Kontierungsobjekte und Anordnungsbefugnisse

Axel Brennicke


Editorial

(10.11.2013) Erinnern Sie sich an die QSM? QSM sollen die bei Einführung der Studiengebühren weggefallene Grundausstattung für Praktika und Seminare nach deren Abschaffung ersetzen.

Zur Auffrischung definiert die Uni Heidelberg: „Die Qualitätssicherungsmittel sind zweckgebunden für die Sicherung der Qualität in Studium und Lehre zu verwenden; die Verwendung soll zeitnah, ausschließlich und unmittelbar erfolgen. Individualförderungen aus Qualitätssicherungsmitteln sind nicht zulässig; die Förderung der Studierenden ist nur möglich, wenn das Angebot (verpflichtend) für alle ist. So sieht der Landesrechnungshof in der Übernahme von z.B. Kosten für Spezialkurse und Abschlussarbeiten eine Individualförderung der Studierenden, die einer Rückerstattung der ehemaligen Studiengebühren entsprach.“

Zeitnah, ausschließlich und unmittelbar? Ausschließlich? Muss Juristendeutsch sein – wer da was falsch versteht oder gar interpretiert, bekommt Punkte in Flensburg, Minus auf dem Konto und Ärger. Qualität in Studium und Lehre – gibt es ein gutes Studium bei mieser Lehre? In der Landesregierung? Oder nur in Heidelberg? QSMGeld für einige Studis ist illegal, für alle ist es okay – dann ist es keine Rückerstattung der ehemaligen Studiengebühren? Die Gebühren, die alle hätten zahlen sollen? Was sind Wahlpflichtpraktika? Spezialkurse in der Pflicht? Individualförderung der Studierenden ist im realen Sozialismus verpönt – dafür gibt es an meiner Uni extra Projekt-Geld für ein Studium individueller Geschwindigkeit. Ist das starre Elite oder variable Inklusion?

Editorial

Wie jedes Jahr und wie für alle Gelder von Bund, Land und Fluss werden Haushalte fürs Kalenderjahr erst irgendwann im Sommer vorläufig fertig, bis dahin trudeln vage Abschlagszahlungen und Versprechungen ein, manchmal auch ein bisschen Vorabgeld. Dazu werden neue Konten hinund angelegt – bis wir mehr Konten als Euro herumliegen haben.

Ein kleines Beispiel von der Einführung der QSM an der Uni HD, zu dessen Verständnis eine Banklehre hilfreicher sein könnte als ein Dr. in Biologie o. Ä.: „Die Qualitätssicherungsmittel werden voraussichtlich Anfang April ... als Kassenanschlag auf der Grundlage der Studierendenzahlen des WS ... der Universität bereit gestellt. Hierfür müssen aus haushaltsrechtlichen Gründen neue Kontierungsobjekte eingerichtet werden ... Den Fakultäten und zentralen Einrichtungen geht zeitnah ein Schreiben zu den neuen Kontierungsobjekten und den Anordnungsbefugnissen ... auf dem Postweg zu. Die neu eingerichteten Kontierungsobjekte für die Qualitätssicherungsmittel können erst ab dem 2. April ... bebucht werden. Da das Sommersemester an der Universität Heidelberg bereits mit dem 1. März beginnt, entsteht für Fakultäten und Institute, die keine oder geringe Ausgabenreste ... auf dem Konto haben, ggf. eine Finanzierungslücke im März. ... Kalkulieren Sie Ihren Gesamtfinanzierungsbedarf für bereits beschlossene Maßnahmen ... Berechnen Sie, für wie viele Monate ... Für Personalaufträge kann dies z.B. bedeuten, dass die Kontierungsobjekte noch während des Semesters gewechselt werden ... Beachten Sie bitte unbedingt, dass Ausgaben für März nicht bereits im Vorgriff über die Qualitätssicherungsmittel gebucht werden können ... Berechnen Sie daher, ob bei Ihnen bereits im März eine Deckungslücke auftritt. Berücksichtigen Sie dabei unbedingt, dass die Abbuchung der Personalkosten für März zwar erst Anfang April durchgeführt wird, aber für den März zählt, so dass damit rückwirkend noch ein Defizit im März entstehen kann.“

Konjugieren wir mal laut: Ich bebuche, Du bebuchst ... (schwache Beugung: bebuchen, bebuchte, bebucht) ... irre oder Kuckucksnest? Zum Ausgleich eine Deklination gefällig: Das Kontierungsobjekt, des Kontierungsobjektes ...

Die Komplexität der Kontierungsobjekte und Anordnungsbefugnisse kommt von der Oberverwaltung: Die Regierung des Landes teilt ihren Unis mit, wie viel Geld diese von einem oder mehreren neu eingerichteten virtuellen Konten des Landes abrufen können. Auf Antrag. Dabei hält das Land eine Reserve vor, für Notfälle – man weiß ja nie. Wie viel Notgeld weiß ich nicht, vielleicht zehn Prozent. Die Uni lässt sich nicht lumpen und richtet ihrerseits viele neue Konten ein, je eines für jeden Studiendekan jedes Faches. Mindestens. Und eines für eine Reserve, man weiß ja nie. Jeder Studiendekan richtet an der Uni für jedes Institut je ein neues Konto ein. Mindestens eines. Und ein Konto für eine Reserve, man weiß ja nie, was passiert, besser man hält erst mal so zehn Prozent in petto.

