Über den Umgang mit Elefantenfüßen

Axel Brennicke


Editorial

(13.02.2014) 1955 veröffentlichte C. Northcote Parkinson seine Gesetze zum Bürokratiewachstum. Diese sind heute so lebendig wie nie. Vor allem die Uni als große Behörde mit wuchernder Verwaltung liefert dafür aus dem Nichts immer wieder neue Beweise.

Klar, die Unis haben viel zu verwalten. Zu viel? jedenfalls müssen sie sich tummeln, um immer neue Formulare zu erschaffen – neue Anleitungen, wie die Arbeit ablaufen muss und, ganz wichtig, wie die Sicherheit gewährleistet ist. Denn wenn ein Mitarbeiter zu Schaden kommt, hat nicht nur er selbst Pech. Nein, genauso schrecklich: ein Arbeitsunfall zieht einen Rattenschwanz von Mehrarbeit für alle nach sich.

Daher ist es besser, vorzubeugen und das Leben der Mitarbeiter in sichere Bahnen zu lenken. Damit diese Absicherungen auch hiebund stichfest sind, darf sich indes nicht nur eine Person eine solche Anleitung zum Umgang mit Arbeitsmitteln einfach entwerfen – vielmehr müssen die Formulierungen vielfach kontrolliert, gelesen und bearbeitet werden. Das ist auch gut so, denn so können Sie sich drauf verlassen, dass diese Anleitungen korrekt sind.

Editorial

Entsprechend elegant formuliert und die Uni rechtlich voll absichernd ist auch die neueste Anleitung zum „Umgang mit Leitern und Tritten“, deren Beibrief alleine von mindestens drei Personen überarbeitet wurde – zumindest haben drei unterschrieben:

„Az.: 68.01.0005

Aktualisierung von Gefährdungsbeurteilungen zum sicheren Umgang mit Leitern und Tritten; Anlage: GB00020 – Umgang mit Leitern und Tritten

Sehr geehrte Damen und Herren,

aus gegebenem Anlass bitten wir alle Leitungsverantwortlichen Ihre bestehenden Gefährdungsbeurteilungen zu prüfen und ggf. zu aktualisieren, wenn in Ihrem Wirkungsbereich Leitern und Tritte eingesetzt werden. Sie können die mitgesandte Vorlage nach Anpassung für Ihren Bereich in bestehende Gefährdungsbeurteilungen einpflegen, separat übernehmen oder Ihre Gefährdungsbeurteilung in Eigenregie gestalten.

Achten Sie bitte darauf, dass für diese Tätigkeiten auch entsprechende Betriebsanweisungen vorhanden sind und alle Ihre Mitarbeiter hierzu mindestens jährlich unterwiesen werden (Dokumentation!).

gez. X — gez. Dr. Y — Mit freundlichen Grüßen, Z“

Im Anhang dann das achtseitige Formular „GB00020“, aus dem ich nur einige Auszüge präsentieren möchte, damit Sie die Sorgfalt und Besorgnis unseres „Dezernats V, Gebäudemanagement“ wenigstens ungefähr zu würdigen wissen. Selbstverständlich erschließt sich die ganze Aufmerksamkeit und Verständnisbreite der Formularformulierer erst in Farbe und bei vollständiger Ansicht dieses interaktiven Formulars zum Umgang mit Elefantenfüßen. Sie glauben es nicht – ein wirklich ausfüll-, anpass- und einpflegbares Formular im PDF-Format! Schade, dass ich Ihnen hier nicht das Original vorstellen kann – ich könnte eine solche Datei niemals herstellen… Einfach elegant!

Unter der laufenden Nummer 2.3. finden wir etwa ein schönes Beispiel für die Besorgnis der Verwaltung um Gesundheit:

„a.) Mitarbeiter, die unter Einfluss von Alkohol oder Drogen stehen, sind von Arbeiten mit Leitern und Tritten auszunehmen.

b.) Leiter der Struktureinheit, Betriebsarzt, alle Mitarbeiter

c.) Im Verdachtsfall kann über den Betriebsarzt eine Eignung für Tätigkeiten geprüft werden. Solange keine schriftliche Eignungsbestätigung vorliegt, sollten die betreffenden Mitarbeiter nicht für Arbeiten mit Absturzgefahr eingesetzt werden.“

Nein – a.), b.) und c.) sind keine Alternativen, über der Spalte schwebt vielmehr die Leseanweisung:

„Maßnahmen/Feststellungen: a.) Vorgeschlagene Maßnahme b.) Verantwortliche Person(en), Einrichtung c.) Bemerkungen / Hinweise / Istzustand“

Aus a.) und c.) entnehme ich in meiner Eigenschaft als „Verantwortlicher“ also die essentielle Information, dass ich betrunkene oder bekiffte Mitarbeiter nicht für Arbeiten mit Absturzgefahr einsetzen sollte. Oder darf? Nur eine Empfehlung? Zum Glück gibt es genug Arbeiten ohne Absturzgefahr, für die ich einen Betrunkenen einteilen kann. Vorlesungen halten ist allerdings grenzwertig, die Bankreihen sind oft sehr steil.

