Das Peter-Prinzip

Axel Brennicke


Editorial

(10.06.2014) Auch wenn sich das „Peter-Prinzip“ ein bisschen nach Schwarzem Peter oder Peterchens Mondfahrt anhört: Es geht wie bei Parkinson (LJ 5-2014, S. 16-17) um Prinzipien von Verwaltungen – und noch mehr um deren Evolution.

Peter ist der Nachname von Laurence J. Peter, 1919 in Vancouver geboren und 1990 gestorben. Er arbeitete als Lehrer in Schulen und Gefängnissen, war Schulpsychologe und Uni-Prof. 1969 veröffentlichte er zusammen mit Raymond Hull, seinem britischen Ghostwriter, ein Buch, das Michael Jungblut ein Jahr später für den Rowohlt-Verlag übersetzte – Titel: „Das Peter-Prinzip oder Die Hierarchie der Unfähigen“

Was heißt das? Peter sagt, dass in einer Hierarchie jeder so lange aufsteigt, bis er auf einer Position ankommt, die seine Fähigkeiten übersteigt. Beispiele fallen Ihnen sicher sofort ein – hier eines von Peter:

Auto-Mechaniker Karl Tüftler ist ein Technik-Genie. Weil er jeden Fehler schon durch reines Hören erkennt und schneller als die Kollegen behebt, sind Chef und Kunden sehr zufrieden. Als der Chef eine weitere Filiale eröffnet, wird Herr Tüftler Werkstattleiter. Dort hört er sich weiter Motoren an – und lässt Bestellungen und Buchhaltung liegen. Bald gibt es keine Ersatzteile mehr – oder die falschen. Die Kunden sind unzufrieden, der Chef auch – die Filiale geht den Bach runter. Und Tüftler wird natürlich nicht mehr weiter befördert, er hat die Stufe seiner Unfähigkeit erreicht.

Editorial

Solche Werkstattleiter gibt es an Unis auch – meist auf den obersten Stufen. Ein anderes Beispiel von ebendort: Frau Pipette liebt die Laborarbeit, macht gerade deshalb hervorragende Experimente. Während der Doktorarbeit und dem ersten Teil ihres Postdoks hat sie an der Laborbank Nature und PNAS-Papers erarbeitet. Nehmen wir einmal an, sie gehört nicht zu den 99 Prozent, die rausfliegen, sondern bekommt an einer anderen Uni eine Chance als Gruppenleiterin. Nun muss sie Forschungsgelder von DFG, BMBF, irgendwelchen Stiftungen und vielleicht auch aus der Industrie erbetteln. Sie muss Projekte beschreiben, Seiten für die Gutachter füllen, entsprechend geschickt formulieren sowie Ziele und Meilensteine ausbreiten, die plausibel klingen, aber den Konkurrenten nicht Ihre Superidee verraten. Schließlich muss sie noch die richtige Stabsstelle beim BMBF oder der DFG wählen... – aber soweit kommt sie nicht. Sie macht lieber noch ein Gel, statt den Bildschirm zu füllen und Papier zu schwärzen.

Angenommen, Frau Pipette bekommt den Papierkram doch irgendwie hin und wird zur Professorin befördert. Auch darin geht sie auf. Es macht ihr Freude, das Labor zu organisieren und den jungen Leuten das Experimentieren zu zeigen. Genauso wie es sie erfüllt, Studenten zu erklären, warum der Hund das Laufen mit vier Beinen hinbekommt und weshalb die Pflanze grün sein muss. Weil alle sehen, dass sie auch als Professorin gut ist, wird sie von der Uni-Regierung befördert: sie soll in einem Ausschuss für ein Ministerium die Belange der Forschung und/oder der Uni vertreten. Da jedoch langweilt sie sich, passt nicht auf, denkt an ihr Labor und schreibt während der Sitzungen Manuskripte für Vorlesungen oder Veröffentlichungen. Ausschusskollegen, Ministerium und Uni-Regierung sind unzufrieden. Klar daher: Frau Pipette wird nicht weiter befördert, sie hat die Stufe ihrer Unfähigkeit erreicht.

