Billiger ist besser

Axel Brennicke


Editorial

(10.10.2013) Modernität ist Trumpf. Auch im Wettbewerb der Universitäten gegeneinander. Die frisch zur Exzellenz erhobene Universität Tübingen will auch in der Lehre punkten. Um neue Schlagwörter zu finanzieren, will die Universität das bewährte alternative Lehrkonzept kleiner intensiver Arbeitskurse abschaffen. Dazu soll ein Studienhaus in den Bergen verkauft werden – das die Uni Tübingen gar nicht selbst bezahlt hatte.

Neue Lehrkonzepte braucht unser Land. Das polemisieren die Propaganda-Maschinen jeder politischen Farbe. Schweißtreibend volle Hörsäle und qualitativ miese Videoübertragungen von Verlesungen unverständlicher Traktate durch autodidaktisch- nuschelnde Professoren sollen verbessert – oder besser ersetzt – werden. Online Lehrmodule für die Daheim-Schule sollen professionell feingefeilte und an die eigene Studentenpersönlichkeit anpassbare Lernmöglichkeiten bieten.

Die üblichen Antworten auf Klagen über schlechte Lernbedingungen – kompliziert verklauselt und fremde Wortschöpfungen sollen hinter Scheinaktivitäten mangelndes Geld und fehlende Kompetenz verdecken. Didaktisch geschult übertuscht die Politik, dass sie die Ausbildung von mehr Studenten mit weniger Geld für die Universitäten ausgleicht.

Editorial

Die Kreativität ist grenzenlos:

„Regensburger Wissenschaftler haben sich nun daran versucht, komplizierte juristische Sachverhalte als Bildergeschichten darzustellen“ (FAZ 15.06.2013)

„Interaktive Kurz-Vorlesungen im Netz elektrisieren die akademische Welt“ (DIE ZEIT online 06.06.2013).

„Dozentin Gitta Domik vergibt Credit Points für Onlinekurse – als eine der ersten in Deutschland...“ Das führt dazu, dass sie „Massive Open Online Course (Mooc) als Semesterleistung anrechnet...“ aber am Ende des Interviews gibt sie zu: „...inzwischen ist klar, dass Moocs einfach ein zusätzliches Angebot an Lehre darstellen. Es wird die Universitäten aber niemals verdrängen...“ (DIE ZEIT online 12.06.2013).

So zu nennende alternative, aber tatsächlich kompetitive Lehrkonzepte, die dadurch vorbelastet sind, dass es sie schon viele Jahre gibt, können das unmoderne Alter nicht dadurch kompensieren, dass sie erfolgreich sind. Ein schönes Beispiel liefert derzeit die Exzellenz-Universität Tübingen. Der Universität in Tübingen gehört das idyllisch gelegen Studienhaus „Berghaus Iseler“ in Oberjoch – in 1.300 m Höhe in den Alpen an der Grenze zu Österreich. Schon vor 38 Jahren hat der damalige Präsident der Tübinger Uni, Adolf Theis, richtig viel Spendengeld von privaten Mäzenen gesammelt und damit das Haus gekauft. Ein paar Jahre später hat er noch mehr Spenden erbettelt und das Haus renoviert. Seitdem finden dort alternative Lehrmodule über Pflanzen, Tiere, Pilze und Steine der hohen Berge statt. Weit weg von den schwäbischen Fallobstwiesen am Neckar und Pilzzuchten in Gemeinschaftskühlschränken der Studentenwohnheime.

Eines der Hauptprobleme bei dieser Lernform ist regelmäßig die Sperrstunde: zum ersten Mal in ihrem Studium sind die jungen Lernenden so bei der Sache, dass die Professoren und Dozenten ihnen nachts den Strom für die Mikroskope abschalten müssen. Schließlich sollen sie am nächsten Morgen wieder mit offenen Augen durch das Gelände stapfen und neues Grünzeug und frische Krabbeltiere sammeln.

Oft liegt Schnee da oben, dann finden die Geologen keine Steine mehr. Dafür üben die Sportstudenten, Kurven zu nehmen ohne die Bretter unter den Füßen zu verlieren.

Kein Neid: Das Berghaus ist kein Luxustempel wie die Wellnessoase auf der 800 m² großen Malediveninsel mit endlosem Sandrand um die klimatisierten Massagebäder. Der Lehrtempel hoch droben am Hang bietet den Studenten den Standard ihres gewohnten Wohnheims, den Charme eben einer Berghütte und eine ungewohnte Nähe zu Dozent und Professor.