Und dann hat das Land noch einmal zehn Prozent oder so weggelegt für besondere Maßnahmen – auf Antrag. Hätten Sie gern noch einen zwölftel Studienlotsen? Oder einen Zweimonatsvertrag über sonstige Bürokratie? Wie wäre es mit einer sinnlosen Akkreditierung? Wollen Sie ein paar Schwäbisch-Holstein- oder Brandenberg- Württemburg-Zertifikate zeichnen? Allein die akkreditierte Gleichsitzungsmaßnahme schluckt locker ein paar Prozent von Ihren Qualitätssicherungsmitteln – womit diese zweckgebunden entsprechend der Vorgaben ohne störenden Nutzen verantwortungslos entsorgt sind.

Und dann geschieht das Oktober-Wunder. Völlig überraschend bricht in diesem Jahr der Herbst herein. Damit konnte niemand rechnen. Und auch dass in wenigen Monaten das Jahr zu Ende geht. Und dass Anfang Dezember die Kassen von Unis und Land schließen. Ganz bald also. Und plötzlich fällt die Reserve auf. Die im Dekanat. Die an der Uni. Die beim Land. Das Problem ist, dass die Prinzipien der Geldwirtschaft nach wie vor kameralistisch behandelt werden. Das Land argumentiert, dass Geld, das wir in diesem Jahr nicht ausgeben, wir auch im nächsten nicht brauchen werden. Die unvorhergesehen übliche Hektik bricht los. Bis vorgestern verfassen die Institute Anträge, bis gestern die Dekanate, bis heute die Uni. Leider sind alle HiWi-Verträge für das Jahr längst gemacht – die Uni-Bürokratie verlangt mindestens 1,5 Monate Bearbeitungszeit für Arbeitsverträge. Und sogar Studenten müssen planen. Wenn auch nicht so vorausschauend wie unsere Verwaltungen.

Wofür nehmen wir also die Reserven?

Sollte ich vielleicht doch noch einmal den Antrag auf ein neues, voll cooles Messgerät stellen? Das hatte ich vor ein paar Jahren schon mal bei der Uni angefragt. Die Uni brauchte fast ein Jahr, um mir zu sagen, dass ich es erst bei der DFG oder sonst wo anbetteln sollte. Wenn es dort kein Geld gäbe, sollte ich den Antrag noch einmal an die Uni stellen. Die DFG hat natürlich abgelehnt. Ist ein Gerät für alles und vieles, früher hieß das Grundausstattung. Die wird seit Jahren auch nicht besser und schon gar nicht neuer. Mit der DFG war dann wieder ein Jahr herum. Das Gerät brauchen wir immer noch. Deshalb hatte ich es ja auch angefragt. Genauso wie die Müllmänner ihre Kehrbesen beantragen.

Jetzt hadere ich schon eine Weile: Kann ich wirklich zur Uni gehen und sagen, die DFG findet das Projekt bescheuert und genehmigt das Gerät nicht? Und da der Plan so schlecht und dämlich ist, soll die Uni die Kiste bezahlen... Nein, das kann ich nicht. Andererseits ist dieser dämliche Vorschlag, ein Gerät von Uni-Geld zu kaufen, wenn die DFG es mies findet und nicht zahlt, symptomatisch für alle Uni-internen und meist auch landesinneren Antragsverfahren. Wenn der theoretische Quantenphysiker bei der Uni einen sauber begründeten Antrag auf ein wichtiges Gerät stellt – wer soll das in der Uni sachlich richtig beurteilen? Der Biologe ganz sicher nicht. Und die Uni-Verwaltung auch nicht – oder vielleicht doch? Also ist es völlig sinnlos, dass der Quantenphysiker einen schlauen Antrag an die Uni schreibt. Aber wer bekommt das Uni-interne Geld? Der Quantenphysiker, der Wirtschaftsmathematiker oder die Psychologin? Es geht gar nicht anders: Der mit der größten Klappe. Der Angeber und Lobbyist, der viel Energie in Uni-internen Gräben verbringt und sich wichtig ist. Ganz wie im Großen auch. Kunststück, wer nebenher noch seine eigentliche Arbeit schafft und ein bisschen Forschung und Lehre macht. Wer Uni-intern beliebt ist, bekommt, was er beantragt. Ich glaube, ich stelle den Antrag nicht mehr.

Jetzt müssen auch erst die Qualitätssicherungsmittelreserven rausgehauen werden. Da geht ein Gerät sowieso nicht, weil die Kohle auf mindestens 17 verschiedenen Konten verteilt ist. Ich bin nur froh, nicht Studien- oder normaler Dekan zu sein: Wer soll die ganzen virtuellen Konten noch überblicken? Hut ab vor den Todesmutigen, die sich da einarbeiten und den Kontenwirrwarr samt Kontierungsobjekten und Anordnungsbefugnissen irgendwann überblicken und nicht eines vergessen, auf dem dann 5.000 € womöglich an das Bundesland zurückgehen und eine Türklinke für BER, S-21 oder HH-Oper bezahlen.

Letztes Wort zu den Lawinen von Anträgen: Mein Sparbundesland hat vorgerechnet, dass jeder Antrag auf Betreuungsgeld so um die 500 € nur an Verwaltungskosten kostet. Pro Jahr wohlgemerkt. Und nur für die Bearbeitung, nicht für das Schreiben. Bin mal gespannt, was ein Uni-internes Antragsverfahren kostet. Das Verfassen, die Begutachtung und die bürokratischen Akte. Darunter das Dekanats-interne, dazwischen das Uni-interne und darüber das Landes-interne Antragswesen.

Fazit: Es lebt sich besser an der Uni ohne Sicherheitsnetz. Und ohne neue Anträge. Das Leben wäre einfacher für uns, wenn es keine Notreserven gäbe. Dann wüssten wir, wie viel Geld wir für Forschung und Lehre in diesem Jahr haben und könnten es sinnvoll einteilen und vernünftig ausgeben. Ohne Antrags- und Begutachtungsunwesen. Ohne Jahrestorschlusspanik.