Nach Peter ist diese Stufe, auf der jemand hängenbleibt, diejenige, für die er unfähig ist. Er schaut sich die bis zur Stufe der Inkompetenz Beförderten an und sieht deren schreckliches Schicksal: Herr Tüftler ist unglücklich. Er würde viel lieber Zylinderkopfdichtungen ersetzen, als sich um Papierkram kümmern. Frau Pipette ist unglücklich. Sie wäre viel lieber wieder an der Uni – und dort, wenn schon nicht im, so doch wenigstens am Labor. Und das ist das Schlimmste: Frau Pipette war glücklich und gut – und weil sie gut war, wurde sie befördert; ihre neue Aufgabe macht sie jedoch nicht gut – nun ist sie unglücklich.

Auch die Uni bestätigt also Peters Prinzip. Glücklicher Grenzfall ist nach Peter lediglich eine kleine Hierarchie mit zu wenigen Stufen – oberhalb des Profs kommt nichts mehr, zumindest nichts Brauchbares. In einer Verwaltung ist das anders. Auch in der Uni-Verwaltung ist die Hierarchie in reichlich viele Stufen eingeteilt, die es zu erklimmen gilt. Schauen Sie sich nur einmal die endlose Leiter des TVöde – Verzeihung: des Tarifvertrags für den Öffentlichen Dienst (TVöD) – an. Und dann noch die unzähligen Fallgruppen (Abfallgruppen? Fallgruben? Abfallgruben?...).

Peter betont, dass die meisten Menschen auch auf der Stufe ihrer Unfähigkeit weder dumm noch faul sind. Sie sind nur zu einer Arbeit gewechselt (worden), die neben ihren Fähigkeiten liegt. Sie haben jetzt Aufgaben, für die sie nicht ausgebildet sind und die ihnen keine Freude bereiten – und die sie deshalb nicht können. Je höher die Position in der Verwaltung, desto größer ist diese Gefahr. An meiner kleinen Uni hat die Verwaltung 500 Mitarbeiter und reichlich Hierarchie. Auch hier hat Peter komplett Recht: auch hier sind die allerwenigsten faul, dumm oder böswillig – sie sind nur alle in der Hierarchie gefangen.

Dieses Gefängnis erklärt Peter mit der Tatsache, dass in einer hierarchischen Verwaltung wie an der Uni immer nur von innen bewertet wird und nie von außen. Denn von dort sehe man sofort, wie lächerlich, absurd und verschwenderisch verantwortungslos vieles in der Verwaltung ist, was von innerhalb des Systems völlig logisch erscheint.

Ein Beispiel aus der Wirklichkeit: In einem Regierungspräsidium will jemand seine Arbeit besonders gut machen, um sich sich für eine Beförderung zu profilieren. Er möchte in der Hierarchie positiv auffallen, dies aber ohne viel eigene Arbeit. Mit welchen Maßnahmen könnte er sich also innerhalb des Systems lieb Kind machen? Endlich kommt er auf die Idee, dass die bisher an den Unis ohne ausführliche inhaltliche Vorgaben abgehaltenen Prüfungen für angehende Lehrer dringend eine gymnasiale Prüfungsordnung brauchen. Dazu schickt er vom Landeslehrerprüfungsamt (so heißt es hier in Baden-Württemberg) einen Brief an jede Uni im Land – mit der Bitte, die Inhalte der mündlichen Prüfungen festzulegen und aufzuschreiben. Von außen ist sofort einsichtig, wie unsinnig das ist. Jede Uni muss selbstverständlich die Lehrer das Selbe lehren, die Grundlagen der Biologie sind überall gleich. Und deshalb wird jede Uni parallel ziemlich den gleichen Themenkanon erarbeiten – eine uneffektive und verantwortungslose Verschwendung unserer Arbeitszeit an den Unis.

