Mit Formularen der Mode hinterher

Axel Brennicke


Editorial

(06.06.2015) Arme Professur-Bewerber! Zusätzlich zum Formular-Wahn müsst ihr euch auch noch mit immer kurzatmigeren Modewechseln bei den Fächernamen herumschlagen.

Früher war nicht alles besser – aber man hat sich einfacher auf eine neue Stelle bewerben können. Heute hat jede Uni ihr eigenes Formular entwickelt, in dem man seinen Hirschfaktor, seine Kragenweite, die Zusammensetzung seiner Immungene, seine Haarlänge (falls vorhanden) und was weiß ich nicht alles eintragen muss. Diese Formulare haben Bürokraten entwickelt. Und was machen diese jetzt? Sie schieben anderen die Arbeit zu und ruhen sich wahrscheinlich an der Algarve aus. Wie auch immer – wer sich heute um eine neue Stelle bewerben will, muss diese Formulare ausfüllen und entweder direkt online, als CD oder als ausgedruckte Schwarz-Weißware versenden.

Zudem ist solch ein Kandidat natürlich in keiner guten Ausgangsposition, um entweder zu meckern oder sachlich auf Verbesserungsmöglichkeiten hinzuweisen. Wer im Moment eine Stelle sucht, gehört naturgegeben zu den Allerschwächsten in diesem System. Sie können sich weder wehren noch weigern, diese Formulare auszufüllen, denn sonst fliegen sie aus der Bewerbungstrommel einfach umgehend wieder raus. Außerdem sind die Bewerber meist junge Wissenschaftler, die kein eingespieltes Sekretariat im Rücken haben, geschweige denn einen Zugang zu den enormen Ressourcen der diversen Ästchen und Zweiglein in den Verwaltungen der Universität. So schuften sie sich allein und ohne Hilfe durch den Fragebogendschungel, tüfteln an Formulierungen und füllen unproduktive Formulare aus. Dadurch leidet natürlich ihre produktive wissenschaftliche Arbeit – und am Ende können die neuesten Ergebnisse nicht rechtzeitig für die Bewerbung publiziert werden.

Editorial

Eigentlich könnten diese Formulare viel besser von den Verwaltungen der Zieluni ausgefüllt werden. Schließlich haben die Berufungskommissionen einen geschmeidigen Zugang zur Verwaltungskapazität – auf Leute also, die Lebensläufe und Informationen der Bewerber in egal welcher Form aufarbeiten und in entsprechend genehme Formulare einfügen könnten.

Und wenn schon die Bewerber diese Formulare ausfüllen müssen, dann sollten sie doch wenigstens bundesweit einheitlich sein. Denn wäre dies so, könnte der Bewerber im Prinzip bei der zweiten, dritten und 112. Bewerbung immer das gleiche Formular verwenden. Als ein Selektionskriterium bliebe dabei, dass nur weiterkommt, wer nicht vergessen hat, den Namen der entsprechenden Universität zu ändern – von Köln auf Konstanz, von Mainz auf Marburg, von Freiburg auf Frankfurt, von Berlin auf Bielefeld... Das wäre durchaus zumutbar.

Viel weniger zumutbar ist dagegen das immer eigene und anders gestaltete Formular, das jede Uni neu erfunden hat und zwanghaft verwendet. Jeder weiß, dass sich bundesweit rein von der Nachfrage her etwa 100 bis 200 qualifizierte und fähige junge Leute auf jede der wenigen freiwerdenden Professuren bewerben werden. Bewerben müssen, denn das ist die einzige Chance, die sie haben, um als Wissenschaftler weiterarbeiten zu können. Also verbringen sie einen großen Teil der produktivsten Zeit ihres kreativen jungen Lebens mit dem Ausfüllen von immer weiteren bescheuerten Formularen. Von Formularen, die Bürokraten ersonnen haben, die auf Dauerstellen sitzen und sich nicht vorstellen können, dass irgendjemand auf dieser Welt etwas Besseres zu tun haben könnte, als die richtige Zahl an der richtigen Stelle in das richtige Kästchen im einzig richtigen Formular zu setzen. (Und wie oft ist dieses tolle Formular dann online gar nicht ausfüllbar, sondern muss ausgedruckt und auf Papier ausgefüllt werden, um dann als gescannte PDF-Datei wieder zurückgesandt zu werden. Online ist zwar gut und schön – aber nicht alles funktioniert überall und in jedem System.) Bei 50 ähnlich guten Bewerbern muss also jeder 50 verschiedene Formulare lernen und beschriften. Falls überhaupt zu Lebzeiten so viele Stellen frei und nicht gestrichen werden. Dann kommt das Problem, dass die Bewerberin sich aus den Zähnen ziehen muss, warum sie gerade auf diese Stelle passt beziehungsweise warum gerade diese Uni auf dieser Stelle diese Kandidatin haben muss. Da ist Kreativität und Fantasie gefragt – und ist somit auch hier ein wichtiges Selektionskriterium.

Einst hießen die Abteilungen an den Unis Botanik, Zoologie oder Physik. Da hat man sich informiert, was dort schon gemacht wird, und sagte dann entweder, man passe gut zu den anderen, weil man Ähnliches erforscht, oder pries sich als Ergänzung zum Bestehenden an – als der, der noch fehlt. Jetzt aber steht etwa in der Ausschreibung, dass die Bewerber Erfahrung mit dem Homogenisator KZfG 712E haben müssen. Davon gibt es nur ein Exemplar in der ganzen Republik, und das steht an der Zieluni. Klar, dass nur jemand von dort Erfahrung damit haben kann.

