Qualitätssicherungsmittel

Axel Brennicke


Editorial

(05.12.2013) Die Qualitätssicherungsmittel sind etwas anderes als der Qualitätspakt Lehre (den hatten wir schon) und als die Qualitätsoffensive Lehrerbildung. Die Qualitätssicherungsmittel sind aber das Gleiche wie die Qualitätsverbesserungsmittel. Was in BW als Qualitätssicherungsmittel nur den Status Quo hält, soll in NRW als Qualitätsverbesserungsmittel besser machen. Funktioniert das? Um das beantworten zu können, müssen wir schauen, was das eigentlich für Geld ist.

Einst gab es Geld für die Betreuer der Studenten in Praktika. Das überwies das Land der Uni. Die Uni schrieb eine den Praktika angepasste Geldmenge auf einem Konto des Instituts gut. Daraus konnten wir die HiWis bezahlen. Damit mussten wir dafür sorgen, dass neben den frischen Studenten jemand aufpasste, dass Plus- und Minus-Pole im Gelkasten wenigstens ungefähr richtig eingesteckt wurden.

Dann sammelte die Uni auf Befehl des Landes Studiengebühren von den Studenten ein. Das vorherige ‚normale’ Geld kürzte das Land der Uni in Höhe der Studiengebühren und kassierte es ein für ...? Mit den Studiengebühren begann die erste Phase der bürokratischen Verkomplizierung. Wir bekamen nur einen Teil davon direkt zugewiesen. Der andere Teil blieb im Hinterhalt, in einem Pool. Davon durften wir Teile beantragen, falls wir wieder so viele HiWis benötigten wie vor der Verbesserung der Lehre durch die Gebühren. Inzwischen hatte die Zahl der frischen Studenten zugenommen, für unverbesserte Lehre hätten wir schon mehr HiWis bezahlen müssen. Jedes Jahr lungern mehr neue Studenten herum und mehr Anfänger wollen praktische Laborarbeit lernen und üben.

Editorial

Jetzt schaffte das Land die Studiengebühren wieder ab und es kamen noch mehr Studenten. Um diese mindestens so gut ausbilden zu können wie früher, ersetzt das Land der Uni die fehlenden Studiengebühren. Theoretisch voll, real nur zu einem Teil. Schließlich muss die Regierung des Landes vier neue Regierungs-Direktoren finanzieren, die vorher nicht notwendig waren, aber ganz viel Geld kosten.

Das war die Gelegenheit, Phase zwei der Bürokratisierung einzuleiten. Den Ersatz der Studiengebühren überweist das Land nicht einfach der Uni in den Funktionshaushalt für die Lehre, das wäre zu einfach. Das Land nennt das Ersatzgeld großspurig „Qualitätssicherungsmittel“ und behält es erst einmal. Nur auf Antrag der Uni transferiert das Land eine Kostenerstattung an die Uni. Damit die Uni weiß, was sie im Antrag sagen soll, müssen wir einen Antrag an die Uni stellen. Damit nicht jeder anträgt, dürfen das nur die Studiendekane. Damit die wissen, was sie schreiben sollen, müssen die Institute einen Antrag an die Studiendekane schreiben. Zuerst als Übersicht Anträge für den voraussichtlichen Bedarf im kommenden Jahr. Also bei mehr Studentenneulingen wohl insgesamt mehr Betreuungsgeld. Das geht aber nicht, es sind zur Qualitätssicherung ja nicht mehr Mittel vom Land da als vorher.

Die Anträge der Institute an die Studiendekane werden in der Studienkommission des jeweiligen Faches stundenlang diskutiert. Und geändert. Und verbessert. Und angepasst an die Geldmenge, die vielleicht da ist. Die Anträge der Studiendekane an die Uni werden in Senat und/oder Präsidium oder Rektorat der Uni diskutiert. Und geändert. Und verbessert. Und angepasst an die erhoffte Geldmenge. Die Anträge der Uni an die Regierung des Landes werden vermutlich auch dort von jemandem diskutiert. Und geändert. Und verbessert. Und angepasst an die Geldmenge, die die Landesregierung nicht für die Erhöhung der eigenen Diäten braucht.

Irgendwie findet die Lehre für die jungen Studenten statt. Natürlich wird das Betreuungsverhältnis weiter schlechter, nicht nur wie seit 40 Jahren kontinuierlich zwischen Studenten und Professoren, sondern auch zwischen Studenten und HiWis. Von einer Sicherung der Qualität kann eigentlich keine Rede sein. Qualitätssicherungsmittel verkommen zum Euphemismus, aber das ist wohl nur so durchsetzbar in der Politik der Lobbyisten. Ebenso sind die großspurig gnädig mit dem Ministerium vereinbarten Fünfjahrespläne zu verstehen. Unter dem Deckmäntelchen Planungssicherheit werden Kürzungen ergeben hingenommen – man kann ja froh sein, wenn es nicht noch weniger wird.