Punkt 4.1. hingegen belehrt uns über das „Arbeiten in der Nähe von Freileitungen oder mit elektrischem Strom“:

„a.) […] Vor dem Bohren in Wände ist ein Leitungssuchgerät einzusetzen […]

c.) […] Die Gefahr einer Körperdurchströmung beim Berühren spannungsführender Teile kann durch Verwendung einer Kunststoffleiter vermindert werden.“

Das ist auch wichtig für das Bilderaufhängen daheim: Wer möchte schon eine Körperdurchströmung erfahren? Ich sollte wohl meine Alu-Sicherheitsleiter gegen eine Kunststoffleiter tauschen. Und vor der Bekletterung des Elefantenfußes die Füße waschen:

„a.) Besteigen von Leitern und Tritten nur mit geeignetem Schuhwerk (keine offenen Schuhe, keine Pumps) oder bei Rolltritten barfuß. Schuhe, Füße und Trittflächen müssen frei von Verunreinigungen sein (z.B. Ölreste), die ein Abrutschen verursachen können.“

Und zum Arbeiten auf der Leiter lernen wir:

„… a.)Einhalten aller Grundregeln (wie z.B. Piktogrammaufkleber an allen Leitern und Tritten, Betriebsanweisungen). Siehe auch Punkt 1.7 Besonders: Sichtkontrolle vor jeder Benutzung…“

Also, Grundregel 2.2.: Schön die Leiter mit Abziehbildchen zukleben, dann kann nichts passieren. Dazu die Aufkleber sichtkontrollieren...? Gehen wir rüber zu Punkt 1.7, dort finden wir nämlich unter der seitwärtigen Überschrift „Gefährdung durch Nichteinhaltung von Beschäftigungsbeschränkungen und Verboten“ erfreulich detaillierte Angaben zu den Feinheiten:

„a.) Nur kurzfristige Tätigkeiten (max 2h) von der Leiter aus durchführen […] Windangriffsfläche sollte 1 m² nicht übersteigen [...]

Nichtbeachten der Traglast (im Regelfall max. 150kg) […]

Die Benutzung von schadhaften Leitern ist untersagt.“

Schade, jetzt darf ich nicht mehr das neueste Laborjournal in Ruhe auf der Leiter lesen. Obwohl ich damit nicht die Traglast überschreite. Nur die Zeit trennt uns. Womöglich ist auch die Windangriffsfläche durch mein breites Kreuz überstiegen und ich darf sowieso nicht mehr aufsteigen. Und überhaupt müssen wir eine neue Leiter kaufen, die alte war so schön schadhaft. Aber eigentlich glaube ich, dass sich für mich das Problem gar nicht stellt, da ich wahrscheinlich sowieso nicht mehr auf eine Leiter steigen darf. Denn im nächsten Punkt 1.8 heißt es:

„a.) Die körperliche Eignung für Tätigkeiten unter Absturzgefahr sollte abgeklärt werden (z.B. Gespräch mit Mitarbeiter). […]

c.) Sollte es zu einem Ereignis gekommen sein, wie z.B. zu einem plötzlichen Bewusstseinsverlust, ist eine Information von Vorgesetzten und Ersthelfern angeraten und ggf. gefahrgeneigte Tätigkeiten zu meiden. Der BÄD bietet hierzu die Untersuchung nach Grundsatz 41 an.“

Schon vor dem Ende dieses vielseitigen Formulars kam es bei mir zu einem plötzlichen Bewusstseinsverlust – also sollte ich wohl gefahrenträchtige Tätigkeiten meiden, zum Beispiel zur Arbeit an die Uni fahren. Ich muss dringend ein Gespräch mit den Mitarbeitern führen und sie fragen, was sie von meiner körperlichen Eignung halten. Wahrscheinlich sollte ich sie regelmäßig fragen, auch wenn ich nicht – wie mein Kugelschreiber, meine Hand und mein Kopf – allgemein ein Arbeitsmittel bin, denn:

