Arbeitszeitberegelung

Axel Brennicke


Editorial

(13.05.2013) „Die Arbeitsschutzvorschriften, insbesondere des Arbeitszeitgesetzes [...] müssen aber in allen Fällen eingehalten werden. Die Verantwortung für die Einhaltung dieser Regelungen liegt beim Arbeitgeber. Die direkten Vorgesetzten sind daher angewiesen, bei den ihnen unterstellten Beschäftigten die Einhaltung der Regelungen zu überwachen und Verstöße ggf. anzuzeigen. Auch freiwillig geleistete Arbeit entgegen dieser Vorschriften darf nicht geduldet werden. Verstöße gegen Arbeitsschutzvorschriften können als Ordnungswidrigkeiten, u.U. auch als Straftaten geahndet werden.“

O-Ton aus dem Rundschreiben Nr. 2/2013 meiner Universität. Tut mir leid, schon wieder ein Rundschreiben, mit dem ich Sie heute belästigen muss. Ja, muss! Der Inhalt dieses Schreibens ist nämlich äußerst brisant, vor allem für die direkten Vorgesetzten. Das heißt für jede Person an der Universität, die irgendjemandem vorgesetzt ist, also für jeden Arbeitsgruppenleiter, jeden Prof, vor allem solchen mit Leitungsfunktion. Gefängnisstrafen deuten sich in zwei Problembereichen an.

Für den ersten benötigen Sie noch Informationen aus dem ersten und den ganzen zweiten Satz dieses Rundschreibens: „[...] gilt an der Universität für alle Beschäftigten [...] die Dienstvereinbarungsarbeitszeit [...] grundsätzlich können hiernach die Beschäftigten ihren Dienst beginnen und das Dienst ende im Rahmen der Regelungen zur gleitenden Arbeitszeit selbst bestimmen.“ Das ist ja sehr schön und auch nur vernünftig. Problematisch ist aber, dass die direkten Vorgesetzten nun angewiesen werden, die Einhaltung dieser Regelungen zu überwachen. Und Verstöße anzuzeigen. Dafür ist in jedem Fall eine genaue Dokumentation erforderlich, die Überwachung muss in unserem Staat rechtlich korrekt ablaufen. Das heißt, ich muss für alle Beschäftigten am Institut für Molekulare Botanik Listen führen, wann sie zur Arbeit angetreten sind und wann sie wieder gehen. Das können sie im Rahmen der Rahmenzeit machen, die in der „Dienstvereinbarung über die Arbeitszeit zwischen der Dienststelle der Universität Ulm und dem Personalrat der Universität Ulm“ vereinbart wurde. Dort steht unter Rahmenzeit: „Der auf die Arbeitszeit anrechenbare Zeitraum beginnt um 6.00 Uhr und endet um 20.00 Uhr.“

Editorial

Das Problem dabei ist nicht, dass ich da sein muss, bevor die ersten Mitarbeiter mit der Arbeit beginnen, also vor 6:00 Uhr morgens, und noch da sein muss, wenn die letzten aus dem Institut wieder hinaus gleiten, also nach 20:00 Uhr nachmittags. Ein Problem ist das für meine Vorgesetzten, die mich überwachen und dafür Sorge zu tragen haben, dass ich nicht freiwillig Arbeit entgegen dieser Vorschriften leiste. Also zum Beispiel, dass ich nicht etwa von 6:00 Uhr bis 20:00 Uhr 14 Stunden oder mehr am Institut bin, um zu kontrollieren oder gar zu arbeiten.

Das Problem ist, dass ich mit diesen Listen der hier vorgeschriebenen Dokumentation so beschäftigt sein werde, dass ich fürchten muss, meine anderen Dienstaufgaben, nämlich Forschung und Lehre, sowie die Selbstverwaltung, das heißt das Beantworten von unsinnigen Anfragen und Zumutungen der Universitätsverwaltung, nicht mehr ordnungsgemäß in vollem Umfang erfüllen kann.

Man könnte meinen, dass die Uni sich dieses Problems bewusst ist. Immerhin hat sie vor sechs Jahren, anno 2007, vertraglich festgestellt: „Dienststelle und Personalrat sind sich einig, die Arbeitszeit einschließlich der Pausen mittelfristig durch Zeiterfassungsgeräte erfassen zu lassen. Solange Zeiterfassungsgeräte aufgrund fehlender finanzieller Mittel nicht installiert sind, haben Beschäftigte, die an der gleitenden Arbeitszeit teilnehmen, ihre Anwesenheitszeit täglich manuell oder elektronisch in einem Zeiterfassungsbogen aufzuzeichnen. Die Beschäftigten [...] legen den Zeiterfassungsbogen [...] dem oder der Vorgesetzten zur Kenntnisnahme vor. [...] Die Zeiterfassungsbögen sind bei der oder dem jeweiligen Vorgesetzten oder einer von ihm oder ihr benannten Person für zwei Jahre aufzubewahren.“

Natürlich gibt es hier keine Zeiterfassungsgeräte. Die kosten ja Geld. Aufgrund fehlender finanzieller Mittel ist es dementsprechend auch kein Wunder, dass ich in Papier ertrinke. Mein Stundenlohn ist offensichtlich deutlich niedriger als ein paar Zeiterfassungsgeräte, ich habe ja auch sonst nichts zu tun. Und ob an einer Universität noch Forschung oder Lehre gemacht werden, ist ja sowieso nebensächlich. Hauptsache, die Kreisläufe interner Verwaltungsangelegenheiten laufen und alle Kontrollmöglichkeiten werden ausgeschöpft. Solange sich Papier ansammelt, dass bearbeitet werden kann, sollten doch alle zufrieden sein und nicht rummaulen.