Zu Ihrer Erbauung, zum Beleg für meine bisherigen Unterstellungen und für weitere Details ein paar kleine Zitate aus den Anleitungen einiger Unis zum „Untergang“ mit den Qualitätssicherungs- bzw. Qualitätsverbesserungsmitteln.

Die RWTH Aachen in NRW definiert den politischen Hintergedanken bei diesen Geldern, die „... seitens des Landes an die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen fließen. Diese Qualitätsverbesserungsmittel, sogenannte Studienbeitragsersatzmittel, ... müssen zweckgebunden für die Verbesserung der Qualität von Studium und Lehre verwendet werden.“ Die Qualitätsverbesserungsmittel sind ganz klar kein zusätzliches Geld für die Unis, sondern ersetzen nur die Studiengebühren. Ist das nicht typisch: Wir sollen die Qualität verbessern, aber es darf nicht mehr kosten. So wurde uns am Anfang der U-Bahnhof Stuttgart 21 auch verkauft: Der sollte uns keine Steuergelder kosten, weil die Grundstücke über der Erde die Kosten locker reinbringen ...

„So verteilt die RWTH Aachen weiterhin die Gelder im Vorgriff auf die voraussichtlichen Einnahmen, so dass eine frühzeitige Planung und Umsetzung der Maßnahmen erfolgen kann. 50 Prozent erhalten die Fakultäten für eigene Initiativen, 25 Prozent fließen antragsbezogen ebenfalls in die Fakultäten und 25 Prozent verausgabt die Hochschule zentral für übergreifende Maßnahmen.“ Das mit dem Vorgriff kennen wir ja, Geld kommt nie rechtzeitig, für die Sommersemester gibt es Mittel für die Praktika nie vor Juli, das war schon immer so. Da wird im Resultat sicher auf Antrag genauso auf die Fakultäten verteilt wie ohne Antrag ... – Hauptsache es gibt ein bisschen mehr Bürokratie. Und mehr Kontrolle. Und noch mehr Verwalter, Kommissionäre und Gremier:

„Mit Einführung der Qualitätsverbesserungsmittel ist an die Stelle des Prüfgremiums die Kommission zur Qualitätsverbesserung in Lehre und Studium getreten. ... Die Prüfung der Rechenschaftsberichte obliegt wie bisher dieser Qualitätsverbesserungskommission, kurz QVK. Darüber hinaus gibt sie ein Votum zu den Fortschrittsberichten ab, die in zweijährigem Turnus über die Maßnahmen und deren Erfolge dem Ministerium vorgelegt werden müssen.“

An meiner Uni gibt es keine so tolle Qualitätsverbesserungskommission, kurz QVK. Aber wir haben dafür extra eine Stabsstelle! Ätsch! Die Stabsstelle „Qualitätsentwicklung, Berichtswesen und Revision“. Die ist viel ehrlicher und sieht ein, dass ohne Geld kaum eine Verbesserung möglich ist, sie sichert und entwickelt: „Die Stabsstelle ist Serviceeinrichtung für das Präsidium und die Fakultäten in Fragen der Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung.“ Und schreibt sich offen die Funktion als „Serviceeinrichtung“ auf die Fahne – das ist wirklich selten in solch verwaltenden Stellen und Einrichtungen! Großes Lob!

Schauen wir aus dem armen NRW in das Musterländle, das endlich auch die Studiengebühren abgeschafft hat und jetzt wieder einführen will. Zumindest für Ausländer. Ob die Bayern dazu zählen, wenn wir dort bald auf A7 und A8 den Weg zum Oktoberfest zahlen müssen? In BW gibt es die Hochschule Albstadt-Sigmaringen, gegründet 1971, die genauso verfährt: „Am Ende eines Haushaltsjahres wird eine Prognose für die zu erwartenden Einnahmen aus Qualitätssicherungsmittel (kurz QSM) erstellt. Anhand dieser Prognose werden die Qualitätssicherungsmittel vom Rektorat auf fachübergreifende Maßnahmen und auf die Fakultäten verteilt.“