„a.) Als Arbeitsmittel unterliegen Leitern und Tritte einer regelmäßigen (mindestens) jährlichen Prüfpflicht. Prüfung der Arbeitsmittel vor jeder Benutzung durch den jeweiligen Nutzer.“

Die Prüfung von jedem Benutzer ist die eine Sache, die fachmännische Prüfung für die jährliche Prüfpflicht darf aber richtigerweise nur von einem Profi vorgenommen werden. Denn sonst kommt es zu Punkt 1.6: „Gefährdung durch nicht qualifiziertes Personal“. Um das zu vermeiden, muss ich als Leiter der Struktureinheit (Ich weiß gar nicht, sind Abteilung oder Institut für molekulare Botanik an der Uni Ulm eine Struktureinheit – oder nur ein Saftladen?) folgende Maßnahme durchführen:

„a.) Festlegung des Kenntnisstandes als „Befähigte Person“ für die Beauftragten zur Prüfung von Leitern und Tritten.“

Befähigt oder unbefähigt, das ist die Frage. Zur Erinnerung: a.) ist immer die vorgeschlagene Maßnahme in dieser GB. Was auch immer das heißen soll, sicher ist nicht jeder das, was unter Rubrik „c.) Bemerkungen / Hinweise / Istzustand“ verklickert wird:

„c.) Beauftragte zur Prüfung von Leitern und Tritten erlangen die Befähigung über eine Schulung durch externe Dienstleister oder in universitätsinternen (durch Abt. V-5) Erstunterweisungen. Die Erstunterweisung findet einmal jährlich statt, es folgt danach eine jährliche Wiederholungsunterweisungen der Beauftragten durch Abt. V-5. Die Dokumentation erfolgt über Unterschriftenliste. Unterwiesene ohne technisch-, handwerklichen Berufshintergrund dürfen Tritte, Rolltritte und (Steh-)Leitern mit weniger als (5) bzw. 7 Stufen/Sprossen prüfen.“

Ganz prima, dass die Erstunterweisung einmal jährlich stattfindet, dann kann man sie wenigstens nicht mit den jährlichen Wiederholungsunterweisungen verwechseln. Alles super organisiert, und ich fühle mich auf sicheren Füßen, selbst wenn ich ohne technischen oder handwerklichen Berufshintergrund ganz allein meinen Elefantentritt geprüft habe.

Sie finden das alles kompliziert und langweilig? Ich nicht. Seien Sie froh, dass sie bis hierher gelesen haben, in dem Formular selbst hätten sie womöglich, so wie ich, vor lauter Komplexität einen Bewusstseinsverlust erlitten.

Vergessen Sie nicht, komplizierte Formulare dienen der Verunsicherung des Ausfüllenden und zeigen die Macht und Kompetenz des Entwerfenden. Meine Kompetenz in der Bürokratie zeigt sich also am besten, wenn ich die Anweisungen unter Punkt 1.3 dieser interaktiven Vorlage befolge, statt über Sinn und Unsinn des Lebens und der Welt nachzudenken:

„a.) Erstellung einer Betriebsanweisung, die den Umgang Leitern und Tritten im Wirkungsbereich der Struktureinheit regelt (z.B. Anpassung der Vorlage).“

Das ist doch so einfach:

„c.) Eine digitale Vorlage „BA-00003_ Rev00_Leitern_ und_Tritte.doc“ wird durch die Abt. V-5 im Intranet angeboten. BA wird den Mitarbeitern zu Verfügung gestellt. Piktogramme können ggf. über Abt. V-5 bezogen werden.“

Wir sollten uns keinesfalls über so wunderschöne Formulare beklagen, in denen wir sogar online etwas ausfüllen können, das sich nur durch unsere eigene Schuld plötzlich nicht mehr speichern lässt. Haben wir genügend solcher für uns so bequem vorbereiteten Vorlagen und keine Zeit mehr für etwas anderes, so bleibt uns dennoch die Kompetenz in Lesen und Schreiben durch die Übung erhalten. Und klopfen Sie sich ruhig auf die Schultern – das Überleben im Dschungel der Papiere von Behörden belegt ein Minimum an Intelligenz.

Übrigens hat neulich ein Mitarbeiter meiner Strukturabteilung, in diesem Fall der Leiter, beim unsachgemäßen Schließen seiner Bürotür einen Finger nicht schnell genug herausgezogen und schmerzhaft eingeklemmt. Ich muss daher aus gegebenem Anlass eine ausführliche Arbeitsanleitung für das Schließen von Türen bei der Universitätsverwaltung anmahnen.