Unis brauchen Druck

Axel Brennicke


Editorial

(04.12.2015) Unsere Unis stecken in der Bürokratie-Falle. Schon lange. Und alleine kommen sie da wahrscheinlich nicht mehr raus.

Aus der Krise lernen und durch Reformen die Krise bewältigen – diese zentrale Einsicht haben die meisten Länder Europas erfolgreich umgesetzt. Wobei „Krise“ wirtschaftliche Probleme meint, es also „abwärts geht“; und „Reform“ meint, mit Axt und Abrissbirne durch die Verwaltung zu gehen. Studien des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim haben gezeigt, dass auf diese Weise Großbritannien in den 1980ern, Skandinavien in den 1990ern und Deutschland mit der Agenda 2010 jeweils durch Reformen der Verwaltungen wieder Schwung aus ihren Krisen herausgeholt haben.

In der jüngsten Analyse fragt das ZEW jetzt gemeinsam mit dem Wiener WIFO-Institut, warum die Krise in Griechenland nicht zu wirksamen Reformen in der Verwaltung führt. Deren schlichte Antwort: Zu spät! Die Bürokratie in Griechenland ist zu groß. Friedrich Heinemann vom ZEW nennt das „die Bürokratie-Falle“. Größe und Ineffizienz der Bürokratie verhindern vernünftiges Wirtschaften. Weil die Bürokratie so groß ist und derart viele Personen beschäftigt, hat sie einen gewaltigen Einfluss auf die Politik und verhindert effizient jedwede Verkleinerung oder Machteinbuße auch in der Krise.

Editorial

Unsere Unis befinden sich in der gleichen Bürokratie-Falle wie Griechenland. Die große Uni-Krise der letzten Jahrzehnte mit immer mehr Kernaufgaben – mehr Studenten, mehr Leistungsdruck auf Forschung,... – bei effektiv sinkenden Etats hat eben nicht zu einer Reform im Staate Universität geführt. Im Gegenteil, die Bürokratien der Unis haben ihre Macht und Ineffizienz noch deutlich gesteigert: Rein zahlenmäßig wurden die Bürokraten mehr, die Agierenden für die Kernaufgaben Forschung und Lehre weniger.

Dieser Trend ist ungebrochen, nicht nur in Deutschland. Kürzlich schickte Björn Brembs von der Uni Regensburg mir einen Bericht aus der LA Times zur Lage der University of California (UC). Dabei ist die UC nicht nur der Campus der UCLA, sondern umfasst alle unter UC-X firmierenden Unis – ein Laden mit einem Gesamtbudget in der Gegend von 27 Milliarden Dollar. Ganz wie an unseren Unis und in Griechenland versackt dort immer mehr Geld im Dienstleistungssektor der Bürokratie. In der UC quoll die Zahl der Bürokraten zwischen 2004 und 2014 um 60 Prozent auf mehr als 10.000. Die Zahl der unbefristet angestellten Forscher und Lehrer (tenure-track faculty members) stieg in denselben zehn Jahren lediglich um 8 Prozent, von 8.067 auf 8.722. Das sind schon deutsche Uni-Verhältnisse, mehr Verwalter als Verwaltete.

Ach ja, by the way, die Zahl der Studenten hat in diesen zehn Jahren um etwa 30 Prozent zugenommen. Klarer Effekt, ganz wie bei uns: Weniger Profs pro Student. Dabei sind die schieren Zahlen das eine, die Geldverteilung ist noch schlimmer. Die UC hatte dazu extra ein ‚Subcommittee‘ eingerichtet, einen Ausschuss. Sie erinnern sich, ein Untersuchungsausschuss dient im Wesentlichen dazu, ein Problem so lange auf die Bank zu schieben, bis es hinten unbemerkt wegrutscht und verschwindet. Dieses Komitee untersuchte also die Zahlen in Zentrale und Büro des Präsidenten. Und siehe da, lobenswert sank die Zahl der dort herumlungernden Bürokraten von 1.900 in 2007 auf 1.684 in 2014. Gar nicht lobenswert aber war, dass in den beiden höchstbezahlten Verwaltergruppen die Zahl der Abkassierer um 27 Prozent von 573 auf 725 stieg. Nicht zuletzt diese Entwicklung führte zu einem Anstieg des Gesamtbudgets von 587 auf 625 Millionen Dollar in diesen sieben Jahren.