Nun, nach 38 Jahren alternativem Öko-Studium abseits der regenfeucht modernden Hörhöhlen der Universität findet der Kanzler der Universität Tübingen:

„... (die Universität) ist allerdings gezwungen, darauf zu achten, dass die der Hochschule zur Verfügung gestellten Gelder primär für das Betreiben ihres Kerngeschäftes Lehre und Forschung ausgegeben und nicht zweckentfremdet werden.“

Die Regierung der Universität will das alternative Lernhaus verkaufen. Das ist zum Glück problematisch. Die Berghütte war eben nicht vom Geld der Universität gekauft worden, sondern die Spender hatten Geld zu dem Zweck dieser Lernform gegeben. Davon darf die Universität keine Jubiläumsfeier oder Schnittchen zur Amtseinführung eines Rektors bezahlen.

Außerdem gibt die Universität gar kein Geld für das Berghaus aus, das ist nämlich verpachtet. Die Pachteinnahmen zahlen den laufenden Bauunterhalt. Aber der Verkauf würde Geld bringen. Wozu?

Demgegenüber hat die Universität Tübingen im Moment dringenden Bedarf, mehr internationale Gastwissenschaftler und internationale Nachwuchskräfte direkt in Tübingen unterzubringen“, sagt die Regierung der alten, frisch zur Elite gebackenen Universität. Dass so etwas nach der Zwecksetzung der Spenden nicht geht, kann die Juristen nicht stören. Das verschafft ihnen nur Arbeit. Vorbilder gibt es reichlich: Ganz günstig hat das Land Baden-Württemberg neulich die EnBW für den doppelten Preis nach wenigen Jahren zurückgekauft. Das ursprüngliche Geld hat das Land BW in einer Stiftung angelegt, die gefährlich nahe an den Kernaufgaben der Regierung operiert. Und hat so keine Steuern bezahlt. Die wären nämlich an den Bund gegangen.

Die Regierung der Universität zu Tübingen begründet die geplante Abstoßung mit: „Die mangelhafte Auslastung und die immer marginaler werdende Nutzung...“ und belegt diese mit Zahlen: 6.000 Übernachtungen pro Jahr seien zu wenig.

Nun überschlägt sich die Regierung einer anderen Universität, der in Ulm, gerade vor Eigenlob, da das dieser Uni eigene Schloss Reisensburg mit sage und höre 3.000 Übernachtungen supertoll ausgelastet sei (uniulm intern Nr. 322, Juni 2013). Ein Unterschied noch: die Regierung der Uni Ulm hat hier sehr viel Geld im Schlosshof vergraben. Apropos Übernachtungszahlen: ich finde bereits 300 Übernachtungen in meiner Wohnung eine hervorragende Auslastung. Solche Zahlen sagen nichts ohne die Betten und normierte Vergleiche mit Berghütten und Hotels.

Andere Zahlen sind wichtig. So die über 2.000 Stimmen, die sich in einer Online-Petition an die Regierung der Universität Tübingen einig sind, dass sie die Welt im Neckartal der Elite-Universität Tübingen nicht mehr verstehen. Der Kommentar zur alternativen Lernform in der Exklave sagt alles: „Nirgends ist der Gewinn aus einer Fortbildung oder einem Seminar höher als unter den Bedingungen der Oberjocher Klausurtagungen.

Aber offensichtlich ist eine solche etablierte exzellente Lehre nicht propagandistisch ausschlachtbar modern genug – her mit den anonym-sterilen Moocs.

Mangelhafte Auslastung? Ein bisschen Werbung und die Studenten stehen Schlange. Oben in den Bergen in direktem Kontakt mit übermüdeten Dozenten Ökologie in einem anderen System zu untersuchen ist nämlich total in:

„Das freiwillige ökologische Jahr (FÖJ) bietet den Jugendlichen viele Möglichkeiten und wird immer beliebter. Gerade laufen die Bewerbungen für das Projektjahr ab 1. September. ‚Wir haben in Berlin drei Träger mit gut dreihundert Stellen, aber die Anzahl der Bewerber ist sechs- bis achtfach so hoch’, erklärt Bernd Kuhlmann, Projektleiter der Stiftung Naturschutz in Berlin“ (FAZ 21.03.2013).

Die Regierung der Universität Tübingen überlegt sicher ganz vernünftig, warum erprobtes Gutes behalten, wenn es genug neues Schlechtes zur Vermarktung gibt.

AXEL BRENNICKE & Prof. Dr. em. FRANZ OBERWINKLER, Ehemaliger Direktor des Botanischen Gartens der Universität Tübingen