Wie geboren,so verloren

Axel Brennicke


Editorial

(04.11.2015) König Formular regiert die Welt. In den Landeslehrerprüfungsämtern ganz besonders.

So ein Landeslehrerprüfungsamt ist schonein eigen Ding. So komplex wie der aus vierSubstantiven zusammengeeierte Name, sosind auch die Abläufe dort. Apropos, welche Vorgänge laufen da eigentlich?

Nun, diese Behörde sorgt zwar in jedem Bundesland anders, aber immer ineinem eigenen Gebäude mit Fuhrpark und Hausmeister dafür, dass die jungen Leute, die in Zukunft unsere Kinder kompetent unterrichten sollen, zuverlässig gut ausgebildet sind. Für bis zu 13 Planjahre vom Kinder- ins Erwachsenenleben, denn diese Ämter werden auch für Grund-, Haupt- und Realschullehrer aktiv – und nicht nur für die künftigen Gymnasiallehrer, die sich unter den anderen Studis an der Uni tummeln.

Unsere Gymnasiallehramtler legen einevom Landeslehrerprüfungsamt organisierte Fachprüfung ab, das erste Staatsexamen, zu der diese Studis sich bei eben jenem Landeslehrerprüfungsamt anmelden müssen. Da dies eine staatliche Prüfung ist, darf da nicht jeder zum Prof kommen und sich anmelden. Davor steht jeweils das Landeslehrerprüfungsamt. Zu Recht. Zum Glück für unsere Republik und unsere Kinder ist das Landeslehrerprüfungsamt mindestens so misstrauisch wie jede andere Verwaltung und verlangt zur Anmeldung (nebenviel anderem) die Vorlage der Geburtsurkunde.Der originalen Geburtsurkunde.

Editorial

Dummerweise haben nicht nur sonstwo, sondern auch bei uns viele Familien keine originalen Geburtsurkunden; seinerzeit wurden die Frischlinge nur in das Familienstammbuch eingetragen. Und nein – das würde ich auch nicht hinschicken. Das ist schließlich keine originale Geburtsurkunde, das muss das Landeslehrerprüfungsamt ja bemängeln. Außerdem schlägt ein neues Stammbuch locker 60 bis 100 Euro aus dem üppigen Studentenkonto.

Also begibt sich unsere Lehramtlerinan den Ort ihrer Geburt, lässt sich eine originale Geburtsurkunde ausstellen und schickt sie ans Landeslehrerprüfungsamt. Nach einer angemessenen Zeit für die Bearbeitung dieser Vorlage der originalen Geburtsurkundebekommt man diese nach drei bis vier Wochen zurück. Sie wissen sicher nicht, dass in einer solchen originalen Geburtsurkunde kaum mehr als drei Zeilen stehen. Das Landeslehrerprüfungsamt benötigt etwa eine Woche pro Zeile.

Das wäre ja alles ganz in Ordnung, wer braucht schon täglich seine originale Geburtsurkunde und vermisst diese schmerzlich alle paar Tage. Schwierig wird es aber für die Lehramtlerin, wenn nach dem Abschluss der Begutachtung nicht ihre, sondern eine andere originale Geburtsurkundeper Post an ihre Adresse kommt. Mit einem anderen Namen sowie anderem Geburtsort und -datum. Was jetzt?

Sie ruft an im Landeslehrerprüfungsamt. Schrecklich, sagt man dort und ist sehr freundlich. Sie solle die „falsche“ originale Geburtsurkunde doch an das Amt zurückschicken. Das Landeslehrerprüfungsamt werde sich auf jeden Fall sofort mit der anderen Studentin in Verbindung setzen, deren originale Geburtsurkunde sie habe. Unsere Lehramtlerin fühlt sich aber sicherer, wenn die Urkunde nicht den Umweg über das Landeslehrerprüfungsamt nimmt. FürFacebook war der fremde Name kein Problem, nach drei Tagen war der Kontakt geknüpft. Doch die neue Kommilitonin hat überhaupt keine originale Geburtsurkunde bekommen, auch keine falsche. Sie hat keine Urkunde zum Tauschen. Und nein, das Landeslehrerprüfungsamt habe sich nicht bei ihr gemeldet, obwohl versprochen.

Nach weiteren Anrufen beim Landeslehrerprüfungsamtund zwei Wochen Entzugserscheinungen ohne Geburtsurkunde ruft das Landeslehrerprüfungsamt unsere Lehramtlerin an. Sehr freundlich erfährt sie, dass ihre Geburtsurkunde leider verschwunden sei – schade. Doch am Tag darauf waren die Unterlagen plötzlich samt Geburtsurkunde im Briefkasten. In einemUmschlag aus dem Landeslehrerprüfungsamt. Komischer Zufall.

