Novellette (Teil 2)

Axel Brennicke


Editorial

(11.06.2016) Ist diese Flickschusterei tatsächlich alles, was bei der Novellierung des Wissenschaftszeitvertraggesetzes heraus gekommen ist? Ein offener und konsternierter Brief an die Bundesministerin für Bildung und Forschung.

Vielen Dank, sehr geehrte Frau Bundesministerin für Bildung und Forschung, meinen ganz und gar unaufrichtigen Glückwunsch: Eine tolle Verbesserung eines merkwürdigen Gesetzes ist es geworden, die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG). Gut aufgemachte Pressemitteilungen, viel Echo überall, zumindest in den einschlägigen Foren. Von ver.di bis Hochschullehrerverband, in den Lokalzeitungen der Uni-Städte und sogar in FAZ und SZ. Sehr geschickt lanciert. Ein Mustervorbild für viel Wind um Nichts. Naja, nicht ganz „Nichts“, aber das „Etwas“ ist doch schwer zu finden.

Nun, bitte helfen Sie mir, ob ich Ihre Pressemitteilungen und die diversen Interpretationen richtig verstehe. Übereinstimmend sehe ich diese Novitäten angepriesen:

1.) Keine Veränderung der langfristigen Perspektiven für die Wissenschaftler als Doktoranden, Habilitanden oder sonstige Mitarbeiter.

Dies wurde bereits ausführlich im letzten Heft diskutiert (LJ 5/2016: 26-27).

2.) Die gesamte Verweildauer eines Wissenschaftlers an allen Unis unseres Landes zusammen bleibt im öffentlichen Dienst bei zwölf Jahren bis zum Rauswurf.

Editorial

Anscheinend ist letzteres immer noch illegal geblieben, wenn die Ausschüsse in der Bundesrat-Drucksache 395/1/15 vom 6.10.2015 recht haben (und ich sehe nicht, wieso diese etwas Unwahres behaupten sollten):

Im Rahmen der sachgrundlosen Befristung werden nach § 2 Absatz 3 WissZeitVG befristete Beschäftigungsverhältnisse mit Arbeitszeitreduzierungen ab 25 Prozent bis zu 100 Prozent ohne Unterschied auf die Höchstbefristungsdauer angerechnet. Gemäß § 4 Nummer 1 und 2 des Anhangs zur Richtlinie 97/81 EG zu der von UNiCE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl. EG 1998 Nr. L 14 S. 9) darf eine Anrechnung von Teilzeitbeschäftigung in der Qualifizierungsphase aber nur proportional zum zeitlichen Umfang der Tätigkeit erfolgen.

Wenn ich das richtig verstehe, ist das WissZeitVG auch mit der Novellierung nach EU-Recht nicht korrekt und damit illegal. Wenn Doktoranden, wie bei uns üblich, drei Jahre mit einer halben Stelle unterstützt werden, so darf in der EU diese nur mit der halben Zeit auf die Gesamtdauer von zwölf Jahren angerechnet werden. Deutschland ist doch noch in der EU – oder habe ich etwas verpasst?

3.) Eigentlich ist und bleibt es ja noch viel merkwürdiger mit den Doktoranden in diesem WissZeitVG: Die Zeit ihrer Arbeit an der Promotion wird nach wie vor in jedem Fall auf die Beschäftigungszeit an den Unis angerechnet. Egal, ob sie überhaupt bezahlt wurden oder nicht. Auch ein privates Stipendium, wie auch geliehenes, in Kneipen selbst verdientes Geld oder überhaupt keines wird als Beschäftigung im öffentlichen Dienst angerechnet. So findet ein Postdoc, der in seinem Leben noch nie einen Euro gesehen hat, schon am ersten Tag in Deutschland drei Jahre Verschleiß in seiner Personalakte. Absurd, nicht wahr? Auch das ist unnovelliert geblieben.

