Weg mit dem Uni-Durchfall

Axel Brennicke


Editorial

(12.03.2015) Durchaus „kreativ“ wollen Bund und Länder die Zahl der Studienabbrecher senken.

Nr. 0815: Mal wieder eine neue Maßnahme der Bundesregierung zur Verbesserung unserer Unis. Mal wieder geht’s um die Lehre. Muss doch arg im Argen liegen. Ob allerdings irgendeine Maßnahme der Bundesregierung tatsächlich die Lehre verbessert, ist leider zu bezweifeln. Die bisherige Erfahrung zeigt eher, dass, sobald die Bundesregierung Geld für die Lehre gibt, die Länder ihre Mittel für die Lehre an den Universitäten überproportional reduzieren. In den zehn Jahren zwischen 2000 und 2011 zum Beispiel stiegen die Bundesmittel je Studierendem um rund 500 € an, parallel sanken die Geldmittel der Länder im Schnitt um 1.400 € pro Studienkopf. Wurden im Jahr 2000 noch insgesamt 9.600 € pro Jahr Studentenlernen ausgegeben, so waren es 2011 nur noch 8.700 €. Es besteht kein Grund anzunehmen, dass sich das Verhältnis zwischen Geldmitteln des Bundes und Geldmitteln der Länder in den kommenden Jahren und Jahrzehnten anders entwickeln wird.

Dies als Basis und Extrapolation. Und jetzt geistert neu herum: Die Bundesregierung verpflichtet die Länder, ab dem Jahr 2016 zehn Prozent der Gelder für jeden neuen Studienplatz abzuzweigen, um „mehr Studierende qualitätsgesichert zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen“. „Qualitätsgesichert“ ist eines dieser Politsprech- Wortgetüme, das man sich nicht erst ausführlich auf der Zunge zergehen lassen muss, um sicher zu sein, dass es direkt in die Topliste der schwachsinnigen Leerräume gehört.

Editorial

In dem anstehenden Entwurf der Bund-Länder-Vereinbarung zum Hochschulpakt 2020 werden pro Jahr pro Studienplatz insgesamt 26.000 € kalkuliert. Davon soll die eine Hälfte vom Land kommen, die andere vom Bund. Der Zehnte soll nicht nur von den Geldern, die die Bundesregierung für jeden neuen Studienplatz zur Verfügung stellt, abgezwackt werden, sondern auch der Landesanteil soll zu zehn Prozent in zielgerichtete qualitätsgesicherte Maßnahmen gegen Studiendurchfall fließen. Damit sollen also insgesamt 2.600 € pro Studienplatz gegen Abbrecher eingesetzt werden.

Völlig übersehen in dieser Überlegung wird die Diskrepanz zwischen der Kalkulation pro Studienplatz von 26.000 € und der Realität im Jahr 2011 von lediglich 8.700 € pro Studienkopf. Um die theoretische Kalkulation der pro Studienplatz verfügbaren Mittel in der geplanten Bund-Länder-Vereinbarung zu erreichen, müssten folglich zwei von drei Studenten zum sofortigen Abbruch des Studiums gezwungen werden.

Und nun sollen mehr als ein Viertel der pro Studienkopf real zur Verfügung stehenden Mittel für das genaue Gegenteil, nämlich für den qualitätsgesicherten Verbleib gerade dieser Studenten an der Uni ausgegeben werden. Die Rechnungen des Zehnten gehen von 26.000 € pro Mensa- Esser aus, auch wenn das reale Kopfgeld nur 8.000-9.000 € sein wird. Dann werden eben davon 2.600 € abgezwackt.