Das zweite Problem ist ein eher spezielles für eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern. Dies betrifft die Doktoranden, die in den Naturwissenschaften generell den ganzen Tag im Labor stehen oder am Rechner sitzen und dafür meist mit einer sogenannten Doktorandenstelle entlohnt werden. Diese soll ihnen die Miete für einen Schlafplatz, die gelegentliche Pizzabestellung und das Fahrgeld ins Labor an der Universität bezahlen. Wenn die Eltern der Tochter ihren alten Wagen geschenkt haben, muss die Stelle noch die Parkgebühren an der Uni liefern. In den Ingenieurwissenschaften ist das kein Problem, dort ist eine Stelle eine Vollzeitstelle als wissenschaftlicher Angestellter. In den Naturwissenschaften aber braucht eine Doktorandin nur eine halbe Stelle einer wissenschaftlichen Angestellten. Das heißt aber, dass eine Doktorandin in den Naturwissenschaften nur von 8:00 Uhr bis 12:00 Uhr morgens arbeiten darf, dann muss ich sie nach Hause schicken. Das hätte den Vorteil, dass ich nicht solange warten muss, bis auch die letzte Doktorandin nach einem lockeren 10- bis 11-Stunden-Tag das letzte Gel fertig geladen hat, das dann über Nacht allein und ohne Aufsicht arbeitet bzw. läuft.

Und wie das Rundschreiben bei Androhung von Einstufung als Straftat richtig fordert, muss ich auch dieses persönlich überwachen. Eine Stechuhr funktioniert hier überhaupt nicht. Ich habe keinerlei Zweifel, dass die DoktorandInnen so pfiffig sind, dass sie sich alle, oder einer für alle, um 12:00 Uhr ausstempeln, wenn sie in die Mensa gehen. Und dass sie alle nach dem opulenten Mahl dort noch einmal die gleiche Arbeitszeit eines halben Arbeitstages illegalerweise im Labor verbringen. Ich fürchte, wenn ich zwanghaft versuche, die Arbeitszeit von Doktoranden auf die bezahlte Zeit zu deckeln, dass das so endet wie mit der Hinweistafel im Restaurant „Schlucken verboten! Bei Zuwiderhandlung Haft nicht unter 6 Liter Wasser pro Tag“.

Wie können bei strikter Einhaltung der Arbeitszeitregeln Universität und Professoren die Doktorandinnen und Doktoranden wie bisher produktiv ausbeuten? Wenn bald alle Arbeitsgruppenleiter und Professoren aus den Naturwissenschaften in Gruppen oder in Einzel-Büros hinter modischen Gittern endlich Zeit haben, den lang aufgeschobenen Übersichtsartikel zu schreiben, dann kümmert sich eben irgendwer anders um die Einhaltung der halben Arbeitszeiten der Doktoranden. Andererseits sind aber vielleicht noch einige Profs übrig, denen auch jetzt das Arbeitslosengeld und die Rentenbeiträge ihrer Doktoranden völlig egal sind und die nur Stipendien vergeben, die nicht mit einer fixierten Arbeitszeit verbunden sind. Die Chefs der modernen Ausbeutungsorganisationen der Graduiertenschulen werden sicher nicht weggeschlossen, sondern können ungestört weitermachen.

Sie meinen, das mit dem Gefängnis sei doch etwas übertrieben, ich solle das nicht so eng sehen? Ordnungswidrigkeiten können aber ganz schön teuer werden. Und Straftaten lassen diese Umstände eigentlich immer zu. An dem Ton dieses Schreibens dürfen Sie sich nicht stören, das ist normal für Juristen. Haben Sie schon mal ein Schreiben von einem Gericht bekommen? Außer der Todesstrafe steht da alles drin. Machen Sie etwas, machen Sie es garantiert falsch. Machen Sie nichts, machen Sie sich strafbar. Machen Sie das Falsche oder nichts, sind Sie bereits strafbar. Für Juristen und Gerichte sind Formulierungen wie die in diesem Schreiben „… Verstöße… können als Ordnungswidrigkeiten u.U. auch als Straftaten geahndet werden…“ ein freundlicher Plauderton.

Wenn Ihr Nachbar Sie fälschlicherweise anzeigt, Sie hätten heimlich auf sein Grundstück gespuckt, oder der Handwerker unrechtmäßig behauptet, Sie hätten vor knapp zwei Jahren eine Rechnung nicht bezahlt, bekommen Sie Anzeigen und Ladungen vom Gericht, die in einem solchen Ton formuliert sind, dass Sie am Ende jedes Schreibens froh sind, dass Sie überhaupt noch frei herumlaufen dürfen und nicht auf dem Weg zum Brötchenholen am Sonntagvormittag in einem spektakulären Einsatz einer Sondertruppe mit dem Hubschrauber nach Moabit oder Stammheim überstellt werden.

Eigentlich schade, dass die Todesstrafe abgeschafft wurde. Die wäre volkswirtschaftlich viel günstiger als Gehälter, Renten und Pensionen. Und das auch nach den jüngsten Einsparungen bei den Gehältern an den Unis.

Ach übrigens, wir wollen ja nicht nur meckern, sondern auch die positiven Dinge anmerken: Wir an der Universität Ulm können froh sein, dass es dem Personalrat gelungen ist, ausnahmsweise dienstfreie Tage festzulegen – ein Vorbild, an dem sich andere Universitäten ein Beispiel nehmen sollten. In der „Dienstvereinbarung über die Arbeitszeit zwischen der Dienststelle der Universität Ulm und dem Personalrat der Universität Ulm“ wurde vom Arbeitgeber zähneknirschend zugestanden: „An Samstagen, Sonntagen, gesetzlichen Feiertagen, Heilig Abend (24. Dezember) und Silvester (31. Dezember) ist dienstfrei.“