Parkinsonsche Gesetze

Axel Brennicke


Editorial

(14.05.2014) Auch im normalen Leben lässt sich nicht vermeiden, dass das Gespräch früher oder später auf Bürokratie kommt – nicht nur in dieser Kolumne.

Sage ich dann „Parkinson lässt grüßen“ schaut man mir umgehend auf die Finger. „Nein“, sage ich, „nicht der Parkinson, der andere.“ Verständnislose Blicke. Damit ich diesen Herrn Parkinson nicht immer neu vorstellen muss, erlauben Sie mir hier einige seiner Einsichten zu verbreiten. Obwohl schon mehr als ein halbes Jahrhundert alt, sind die meisten unverändert aktuell. Leider.

Also, Cyril Northcote Parkinson (1909-1993) leitete aus seinen Erfahrungen mit der britischen Kolonialverwaltung und der Marine Gesetzmäßigkeiten ab, die er im Economist und in Harpers Magazine als Essays publizierte und schließlich 1957 in Singapur als Büchlein zusammenfasste. Die Kernaussage ging als Parkinsonsches Gesetz in die Wirtschaftswissenschaften ein.

Als Parkinson 12 Jahre alt war, definierte der Philosoph Max Weber, was Bürokratie beziehungsweise Bürokratisierung ist: Die Organisation einer Verwaltung. Eine bürokratische Organisation baut auf einer starren Arbeitsteilung mit definierten Kompetenzen der einzelnen Bürokraten auf. Die Zuständigkeiten sind strikt hierarchisch in Form einer Pyramide verteilt. Informationen werden in Akten gesammelt und weitergegeben. Je kleinteiliger diese Merkmale werden, umso stärker die Bürokratisierung.

Editorial

Das Parkinsonsche Gesetz sagt, eingängig formuliert: „Arbeit lässt sich wie Gummi dehnen, um die Zeit auszufüllen, die für sie zur Verfügung steht.“ (Alle Zitate aus der deutschen Ausgabe „Parkinsons Gesetz und andere Studien über die Verwaltung“, Econ & List 1999). Dabei definieren wir „Arbeit“ heute auf Neudeutsch als „Output“ – also die Arbeit, die von dem gesamten betrachteten Bürokratieapparat nach außen geleistet wird. Parkinson hat erkannt, dass die nach außen produktive Arbeit nichts zu tun hat mit der intern abgeleisteten Arbeit. Intern wird gearbeitet bis zur Erschöpfung – sichtbare Ergebnisse als Beiträge zur Volkswirtschaft müssen dabei nicht unbedingt entstehen.

Ein Beispiel Parkinsons ist die Evolution der britischen Marine. Von 1914 bis 1918 nahm die Zahl der Schiffe um 67% und die Zahl der Matrosen und Offiziere zur See um 31% ab. Dagegen nahm die Zahl der „Land-Beamten“ an den Werften um 40% und in der zentralen Verwaltung um 78% zu. Zweites Beispiel: die englische Kolonialverwaltung, die zwischen 1935 und 1957 von 327 auf 1.991 Beamte zunahm – obwohl die Kolonien nicht mehr wurden.

Analoge Zahlen aus dem Uni-Leben habe ich an dieser Stelle schon oft gebracht: die Zahl der Personen in den Uni-Verwaltungen nimmt zu, die der Lehrenden und Forschenden ab. Besonders krass sind diese Entwicklungen bei den unbefristeten Stellen. Das Argument, dass in der Verwaltung „Kontinuität“ und „Planbarkeit“ sowie „Verlässlichkeit“ herrschen müsse, ist dabei ein Symptom der Bürokratiekrankheit. Es darf sich nichts ändern. Niemand darf Sinn, Nutzen oder Effizienz hinterfragen. Kontinuität sichert die Bürokratie.