Die UC Berkeley hat überdies die Firma Bain & Co. Consultants teuer bezahlt, um herauszufinden, dass an dieser einen Uni elf Schichten von Management zwischen Kanzler und den wirklich Arbeitenden geschaltet sind. Mehr als die Hälfte dieser fast 2.000 ‚Manager‘ beaufsichtigten drei oder weniger Mitarbeiter, von denen wiederum fast die Hälfte nur einen Untergebenen anzupeitschen hatte. Erstaunlich, dass die UC Berkeley trotzdem richtig gute Forschung und Lehre hinbekommt.

Wie sind dagegen wohl die Verhältnisse an den schlapperen Unis? Ich glaube, ich möchte das gar nicht sehen. An den deutschen Unis sind die Zahlen und Entwicklungen überall parallel gelaufen, an fast jeder Uni tummeln sich mehr Verwalter als Arbeiter. Per Definitionem ist doch die Daseinsberechtigung der Bürokraten die Unterstützung der Kernaufgaben-Arbeiter und deren Arbeit. Schöne Theorie, aber das stimmt schon lange nicht mehr. Inzwischen dient ein Bürokrat dem anderen – mal als Vorgesetzter, mal als Untergebener. Und der Erfindungsreichtum bei den jeweiligen Aufgabenbeschreibungen hat seine phantastische Grenze hinterm Horizont noch lange nicht erreicht.

Und es geht gerade so weiter, wird immer noch schlimmer. An unseren Unis auf jeden Fall:

Eigentlich soll es den Unis doch besser gehen. Das ominöse „Verbesserung- der-Lehre“-Geld vom Bund soll „verdauerhaftet“ werden und den Unis über den Umweg der Länder in den allgemeinen Säckel fließen. Bis zu drei Prozent mehr soll es dadurch im Grundhaushalt geben – seit etwa zwanzig Jahren die erste Erhöhung überhaupt. Die Frage zur Stunde der Wahrheit ist zugleich natürlich bange Hoffnung: Was kommt davon tatsächlich an der Basis der Uni an, also bei Forschung und Lehre? Wird die prekäre pekuniäre Lage wirklich besser? Wo geht also das Geld hin? Schauen wir nach.

Vor einigen Monaten hat die Landesregierung die Unis aufgefordert, Planungen und Vorschläge für die neuen zusätzlichen Stellen zu machen. Wohin ging diese Aufforderung des Landes? Klar, an die Verwaltungsspitze. Und dort blieb sie auch. So lange, bis von dort Vorschläge für die meisten dieser Stellen formuliert waren und an das Land gehen konnten. Selbstverständlich für Stellen in der überlasteten Bürokratie. Für weitere Bürokraten. Die dann ihre eingesessenen Kollegen weiter überlasten können.

Dann erst meldete die Bürokratie an die Fakultäten ganz nebenbei: „Ach ja, wenn ihr auch noch Stellen haben wollt, formuliert mal was.“ Natürlich bücken sich die Arbeiter der Kernaufgaben vor der Bürokratie – mache ich ja auch – und denken und sagen: „Besser eine Stelle haben als drei nicht.“ Und so kämpfen sie mit dem Schreiben der von den Landesbürokraten geforderten Fabulierungen. Das tut sich natürlich viel leichter von Bürokrat zu Bürokrat, von Uni-Verwaltung zu Landesverwaltung. Also mal sehen, was überhaupt außerhalb der Bürokratie-Seilschaften für Forschung und Lehre als genehm formuliert durchkommt.

Übrigens gibt es dazu eine ganz witzige Pressemitteilung des Staatsministeriums Baden-Württemberg zur ‚Perspektive 2020‘ – schon ein paar Tage her, aber immer noch nicht besser geworden. Eine der paritätischen Überschriften: „Minister Schmid: 1,7 Milliarden Euro Landesmittel zusätzlich …“. Offensichtlich hat der eine Ahnung, wovon er redet, sonst wäre er auf die Zahl im zweiten Abschnitt hereingefallen, „Über die Gesamtlaufzeit des Vertrags fließen so rund 2,2 Milliarden Euro zusätzlich in die Grundfinanzierung.

Putzig, wie primitiv Effekthascherei in der Politik betrieben wird: 2,2 Milliarden Euro hört sich nach viel an, weil keiner das mal schnell über die insgesamt sechs Jahre herunterbricht. Und kaum jemand liest weiter und bemerkt, dass vom Land nur die Hälfte zusätzlich kommt, die andere Hälfte hatte das Land sowieso schon gegeben. Die resultierenden180 Millionen pro Jahr klingen dann echt nicht so imposant, wenn man sich überlegt, wie viele Hunderte Millionen die Lobbyhäuser des Landes Baden-Württemberg in Berlin und Brüssel so verschlingen. Pro Jahr. Stimmt schon, das ist ja auch ganz was anderes – und viel wichtiger als die Zukunft unserer Kinder, der Studenten.