Zur Abwechslung jetzt mal ein vernünftiger Teil – hört sich kompliziert an, aber immerhin für uns Bürokratie-arm. „Das Präsidium weist den Fakultäten 72 % der tatsächlich eingenommenen Qualitätssicherungsmittel zur eigenverantwortlichen Verwendung für die Durchführung fakultätsbezogener dezentraler Maßnahmen zu. Der Anteil jeder Fakultät am gesamten den Fakultäten zugewiesenen Betrag nach Satz 1 bestimmt sich am Anteil einer Fakultät an den Gesamtstudierenden der Studiengänge in einem grundständigen Studiengang oder konsekutiven Masterstudiengang. Bei Studiengängen, die von verschiedenen Fakultäten getragene, eigenständige Fächer beinhalten (z.B. Lehramt), erfolgt die Zurechnung der Studierenden auf die Fakultäten anteilig. Verteilungsschlüssel für die Zuweisung der Mittel an die Fakultäten ist die Statistik 5 „Studienfachbelegung nach Abschlussziel und Fachsemester (Fallstatistik)“ der Studierendenstatistik der Universität Ulm. Dabei wird für jede Fakultät die Anzahl der Studierenden mit dem angestrebten Abschluss Lehramt mit dem Quotienten 0,5 und die Anzahl der Studierenden mit dem angestrebten Abschluss Bachelor, konsekutiver Master, Diplom oder Staatsexamen Humanmedizin/ Zahnmedizin mit dem Quotienten 1,0 multipliziert (Gesamtsumme der Studierenden der Fakultät). Die Ergebnisse werden addiert und bilden die Gesamtsumme der Studierenden an der gesamten Universität, von welcher pro Fakultät jeweils der prozentuale Anteil an diesen Gesamtstudierenden errechnet wird. Nach diesem prozentualen Anteil werden die Mittel auf die Fakultäten verteilt. Bei der Berechnung der zuzuweisenden Mittel bei der Verteilung auf die Studienkommissionen innerhalb einer Fakultät sind die Grundsätze in Satz 2 - 7 zugrunde zu legen.“

Der traurige Rest verlangt von uns allerdings höchste Qualität an bürokratischem Feingefühl und Engagement: „ ... 18 % der eingenommenen Qualitätssicherungsmittel stehen fakultätsübergreifend für Durchführung zentraler Maßnahmen zur Verfügung ... 10 % der eingenommenen Qualitätssicherungsmittel gehen in einen Qualitätssicherungsausgleichsfond, der unter den Studienkommissionen der Fakultäten zur eigenverantwortlichen Verwendung und im Einvernehmen mit den Studierenden verteilt wird und insbesondere dem Abbau von Überlast in einzelnen Studiengängen oder der Verbesserung der Betreuungsrelationen in diesen Studiengängen dienen soll. Über den Anteil jeder Studienkommission an diesem Fond entscheidet der Arbeitskreis im Einvernehmen mit den Studierenden auf Vorschlag des Präsidiums.“

Und hier noch ein letztes Bisschen:

„(1) Die Evaluation fakultätsübergreifender Maßnahmen, insbesondere die Evaluationskriterien regelt der Arbeitskreis Qualitätssicherungsmittel und führt die Evaluation durch. Er legt jeder fakultätsübergreifenden Maßnahme zur Weiterleitung an das Präsidium seine Bewertung bei; die Studierenden des Arbeitskreises und die Studierenden im Senatsausschuss Lehre geben darüber hinaus ein Votum ab, das der Bewertung des Arbeitskreises anzufügen ist. [...]

(2) Die Evaluation fakultätsbezogener Maßnahmen regelt der jeweils zuständige Fakultätsvorstand unter Beteiligung der Studienkommissionen. Jeder Maßnahme muss an die Fakultätsvorstände ein gesondertes Votum der Studierenden der Studienkommissionen über die Bewertung der Maßnahme beigefügt werden.

(3) Absatz 1 und Absatz 2 gelten nicht für einmalige Maßnahmen sowie für Maßnahmen bis zu 20.000 €; hier genügt ein Kurzbericht des Vorschlagenden, der den wiederholten Vorschlägen für das Präsidium beigefügt wird.“

Es lebe die Kontrolle! Wer weiß, auf was für abstruse Ideen wir Hochschullehrer sonst kämen. Hauptsache Papierfutter für die Bürokratie, ob getarnt als Antrag oder Vorschlag oder gnädig als Kurzbericht: Qualitätssicherungsmittelreserven oder irgendwelche anderen politisch opportun getauften Gelder proportional nach Leistung oder Mitarbeitern oder gar als Kopfgeld nach Studentenzahl einfach anzuweisen – das geht gar nicht. Was sollen denn die vielen Leute in den Verwaltungen bloß sonst machen? Und wo sollen wir sonst herumsitzen? Wir würden uns womöglich den ganzen Tag unkontrolliert mit Forschung und Lehre vergnügen.