Warum wächst jede Bürokratie wie ein Tumor? Parkinson formuliert zwei Axiome: 1. „Jeder Beamte oder Angestellte wünscht die Zahl seiner Untergebenen, nicht aber die Zahl seiner Rivalen, zu vergrößern.“ 2. „Beamte oder Angestellte verschaffen sich gegenseitig Arbeit.“ Ersteres Axiom belegt die moderne Uni-Verwaltung sauber mit der erwähnten „Verlässlichkeit“: In der Verwaltung (und nicht nur dort) wählen mittelmäßige Mitarbeiter aus den Bewerbern immer noch weniger mittelmäßige Personen aus, um sich auf gar keinen Fall Konkurrenz im Nest zu schaffen. Parkinson erklärt, dass ein Beamter, der entweder in der Hierarchie aufsteigen will oder sich überarbeitet fühlt, die Einstellung von zwei Untergebenen beantragt – und natürlich bekommt. Dabei dient die Überarbeitung als unschlagbares Argument – ob sie wirklich oder eingebildet ist, ist egal. Es müssen stets zwei Junioren sein, weil einer sonst die Arbeit des Beamten allein übernimmt und so zur Konkurrenz wird.

Die beiden Untergebenen belegen nun die zweite These Parkinsons: sie verschaffen sich gegenseitig Arbeit, indem der eine Sub-Beamte dem anderen eine Akte mit diesem oder jenem Vermerk weiterreicht. Oder ein Antwortbrief wird von einem entworfen, vom anderen überarbeitet und dem Chef-Beamten in Aktendeckeln zum Abzeichnen geschickt. Dieser verbessert einiges – und der Brief macht noch mindestens eine zweite Runde, bevor er herausgeht.

Die nach außen geleistete Arbeit, der Brief, ist nicht mehr geworden, aber jetzt sind drei Personen fleißig und erschöpft. Genauso ist es in jeder Verwaltung. In den Werkstätten von Behörden wie der Uni werden die Meister und Techniker, die mit Schraubenzieher und Inbusschlüssel durch die Gänge laufen, immer weniger. Das Abrechnungswesen über jede Schraube dagegen eskaliert und beschäftigt ganze Heerscharen an teuren Computern und SAP Programmen. Hatte ich Ihnen schon erzählt, dass wir wirklich eine Rechnung über 0,02 Euro für ein Kleinteil als Uni-interne Rechnung bekommen haben?

Ja, richtig, in letzter Konsequenz wachsen Verwaltungen auch ohne jegliche extern sichtbare Leistung, ohne jeden „Output“. Ohne jeden Sinn. Alle sind fleißig... mit sich beschäftigt.

Schlichtes Beispiel an den Unis sind die Bibliotheken. Sie haben fast keine Arbeit mehr, nur noch mit der Lehrbuchsammlung und einmal im Jahr mit der Verlängerung von Lizenzen für Fachzeitschriften. Oder mit deren Abbestellung, da der Etat von den Gehältern verbraucht wird. Die nach außen abgegebene Leistung der (an meiner Uni um die 50) Bibliotheks-Mitarbeiter nimmt ab, die erbrachte interne Arbeit bleibt uns unverständlich – durchweg sind alle sehr fleißig und voll ausgelastet.

Kosmetisch rechtfertigend heißen Bibliotheken anders, so was wie IVA (Informationsverarbeitungsabteilung) oder IVA (Internaverwaltungsapprobation). In den modernen Bürokratien werden unendlich viele Namen für scheinbar wichtige, ja notwendige zusätzliche Mitarbeiter erfunden. Besonders anfällig sind Einrichtungen wie „Marketing“, „Controlling“, „Knowhow-Transfer“, „Kommunikationszentrum“, „Qualitätsentwicklung“, „Berichtswesen“, …

Richtig, diese Begriffe finden sich auch in großen Firmen. Unternehmen, die so groß wie Behörden sind, haben die gleichen Probleme. Immer wieder finden sich Notizen in den Wirtschaftsteilen der Tageszeitungen, dass Firma XY von 8.000 oder 220.000 Mitarbeitern 300 oder 8.000 entlässt. Rationalisierung, Konsolidierung oder was auch immer – das sind genau diese autokatalytischen Bürokratieauswüchse, die entfernt werden müssen. Wer so etwas schafft, ist Millionen wert – und bekommt sie auch. Denn die nach außen geleistete Arbeit, die Produktion und der „Output“ der Firma bleiben gleich.