Der Haupteffekt der zukunftsträchtigen Bund-Länder-Kooperation wird also die qualitätsgesicherte Verschlechterung der Lehre sein. Das ist nur konsequent, hat sich doch schon das reine Zahlenverhältnis zwischen Lernenden und Lehrenden zuletzt immer weiter verschlechtert. Alles im Zuge der vorausschauenden Gewährleistung der Bildung unserer Kinder (wenn schon Genitiv, dann richtig), der Vorbereitung für die weiter zunehmende Komplexizitätsintensivierung (auch ein cooles Wort, oder?) unserer wissenschaftsbasierten und technologieintensiven Gesellschaft und Welt. Da sowieso alle Schulklassen geschlossen von der Grundschule ins ehemalige Gymnasium wechseln sollen und ebenso geschlossen die Universität bevölkern sollten, muss diese sich eben qualitätsgesichert an die duale Ausbildung anpassen und Mindestlohnempfänger kompetent bilden.

Immerhin können wir qualitätsgesichert davon ausgehen, dass die Gelder gegen den Studentendurchfall ebenso wenig mit der Lehre interferieren, wie die bisherigen exzellenten Leuchtturmgelder. Bis auf einige sinnlose Befragungen von widerwilligen Studenten, die eigentlich lieber etwas lernen wollten, als zur Selbstverwirklichung und Geldverbrennungsrechtfertigung von Psycho- und Sozioprojektanden beizutragen, fielen diese Fördermaßnahmen in der Lehre kaum auf. Doch warum bedrängt man uns mit diesen qualitätsgesicherten Fragebogen-Projekten ausgerechnet in den Vorlesungen – unseren kostbaren wissenschaftlichen Erzählrunden? Und nicht etwa in der Mensa? Weil die Studenten intuitiv und sachlich die Fragerei als sinn- und zweckfrei erkennen. Und laut expliziter Begründung der Frageristen nur in den Vorlesungen zum Sitzen eingefangen werden können. Aber dazu ist die Vorlesung nicht da, dazu kommen die Studenten doch nicht her. Kein Wunder, dass die Studenten schwänzen und am Ende qualitätsgesichert durchfallen. Zum Glück wird ein erheblicher Teil dieser Gelder für die Selbstbeschäftigung neu eingestellter Qualitätssicherer ausgegeben werden, da die Hochschulen nach der Planung jährlich über die durchgeführten Maßnahmen und die Erreichung der Ziele Rechenschaft ablegen müssen. Wahrscheinlich möchten Bund und Land Durchaus „kreativ“ wollen Bund und Länder die Zahl der Studienabbrecher senken. „Kein Wunder, dass die Studenten qualitätsgesichert durchfallen.“

Zum Glück wird ein erheblicher Teil dieser Gelder für die Selbstbeschäftigung neu eingestellter Qualitätssicherer ausgegeben werden, da die Hochschulen nach der Planung jährlich über die durchgeführten Maßnahmen und die Erreichung der Ziele Rechenschaft ablegen müssen. Wahrscheinlich möchten Bund und Land ebenso verzweifelt wie vergeblich verhindern, dass die neue Geldfixierung auf Verwaltungstechniken genauso sinnlos ist und genauso wenig Erfolg haben wird, wie das in der Bologna-Reform vor Jahren bereits explizit formulierte Ziel, die Abbrecherquoten unter den Studenten abzusenken.

Das intrinsisch Komische dabei ist aber, dass die Prozentsätze der Abbrecher unter den Studenten nicht viel schlechter geworden sind als vor 10, 20 oder 40 Jahren. Obwohl wir uns vor Augen halten müssen, dass heute doppelt so viel junge Menschen studieren wie vor 40 Jahren. Um die Nicht-Durchfallquote zu verbessern, liegt schon seit Jahren im Koalitionsvertrag der Bundesregierung die Idee auf Eis, das Kopfgeld für die Studenten durch eine Erfolgsprämie zu ersetzen oder zu erweitern. Demnach soll also pro vergebenem Bachelor und Master ein Abschlussbonus ausgeschüttet werden. Ein Schelm, wer dabei vermutet, dass da die Finanzrechner dahinterstecken, die die Unis in Vorkasse gehen lassen wollen und erst in ein paar Jahren rückwirkend die Unkosten für die Lehre erstatten. Und auf diese Weise vorher eine rote Null erfinden.