So bringt leider jeder Student dem armen Landeslehrerprüfungsamt ein neues Problem. Wie der erste Teil des Namens sagt, liegt das Landeslehrerprüfungsamt nicht in Timbuktu, sondern jeweils in einer Stadt eines Bundeslands wie Brandenburg oder Hessen. Wenn Sie aber denken, dass es nur ein Landeslehrerprüfungsamt pro Land gibt, unterschätzen Sie die Vielfalt der Aufgaben dieser Ämter. Es gibt viele in jedem unserer Länder, jeweils bestimmten Bezirken zugeordnet. Das ist auch gut so, schließlich müssen diese Ämter die Ausbildungder zukünftigen Lehrer unserer Kinder behutsam und menschlich konstruktiv begleiten. Während des ersten Teils, der fachlichen Ausbildung, ist es wirklich notwendig, den Profs und sonstigen Typen anden Unis sorgfältig, kritisch und misstrauisch auf die Finger zu schauen.

Die Lage wird unübersichtlich, wenn eine Studentin an zwei Unis studiert hat. Zum Beispiel Biologie an der Uni in Ulm und Anglistik an derjenigen in Stuttgart. Das war keine hinterhältige Planung der Studentin – nein, ganz einfach, in Ulm gibt es keine Anglistik. Auch keine Germanistik und sonstige Fächer für Softies. Übrigens habe ich neben Bio auch Anglistik studiert, aber in Tübingen – das ist eine richtige Uni, dort gibt es beides. Das funktioniert auch in Stuttgart, da buchstabiert man Chaucer und Beowulf in der City und sammelt Käfer und Blumen in Hohenheim. Das ist immerhin bloß halb so weit weg wie Ulm. Nun, unsere Lehramtlerin hatte Pech, nicht die Kilometer waren das Problem, aber die Uni Stuttgart liegt im Bezirk des Landeslehrerprüfungsamtes Stuttgart, für die Uni Ulm ist das Landeslehrerprüfungsamt, Zweigstelle Tübingen zuständig. Die Außenstelle Stuttgart war sehr kooperativ; die Außenstelle Tübingen jedoch zeigte unserer Lehramtlerin, wo es langgeht: „Es ist abernicht vorgesehen, dass ein Studierender die Prüfungen seiner beiden Fächer an verschiedenen Hochschulen ablegt. Wenn es das Fach Deutsch an der Universität Ulm nicht gibt, müssen Sie dort ein zweites Fach wählen, das dort angeboten wird. Sie können sich nur mit zwei Fächern anmelden, die an einer Universität angeboten werden.

Zur Erinnerung: Unsere Studentin hat gerade zwei Jahre beides studiert. Mit Genehmigung beider Unis. Stuttgart sagt, ach was, kommt immer wieder vor, dass eine Lehramtsstudentin zwei Fächer an unterschiedlichen Universitäten studiert, kein Problem. Die Provinzzweigstelle des Landeslehrerprüfungsamtes in Tübingen schießt jetzt den ersten Bock voll ab: „ […]das mag ja sein, dass so etwas alle zehn Jahremal vorkommt. Die Frage ist aber, weshalb haben Sie Deutsch nicht an der Uni Tübingen studiert und uns vorher informiert? Die Uni Tübingen gehört nämlich wie die Uni Ulm zurAußenstelle Tübingen. Das wäre buchungstechnisch einfacher gewesen.

Lassen wir uns das auf der Zunge zergehen: „Das wäre buchungstechnisch einfachergewesen.“ Das Argument der Studentin, dass bahnreisetechnisch und finanziell Stuttgart von Ulm halb so weit weg ist wie Tübingen, ist in der Provinz dagegen kaum ein Achselzucken wert.

Das Landeslehrerprüfungsamt Stuttgart zeigt freundlich auf, dass es nur an dem Online-Formular scheitert, das keine zwei Unis vorsieht – das müsse man lediglich überlisten. Jetzt bekommt der Tübinger Angst und schaltet einen Vorgesetzten oder Nebensitzer ein. Dieser stellt sich gar nicht erst vor – und holt ganz weit aus, um zu belegen: Was im Formular nicht steht, das nicht geht! Muss ein verkrachter Lehrer sein, er belehrt mit dem zweiten Oberbock:

[…] sowohl die WPO von 2001 als auch die GymPO von 2009 halten für die Meldung zur Prüfung fest (§ 9 bzw § 13): ‚Der Antragauf Zulassung zur Prüfung ist […] an die Außenstelle des Prüfungsamtes zu richten, in deren Bezirk die Hochschule liegt, an der im Semester des Meldetermins die Zulassung im Studiengang für das Lehramt an Gymnasien bestand.‘

Es ist also rechtlich für das Erste Staatsexamen vorgesehen, dass es 1 Hochschule gibt, die eine Zulassung zu einem Studiengang (= 2 Fächer) ausstellt. […] Es wäre also nicht nur eine „Überlistung“ der Online-Anmeldung notwendig, sondern auch die der Prüfungsordnung. Das halte ich für nicht möglich. M.E . ist die beste Möglichkeit für Sie, sich für Ihr Examen komplett in einen Studiengang zu überschreiben, der von den Universitäten Hohenheim und Stuttgart angeboten wird […] Die zuständige LLPA-Außenstelle ist Stuttgart.