Parkinson bringt auch einen anderen Aspekt von Behörden-Besprechungs-Verhaltensschemata auf einen wunden Punkt: Besprechungsrunden wie Ausschüsse wachsen unaufhaltsam, die Zahl der Mitglieder steigt. Und mit zunehmender Größe nimmt die Effizienz ab. In diesen Sitzungen gilt das „Gesetz der Trivialität“. Sein Einfluss wächst mit der Größe der Kommission. Das „Gesetz der Trivialität“ besagt, dass die auf einen Punkt der Tagesordnung verwendete Zeit umgekehrt proportional ist zur Größe der Summe, die auf der Tagesordnung steht.

Parkinson erklärt das zum einen mit der individuellen Erfahrung von Geldsummen. Für uns Normalbürger sind 1, 10 und 100 Euro durch täglichen Umgang eine intuitive Realität, diese Summen können wir uns vorstellen, verbinden sie mit Schokolade, Kaffee und Tanken. Besprechen wir aber den Neubau eines Gewächshauses, eines Instituts oder gar einer ganzen Klinik, wo es um halbe, ganze und viele Millionen geht, so können wir uns das nicht wirklich vorstellen. Entsprechend schweigen wir in der Besprechung der Kommission, in der das entschieden oder auch nur diskutiert wird. Geht es um weniger Geld, die Anschaffung von Besen oder Schaufeln, können wir mitreden. Bei diesen niedrigen Beträgen haben alle etwas zu sagen, nicht zuletzt um ihr Schweigen zu den Millionen zu übertünchen und nicht als schlafend dazustehen beziehungsweise zu sitzen.

Bei dem Neubau des Gewächshauses und des Instituts für Marketing haben wir locker 0,5 beziehungsweise 6 Millionen zu viel der kostbaren, uns zu treuen Händen überlassenen Steuergelder ausgegeben. Ohne Diskussion, da niemand sich die Mühe gemacht hat, die Baukosten zu hinterfragen; oder sich zu wundern, warum die Vergleichsangebote der Baufirma mit dem OK des Vorsitzenden beziehungsweise des einzigen Baufachmanns immer direkt ein paar Tage nach dem Eingang eines der Konkurrenten kamen – und immer ein unauffälliges bisschen niedriger waren. Bei den Etatposten für Kaffee, Exkursionen, Dienstreisen und Kekse in Sitzungen wie dieser können wir hingegen alle auch ohne Lesen der Tischvorlage mitreden. Und das dauert.

Übrigens schätzt Parkinson, dass ein solcher Rat, Ausschuss oder Senat ab einer bestimmten Mitgliederzahl ineffizient wird. Er meint, dass die Geschäftsunfähigkeit mit etwa 20 oder 21 Personen erreicht ist. Das, denke ich, ist schwierig zu pauschalieren, das hängt von den Persönlichkeiten und der jeweiligen Stellung in der Hierarchie ab. Unfähigkeit zur Effizienz kann schon bei zwei bis drei Personen erreicht sein. Längst ist klar, dass Besprechungen, Sitzungen oder Klausurtagungen unter verbrämenden Ineffizienzvokabeln wie „Brainstorming“ (Hirnsturm) lediglich als „Get together“ (Kommt zusammen) dienen und die alte „Cocktail Party“ (Hahnenschwanzpartie) ersetzen. Wenn es hoch kommt, werden auf solchen An- und Versammlungen Informationen der Leitung mitgeteilt, Beschlüsse werden woanders von einem oder wenigen Chefs gefasst.

Ach ja, kreative Ideen hat immer nur eine Person. Egal ob neue oder alte.

Und Sie haben natürlich Recht, Kafka hat diese Einsichten viel schöner formuliert.