4.) Als eine der wichtigsten, entscheidenden Neuerungen, als echter Durchbruch gar wird überall gefeiert, was sich in Ihrer Pressemitteilung 10/2016 folgendermaßen anhört: „So gilt die familienpolitische Komponente des Gesetzes nun auch für die Betreuung von Stief- oder Pflegekindern – die Befristungsdauer verlängert sich bei der Betreuung von Kindern unter 18 Jahren um zwei Jahre pro Kind.“ Bisher gab es diese „familienpolitische Komponente“ ja auch schon. Allerdings stand da nur „Betreuung von Kindern“. Ich freue mich wirklich, dass nun explizit auch Stief- oder Pflegekinder dazu gehören. Wäre vorher ja nur möglich, aber wohl nicht wirklich möglich gewesen. Also eine dieser „…klarstellende[n] Regelungen, die die Anwendung des Gesetzes künftig erleichtern“, wie Sie treffend der Presse mitteilen lassen.

5.) So ganz verstehe ich allerdings nicht, wie wichtig diese Regelung objektiv und in der Realität des Alltags ist. Alt wie neu ist nämlich, dass diese „familienpolitische Komponente“ im freiwilligen Ermessen der Arbeitgeber, also der Verwaltungen in den Unis, ist und bleibt. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) schreibt, dass laut der (zugegeben alten) Evaluation der HIS Hochschul-Informations-System GmbH von 2011 kaum ein Prozent aller Verträge von Wissenschaftlichen Mitarbeitern mit der Regelung „familienpolitische Komponente“ zustande kommen. In dem 124-seitigen HIS-Bericht finde ich diese Zahl allerdings nicht – in jedem Fall sind es nicht viele. Erwähnt wird auf Seite 83 die Zahl 1,02, aber das seien „VZÄ“ erläutert HIS in der Fußnote – Vollzeitäquivalente. Damit kann man also nichts anfangen. Die DFG liest novelliert immerhin einen Rechtsanspruch auf diese zwei Jahre Familienverlängerung. Ob das die Univerwaltungen auch so sehen, wird sich zeigen.

6.) Warum finden sich nirgendwo in Ihren Pressemitteilungen oder anderen Diskussionen die nach jetziger Novellierung angeblich rechtssicheren, wirklich Wissenschaftler-freundlichen Angebote des wichtigsten Drittmittelgebers an den Unis? Die DFG zeigt sich beispielhaft flexibel und erläutert auf ihrer Webseite extra für die starren und misstrauischen Verwaltungen der Unis, was unter dem Label „Drittmittelbefristung“ alles möglich ist. Und eben auch nach dem Ende der Höchstbefristungsdauer, also über die zwölf Jahre hinaus:

Nach Ende der 12-Jahresfrist bestand auch bislang schon die Möglichkeit, Arbeitsverträge für die Dauer eines drittmittelfinanzierten Forschungsprojekts zu befristen. Aufgrund der zahlreichen arbeitsrechtlichen Risiken, die mit einem solchen Konstrukt verbunden sind, haben die Hochschulverwaltungen von dieser Möglichkeit nur selten Gebrauch gemacht.

Das WissZeitVG schafft nun die Möglichkeit, drittmittelfinanziertes Personal auch nach dem Ende der Qualifizierungsphase rechtssicher befristet beschäftigen zu können.

Voraussetzung für den Abschluss eines solchen drittmittelbefristeten Vertrags ist die überwiegende, das heißt mindestens etwas mehr als hälftige Finanzierung der betreffenden Stelle aus Drittmitteln. Eine Aufstockung oder „Streckung“ von Drittmittelstellen aus allgemeinen Haushaltsmitteln ist dabei zulässig. Beispiel: So können zwei vom Drittmittelgeber voll finanzierte Stellen in drei Stellen aufgeteilt und durch Haushaltsmittel entsprechend ergänzt werden, die nach den oben beschriebenen Regelungen befristet werden dürfen.

Die Drittmittel müssen für ein bestimmtes Forschungsvorhaben und für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung stehen.

Schließlich müssen die befristet beschäftigten Mitarbeiter auch überwiegend mit Aufgaben aus diesem Forschungsprojekt befasst werden; die Übernahme von Lehraufgaben, Tätigkeiten für andere Forschungsprojekte etc. ist zulässig, solange die Arbeit an dem betreffenden drittmittelfinanzierten Forschungsvorhaben zeitlich überwiegt.