Ganz abgesehen davon, dass der Mann natürlich nicht faul ist und die Themenlisten der Unis über viele Schreiben so lange an die bürokratischen Phantasien anpasst, bis alle wieder gleich sind. Wir nehmen auch nicht an, dass der Bürokraten-Mann uns Uni-Lehrern misstraut und meint, dass er die Prüfungen besser als die Unis machen könnte. Er denkt und bewegt sich eben nur innerhalb seiner Hierarchie – und da macht dieser Unsinn soviel Sinn, dass er auf Beförderung hoffen kann. Schließlich haben die Regierungspräsidien aller Länder die Abitur-Prüfungen an den Gymnasien genau so organisiert – welch glänzende Aufstiegsmöglichkeiten ergeben sich wohl für einen, der das Gleiche an den Unis hinbekommt?

Und so zeigt uns dieses Beispiel eine weitere Einsicht von Peter: Der perfekte Aufsteiger denkt nichts Neues und versucht nicht, grundlegend umzukrempeln – er überträgt bürokratische Muster, die in einem Bereich bereits anerkannt sind, auf einen anderen. Damit kennt man sich schon aus, und die Hierarchie wird nicht gestört. Denn schließlich ist jeder, der auf der Stufe seiner Inkompetenz steht, nicht nur unglücklich und überfordert, sondern auch unsicher. Lieber fragt er zehnmal die Kollegen, ob es so richtig ist, als nur einmal.

Viele der Geschichten, die ich hier im Laborjournal erzähle, werden durch genau diese Schemata so aberwitzig – sind aber innerhalb der Bürokratie durchaus logisch: Der Rahmenvertrag mit einem 100 km entfernten Reisebüro, das einige Prozent Rabatt gibt und doch teurer ist als das hiesige; das marode Gewächshaus, das nur auf dem bürokratischen Weg innerhalb der Verwaltung erneuert werden kann – und somit dreimal mehr kostet, als die Firma verlangen würde, die mein Kollege befragt hat;…

Manchmal denkt man von außen, dass Verwaltungen absichtlich lügen und betrügen. Wie damals, als die Politik im Landtag allen Ernstes verkündete, der Stuttgarter Tiefbahnhof würde uns Steuerzahler gar nichts kosten, da die Grundstücke der oberirdischen Gleise soviel Geld einbringe, wie im Bahnhof selbst vergraben würde… Aber vielleicht haben unsere Regierenden diesen Schwachsinn wirklich geglaubt – und sind gar nicht so schlecht?

Aus Peters „Aufstieg-bis-zur-Unfähigkeit“- Prinzip folgt logischerweise, dass irgendwann auf jeder Stelle in der Hierarchie ein Unfähiger sitzt. Aber wer macht dann die Arbeit? Die nach außen sichtbare, produktive? Das sind nach Peter die, die noch nicht die Stufe ihrer persönlichen Unfähigkeit erreicht haben. Also oft die Mitarbeiter, die neu eingestellt wurden und/oder ganz unten stehen.

So ist es auch in der Hierarchie der Uni-Verwaltung: Die Arbeit machen diejenigen Mitarbeiter, die soweit unten stehen, dass sie ihre Stufe der Inkompetenz noch nicht erreichen konnten. Also werden unsere Pipetten noch von unseren Drittmitteln bezahlt und HiWi-Verträge abgeschlossen. Auch die Parkgebühren werden uns abgenommen, genauso wie die Sorge um die Overhead-Mittel. Aber sobald es etwas höher geht, wird es schwierig. Schon die Übersicht über unsere Kontostände ist nicht einfach, aber auch die internen Stellennummern unserer Mitarbeiter und Kollegen sind bereits im Dschungel der Hierarchie vollständig untergegangen.

Kennen Sie eigentlich die Hierarchie ihrer Uni-Verwaltung? Wissen Sie, wer da wessen Chef und wer dessen Chef ist? Haben Sie schon mal ein Organigramm ihrer Uni-Verwaltung gesehen? Ob die das überhaupt hinbekäme?

Peter schließt daher mit der These, dass man seine Energie vielleicht sinnvoller auf die Vermeidung einer Karriere verwenden sollte. Ansonsten ist das Buch jedoch nicht gut geschrieben und voller Redundanzen. Lohnt sich nicht zu kaufen.