Die nächste Stelle ist dann ebenso zielgenau mit diffusen Worthülsen beschrieben, unter denen sich niemand etwas Genaues vorstellen kann. Doch dazu kann die Uni nichts, die Kommission schon gar nicht, denn die Politik wollte die Stelle nur bewilligen, wenn etwas ganz Neues, Modernes, Hippes, noch nie Dagewesenes, Unverwechselbares da steht – ein Alleinstellungsmerkmal. Kommission und Uni mussten sich also diesen Firlefanz ausdenken, sonst hätte die Nachbaruni im Land die Stelle zugewiesen bekommen.

So entsteht der Schlussverkauf der Namen. Je nach Herbst- oder Frühjahrsmode werden Namen erfunden, um sich der Politik der Neuerungen und der Geldgeber zügig anzudienen. Einst studierten die Studenten Biologie oder Chemie, und die Biologie-Institute oder -Abteilungen (auch diese Vornamen wechseln wie das Wetter) hießen schlichtweg Botanik und Zoologie. Dann kam zögerlich für eine Elite Biochemie dazu – für die Exzellenzen, die sich nicht entscheiden konnten. Heute reicht das schon lange nicht mehr. Studiengänge, Stellen und Institute heißen modern Synthetische Mikrobiologie, Vergleichende Genomik von Mikroorganismen, Systembiologie der Prokaryoten,... Das Erstaunliche daran ist jedoch, dass oftmals ein und dieselbe Person innerhalb von drei Jahren Professuren mit den beiden letzten Titeln innehatte – und dennoch seit zwanzig Jahren das gleiche Thema macht: Mikrobiologie, allerdings jetzt an einem „Zentrum für Synthetische und Systembiologie“. Es sind folglich die Bezeichnungen, die anpassungsfähig sind – was aber auch heißt, dass sie absolut sinnfrei sind. Egal wie bemüht die Details jeweils daher kommen.

Was geht alles noch? Natürlich gibt es molekulare, angewandte, technische, experimentelle, klinische und was noch alles für Mikrobiologie. Unzählige Adjektive lassen sich vorsetzen und sogar groß schreiben – von Artige bis Abartige, Besondere bis Normale, Alltägliche bis Unreproduzierbare, Lila bis Orange, Dürftige bis Bedürftige Mikrobiologie. Denken Sie sich etwas aus, die Unis machen das genauso. „Molekular-“ und „Nano-“ sind allerdings schon wieder langweilig und abgegrast wie „System-“, „Synthetische“ und „Struktur-“. Dennoch flackern auch diese ab und an wieder auf.

Die Mode muss schneller wechseln, als es Trends und Neuigkeiten gibt. Also wird Altes als neu verkauft. Das Problem ist nur: Keiner weiß mehr, was gemeint ist. Hauptsache anders, Hauptsache Alleinstellungsmerkmal. Ob der gemeine Politiker als solcher den Inhalt begreift, ist nicht wichtig. Nur der Eindruck von etwas Neuem zählt. Modisch und chic bringt Geld auf dem Geldgebermarkt der Eitelkeiten.

Die Mode flaut zwar schnell wieder ab und das nächste Leuchtturmwort dräut am Horizont. Aber der Schaden bleibt. So gibt es hierzulande gerade noch 107 Professuren für Pharmazie, aber 134 Gender-Professuren – Professuren, die explizit an Frauen herumforschen. Allerdings ist auch diese Modewelle schon wieder vorbei, der Anteil der Ausschreibungen von Gender-Stellen sinkt bereits wieder ab. Liegt es daran, dass keinem mehr einfällt, was man mit Frauen noch politisch auffallend machen kann? Vielleicht die Verbindung zwischen Zölibat und Frauen aus theologischer Sicht erforschen?

Hoffentlich wechseln die anderen Moden auch so schnell wieder. Doch selbst wenn – leider bleiben diese Berufenen ja noch Jahrzehnte und blockieren andere Modewellen. Oder vielleicht doch gar den Fortschritt und die Zukunft?

Manche Fächer sind jedoch intrinsisch immer etwas langsamer und hinken den Trends ganz natürlich hinterher. Bei Verwaltungen etwa wundert das nicht. So wird an meiner Uni ein Kurs „Diversity Management für Hochschulangehörige, Tutor*innen, Studierendenvertretung und Mitglieder internationaler Studierendenvereine“ wie sauer Bier angeboten. Was das soll? „Das Ziel von Diversity Management ist die strukturelle Integration aller Akteur*innen eines Unternehmens oder einer Organisation. Schon der altertümliche „*“ zeigt die Gestrigkeit, die „Studierenden“ hingegen zementieren den Amateursprech, der in Verwaltungskreisen progressiv wirken soll, aber ständig der Mode nachhechelt. Dort hat sich noch nicht einmal herumgesprochen, dass „der Student“ (von Lat.: studere) die gleiche Präsensform ist wie „der Studierende“. Und im Plural ist es sowieso egal.

So wird dann Forschung unter Labeln gepusht, die längst passé sind und woanders schon lange laufen oder gar abgeschlossen sind. Aus der Langsamkeit der Umsetzung in den Uni- und Landesbürokratien entsteht so eine zweite Schicht von Problemen mit den schnellen Modewechseln, die dazu führt, dass politisch abgehakte Opportunitäten freie Qualität und Fortschritt blockieren.