Die DFG hat verstanden, dass man für die Kanzler und ihre Verwaltungen Beispiele bringen muss, damit die das alles verstehen können. Und umsetzen. Aber das tun sie nicht, dort scheitert die vorbildliche Flexibilität der DFG mit ihren Angeboten. So verweigert meine Uni schon einen Drei-Monatsvertrag mit den Restmitteln eines DFG-Projekts über die zwölf Jahre hinaus, weil dort nicht explizit eine Postdoc-Stelle als solche drinsteht. Wann hatten Sie die letzte volle Stelle von der DFG bewilligt bekommen? Auf diese Weise werden unsere Uni-Verwaltungen immer Ausreden (er-)finden, warum sie weiterhin ungeniert auch im Antlitz der „Leitlinie ‚Gute Arbeit’ für den wissenschaftlichen Nachwuchs“ Wissenschaftler-feindlich agieren können. Ob jemals eine Uni-Verwaltung diese novellierten, rechtssicheren Möglichkeiten nutzt? Und 51% DFG-Mittel sowie 49% Hausmittel einsetzt, um einen ganzen Vertrag auszustellen?

Einziger bisheriger Kommentar meiner Univerwaltung zur Drittmittelbefristung: „Bitte beachten Sie, dass keine Umbuchungen möglich sind.

Sehr geehrte Frau Bundesministerin, wenn diese Novellierung tatsächlich das Beste ist, was nach mehreren Jahren Arbeit am WissZeitVG herausgekommen ist – dann ist das nicht viel. Wofür bezahlen wir Steuerzahler eigentlich unsere Vertreter und Manager in Berlin? Oder auch in Hamburg, Magdeburg, Kiel, München oder Dresden? Nur um gleich wieder verfallende Gebäude zu eröffnen sicher nicht. Natürlich ist das wichtig, das verstehe ich schon – immerhin ein Foto in der Zeitung, wenn auch nur lokal und mit einem verkaterten Bürgermeister.

Ein neues Gesetz reicht schon nicht mehr, es muss gar eine Novelle sein, eine Gesetzesnovelle. Dabei heißt Novelle anscheinend Flickschusterei – eben kein neues Gesetz mit neuen Ideen und Zielen und neuer Vernunft, sondern nur ein bisschen Herumgebastele am alten.

Das wurde in tage- und nächtelangen Verhandlungen erarbeitet? Sehr geehrte Frau Bundesministerin, da fällt mir schwer zu glauben, dass da „gearbeitet“ wurde. Sind Sie sicher, dass in diesen Sitzungssälen nicht ganz anderes vor sich geht? Immer ohne Ihr Wissen natürlich. Stühle, ausklappbar zu bequemen Feldbetten – und am frühen Morgen treffen Sie dann die Mitarbeiter mit rotgeschminkten Augenrändern und sorgfältig gelegten Tuschierungen und Mascaraschatten, die sich den Rücken reiben, stöhnen, gähnen und Ihnen freudig-müde vom Durchbruch berichten. Und sobald Sie um die Ecke in Ihrem Büro verschwunden sind, wird ein Mitarbeiter den ersten tadeln, dass er zu dick aufgetragen habe – aber es sei wirklich cool gewesen, wie der dicke Müller in der Nacht durch seine Liege gebrochen war. Dabei sei die Nacht doch sowieso schon wirklich mies gewesen, Schultze würde schnarchen, das halte man nicht aus. Warum nicht wie früher machen, schlägt er also vor: einfach das Licht im Saal 2.007 brennen und jeden in seinem Büro von 10 Uhr abends bis 6 Uhr morgens im Dunkeln mit sich diskutieren lassen – das müsse doch wieder gehen. Trotz der Kameras überall, die Filme guckt sowieso niemand an. Normalerweise.

Was also passiert da nächtelang? Das frage ich mich ja auch bei Lohnverhandlungen: Gewerkschaft sagt sechs Prozent, Arbeitgeber sagen zwei – und nach vielen Nächten pseudo-aggressiven Talks einigt man sich bei vier Prozent. Wie kann man darüber nächtelang diskutieren? Wollen die alle mal weg von zuhause? Ist es da so schlimm?

Dennoch, wie eingangs schon gesagt, liebe Ministerin: Ein großes Lob für die gelungene PR-Kampagne zur Novellierung des WissZeitVG!