Und überhaupt sieht man gleich die Handschrift der Marketing- Profis. „Hase und Igel“ spielen haben diese offenbar geraten, denn – klar – nur der Erste zählt: „Baden-Württemberg ist damit das erste Land, das bei der Grundfinanzierung der Hochschulen die Empfehlung des Wissenschaftsrates umsetzt, betonte Kretschmann.

Stimmt irgendwie, andere Bundesländer schreiben noch ab dem 1.1.2016 Stellen im Rahmen der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ aus, so die Fakultät für Biologie und Psychologie der Georg-August-Universität Göttingen: „7,5 wissenschaftliche Mitarbeiter/-innen (100 % E 13 TV-L) befristet für die Dauer von 3,5 Jahren bis zum 30.6.2019 …“ Ein Selektionskriterium hätte ja auch das Ausrechnen der Dauer sein können. „Die Vollzeitstelle ist auch teilzeitgeeignet.“ Welche von den 7,5 Vollzeitstellen ist nicht so klar. „Dem SPL liegen drei zentrale Handlungsbereiche zu Grunde:

A) Fächer vernetzen (Naturwissenschaften, Gesellschaftslehre, Bildung für Nachhaltige Entwicklung, Bilingualer Unterricht);

B) Lehrerkompetenzen entwickeln; und

C) Diversität gerecht werden.“

Nur gut, dass es dafür 7,5 Vollzeitstellen gibt, sonst wäre womöglich nichts daraus geworden. Finanziert Berlin voll. Obwohl die kompetenzentwickelten und diversitätsgere(ä)chten Lehrer später fächervernetzte Landesangestellte werden. Falls es dann solche Stellen gibt, und wenn Niedersachsen das Vorbild des „Igels“ Baden- Württemberg übernimmt. Vielleicht könnte die Uni Göttingen ja auch noch weitere Gelder über Werbung akquirieren, ähnlich wie es die Uni des Saarlandes auf ihrer Webseite macht: „Die günstigen Design Hotels von Motel One bieten aktuell mit mehr als 50 Hotels ‚viel Design für wenig Geld‘. Entdecken Sie z.B. die trendigen Motel One Hotels Berlin oder die Motel One Hotels Brüssel für einen Studientrip.

In Baden-Württemberg wird es für solche Jobs keine 3,5 Jahre Befristung mehr geben. Die Pressemitteilung dazu: „Die andere Hälfte des Grundmittelaufwuchses (ebenfalls 1,1 Milliarden Euro) wird durch die Veredelung von Programm- in Grundmittel erreicht. D.h., Programmfinanzierungen des Landes werden verstetigt und schrittweise in die Grundfinanzierung überführt. Dies erhöht die Flexibilität und stärkt die Planungssicherheit bei der Schaffung und Entfristung von Stellen.

Erinnern wir uns an die Zeit vor der Veredelung (Verelendung?): Grundsätzliche primäre Aufgaben der Universitäten sind laut den Uni-Gesetzen der jeweiligen Länder Forschung und Lehre. Ob es für die geplanten Millionen solche Stellen geben wird? Oder sind die schon verplant? Für Bürokratie und Ähnliches.

Friedrich Heinemann vom ZEW versucht, Mut zu machen: Man könne aus der Bürokratie-Falle herauskommen – aber nicht allein. Dazu ist Druck von außen notwendig, von Dritten. Massiver Druck. Hoffen wir, dass jemand von außen die Bürokratie unsere Unis unter Druck setzt. Und sie verkleinert. Also dort jene Stellen abbaut, die nichts zum eigentlichen Geschäft beitragen. Aber wer ist da draußen außerhalb der maroden Elfenbeintürme, der Druck machen könnte? Das Landesministerium? Wohl eher nicht, von Verwaltung zu Verwaltung versteht man sich, da hackt eine der anderen keine Stellen weg. Wir können es den Politikern aber medienwirksam mit Schlag(er)zeilen schmackhaft machen: Ministerin X greift durch – 70 Prozent Verwaltung der Uni Y gestrichen. 300 unbefristete Stellen für Forschung und Lehre. Und können Polit-Floskeln erfinden, darin sind wir doch geübt: Effizienzleuchttürme blinken und Schlankheitsschlagkraft 2090 entdecken lassen?