zu unterlassen.

No, Sir.

Was aber sollen wir tun? Praktikum theoretisch mit Bildern statt mit Pflanzen durchführen? Ist irgendwie kein Praktikum mehr.