Es gibt aber noch andere, ganz kreative Ideen, das Zählwerk der erfolgreichen Studenten und der Abbrecher zu verbessern. Verbessern heißt natürlich, den Unis weniger Geld geben zu müssen und gleichzeitig mehr Verwalter und Zähler einstellen zu können. Dazu zerbrechen sich zum Beispiel hochbezahlte Leute ihre eleganten Häupter, was denn nun ein Durchfaller genau sei. Ist ein Studienabgänger auch ein Studienabbrecher? Was ist, wenn der vermeintliche Abbrecher nur an eine andere Uni umzieht – näher an Mamas Fleischtöpfe etwa? Oder wenn die Studentin endlich aus dem Wartestudium Biologie in die Medizin aufsteigen darf?

Natürlich haben die Bürokraten diese ernsten Probleme längst erkannt und differenzieren fein. So etwa die Studierendenforschung am DZHW: „Nur wer das Studium ohne Abschluss beendet, fällt unter die Definition Studienabbrecher“. Die anderen, die Fach oder Uni wechseln, heißen Schwund. Sie sehen die intellektuelle Feinheit der Bürokraten: Wenn die schwindende Studentin aus der Biologie verschwindet, hat sie nicht das Studium der Biologie abgebrochen, sondern studiert weiter. Dass die Uni vorher für sechs Semester Biologie Lehre zahlen musste und dann noch für das ganze Medizinstudium, das bleibt fein an den Unis hängen. Abbrecher sind nur die, die die Uni verlassen – ohne Bachelor und ohne anderen Abschluss.

Das Problem dabei ist, dass die Verwaltungen der Unis zu klein sind, um diese Zählerei ordentlich durchziehen zu können. Daher muss das Verfahren in der Unistatistik vereinfacht werden, damit auch die monströsen Univerwaltungen damit klar kommen. Ein Vorschlag will jedem Studienanfänger eine neue Bürokratienummer eintätowieren lassen. Diese ließe sich dann durch alle Fächer einer Uni und durch alle Unis unserer Länder verfolgen. Die Verwaltungen jubeln – dazu müssen neue Fachleute (auch Tätowierer) eingestellt werden, und schließlich können nur Dauerstellen so etwas ordentlich deutsch durchziehen. So, wie Österreich es vormacht.

Man will ja jetzt der Euphorie für die Erweiterung der Unibürokratie nicht miesepetrig die Laune verderben, aber haben wir seit einigen Jahren nicht schon jeder eine Bundes-ID-Nummer? Im Finanzamt liegt die beste, da geht es schließlich auch um unser Geld. Diese ID könnten eigentlich auch die Unis verwenden – statt ein neues lahmendes Rad zu erfinden. Ja, ich weiß, das wäre viel zu einfach, würde keine teuren zusätzlichen Stellen in den Verwaltungen schaffen und brächte auch nichts für das Image der Univerwaltungen. Schließlich haben wir in jeder Behörde eine neue Nummer, sei es die staatliche Personalverwaltung, sei es die staatlich verordnete Krankenkasse – jeder kennt die unzähligen kranken Nummern, wenn auch nicht auswendig.

Eine saubere, konsequente Lösung für die Unis wäre natürlich die Abschaffung von Durchfallern. Jeder besteht alle Klausuren und das Studium. Aber das geht nicht mit Baccalaureat, Bachelor oder Magister – wenn ich schon nach dem ersten Semester den Abschlusszettel allein mit der Drohung abzubrechen bekommen kann, wird nur der Dümmste noch weiterstudieren wollen. Wäre dann allerdings billiger für die Unis.

Meine konstruktive Empfehlung an die Unis für den Fall, dass der Koalitionsvertrag zusammen mit der Maut umgesetzt wird: Jeder Student bekommt nach jedem Semester ein Zertifikat. Fertig ist der Abschluss, und die Studentin ist kein Abfall. Und die Unis bekommen wieder Geld für jeden Studenten. Bis die Bürokraten bei Bund und Land sich neue feingeistige Differenzierungen im nächsten Koalitionsgehudele ausgedacht haben, rollt die Kohle. Aber psst – nicht drüber reden. Keine Pressemitteilung.