Wenn Sie die LLPA-Außenstelle Tübingen wählen, wäre ein Erstes Staatsexamen in den Fächern Deutsch und Biologie an der Universität Tübingen durchzuführen. Dazu müssten Sie sich für die Anmeldung in beiden Fächern hier einschreiben und die Leistungen anerkennen lassen.“

Leider hat der Mann keine Ahnungvon der Post-Bologna Ära. Oder – noch schlimmer, aber wahrscheinlicher – er hat die praktischen Auswirkungen für unsere Studentin gar nicht auf dem Schirm. Die sind ihm egal. Wie seinem Kollegen: Es wäre buchungstechnisch einfacher, wenn Sie Ihr Leben ändern. „Leistungen anerkennen lassen“, von Ulm nach Tübingen? Ein echter Witz. Vor Bologna: ein Jahr Verlust – jetzt, nach Bologna: zwei bis drei Jahre Lebenszeit weg. Der Mensch interessiert rein buchungstechnisch im Landeslehrerprüfungsamt nicht die Bohne.

Unzählige Mails und Telefonate später erbettelt unsere Studentin vom Abteilungsleiter des Landeslehrerprüfungsamts Tübingen immerhin eine Anfrage auf Sondergenehmigung. Der ist auch als Bürokrat aufgestiegen (natürlich, wie sonst) und lässt zu allererst seine Untergebenen nach potentiellen Buhfrauen fahnden, denen man lässig Verantwortung und Schuld für die Mehrarbeitaufdrücken kann: „Sie schreiben unten:‚ […]zum Zeitpunkt des Hauptfachwechsels haben mir die Verantwortlichen der Universitäten signalisiert, dass das kein Problem darstellt.‘ Man hat Ihnen offensichtlich eine Falschauskunft gegeben. Bitte teilen Sie mir mit, wen Sie mit den „Verantwortlichen der Universitäten“ meinen.

Immerhin, nur ein paar Tage später hat der Chef beschlossen, dass er seine Ruhe haben will, und der Subalterne meldet: „Der Leiter der LLPA-Außenstelle Tübingen hat nun entschieden, dass über die technische Administration der Online-Anmeldung ein Zugang für Sie eingerichtet werden soll, der Ihre Eintragungen erlaubt. Das werde ich heute noch beantragen. Klappt das nicht, wird Herr [X] Ihre Daten in einem anderen Verfahren in die EDV aufnehmen.

Nach ein paar Tagen der dritte kapitale Bock: „Ich habe Ihren Fall nun nochmals mit meinem Kollegen durchgesprochen. Da sich eine Lösung über eine Veränderung der Online-Anmeldetechnik nicht abzeichnet, bitten wir Sie, […] mit Ihren sämtlichen Unterlagen bei uns vorbeizukommen. Die besondere Datenerhebung in Ihrem Fall muss manuell korrigiert oder durch Nachträge manuell angepasst werden.

Geht’s noch? Die Studentin muss sich ein Auto leihen oder ist vier Stunden auf Schienen, um ein Formular manuell auszufüllen? Mit Daten, die längst alle dort sind? Nicht nur die in der Geburtsurkunde, auch alles andere aus ihrem Leben liegt schon dort. Muss das Landeslehrerprüfungsamt Tübingen einfach mal wieder Hof halten? Gesicht zeigen und wahren?

Wie menschenverachtend kann eine Behörde sein? Es gibt offensichtlich keine Grenze. König Formular regiert die Welt. Mit unendlich vielen Lakaien. Mit nur zuwilligen Bucklern. Tendenz eskalierend.Es wäre buchungstechnisch für unsere Studenten einfacher gewesen, ihr Leben zu ändern und an die Bürokratie anzupassen. Das Büro und die Ablagen sind der Maßstab, nach dem sich das menschliche Leben auszurichten hat. Das Büro herrscht.

Wahrscheinlich haben wir jetzt eine zentrale Aufgabe des Landeslehrerprüfungsamtes erkannt: Den angehenden Referendaren und potentiellen Lehrern klar zu machen und am praktischen Beispiel einzubläuen, was Sie in den nächsten Jahrzehnten an Freude und konstruktiver Zusammenarbeit mit den diversen Behörden und Verwaltungen so erwartet. Vorschriften bis hin zu Haarschnitt und Freizeit, Verwaltungsanweisungen für Lehrpläne, Pausenregelungen und Umgang mit In- und Exklusionen. Regelwerke zur Abfassung von Klassenarbeiten, deren Paragraphen länger sind als die Klausuren.

So und nicht anders sind unsere Kinder und Enkel auf ein Leben in der Diktatur der Bürokratie zu erziehen.