Editorial

Beiträge zur Biochemie seltsamer Lebewesen (12)

King Kong

von Siegfried Bär, Zeichnung: Frieder Wiech (Laborjournal-Ausgabe 07, 2006)


Der Dokumentarfilm "King Kong" lässt viele Fragen offen. Siegfried Bär löst einige davon.

Tierfilme erfreuen sich großer Beliebtheit. In besonders starkem Maß gilt das für den Dokumentarfilm "King Kong". Millionen haben die spektakulären Aufnahmen des Riesenaffen gesehen, doch der Film lässt viele Fragen offen: Wie hat man den Riesenaffen aufs Schiff gebracht? Wie hat man ihn dort ruhig gehalten? Wurde King Kong seekrank? Wo befinden sich sein Skelett, sein Fell? Wie hieß der erste Sohn von Ann Darrow? Kong? King? Oder Emmerich?

Gar nicht ging Dokumentarfilmer Peter Jackson auf die Biologie und Biochemie des Affen ein. Auch die zahllosen Kommentatoren des Films beschränkten sich auf kulturelles Geplauder, auf den Vergleich von "Die Schöne und das Biest", aufs Psychologisieren, auf die Anrufung der Tragik des Unmöglichen. Schlauer sind wir dadurch nicht geworden. Was sind die realen Fakten des Ungeheuers, was die bio-logischen Grundlagen seiner Existenz?

Wir erfahren, daß King Kong acht Meter groß war und vier Tonnen wog. Des weiteren sieht man ihn Bambus verzehren. Er war also Pflanzenfresser wie die heutigen Menschenaffen. Neuropsychologisch scheint er an Sexualstörungen gelitten zu haben. Das kann man daraus schließen, daß er geopferte Jungfrauen zu zerreißen pflegte. Des weiteren lebt King Kong allein, eine Queen Kong taucht nirgends auf. Hier erhebt sich die Frage: Handelt es sich bei King Kong um den letzten Vertreter einer aussterbenden Art oder ist er eine singuläre Erscheinung, die ihre Existenz der krankhaften Überproduktion von Wachstumshormon verdankt?

Schauen Sie sich die Klettertour von Jack Driscoll, dem Geliebten von Ann Darrow, zu Kongs Abendrot-Betrachtungssitz noch einmal an. Auf halbem Wege, kurz nach der Fledermaushöhle, kommt Driscoll an einem Skelett vorbei, das eindeutig von einem Affen der Größe King Kongs stammt. Ob es sich um ein Weibchen oder ein Männchen handelt kann ich mangels anatomischer Kenntnisse nicht sagen, aber allein die Existenz eines solchen Skeletts spricht dafür, daß es sich bei Kong um den letzten Vertreter einer Art und nicht um einen kranken Berggorilla handelt.

King Kong ist nicht der erste Riesenaffe, der entdeckt wurde. Schon der deutsche Forscher Gustav von Königswald stieß 1935 in China auf einen Zahn des Gigantopithecus blackii. Die Backenzahnkrone hatte einen Durchmesser von 25 mm und man schloß aus später gefundenen Unterkieferfragmenten auf eine Größe dieser Affen von 3,5 Metern und ein Gewicht von 250-500 Kilogramm. Gigantopithecus war mit dem Orang Utan verwandt. Wie Kong soll er sich von Bambussprossen ernährt haben. Vor 100.000 Jahren ist er ausgestorben. Letzteres wird von einigen Kryptozoologen bezweifelt. Sie halten es für möglich, daß der Gigantopithecus in den unzugänglichen Bergwäldern Chinas und Tibets noch als Yeti ein scheues Wesen treibt. Berühmte Forscher wie Reinhold Messner wollen ihn dort gesehen haben.


Das Insel-Phänomen

Nun ist King Kong noch viel gigantischer als Gigantopithecus. Das ist umso seltsamer, als King Kong auf einer Insel lebt und auf Inseln lebende Pflanzenfresser über die Generationen kleiner werden als ihre Artgenossen auf dem Festland. Man nennt das Inselverzwergung. Beispiele sind Flußpferde auf Madagaskar und die Zwergelefanten, die vor 10 000 Jahren Malta und Sardinien bevölkerten. Grund für die Inselverzwergung sollen die knappen Nahrungsressourcen auf Inseln sein.

Viele glauben, daß auch die Flores-Menschen (Homo floresiensis) ihren Phänotyp der Inselverzwergung danken. Sie wären dann ein Beispiel für Verzwergung bei Primaten, wobei die Flores-Menschen keine reinen Pflanzenfresser waren. Ihrem Werkzeugarsenal nach jagten sie Zwergelefanten. Auch der kalifornische Graufuchs, der auf Inseln nicht größer wie eine Katze wird, ist kein Pflanzenfresser.

Doch gibt es nicht nur das Phänomen der Inselverzwergung, sondern auch das des Inselriesenwuchses ("Inselgigantismus"). Auf Inseln lebende Nagetiere und Warane neigen dazu, größer zu werden als die entsprechenden Arten auf dem Festland - denken Sie an den Komodowaran. Die evolutionäre Triebkraft sei, dass die Riesenarten die Zwergformen jagen können: Die Ratte frißt den Elefanten. Auch für Primaten gibt es ein Beispiel von Gigantismus: Der griechische Reisende Odysseus entdeckte auf einer Insel ein Geschlecht von einäugigen Riesen. Zwar ist die archäologische Beweislage für die Existenz dieser Riesen dürftig, doch ist Odysseus ein vielzitierter Autor und hat daher recht. Die Riesen des Odysseus waren eindeutig Fleisch-, ja sogar Menschenfresser.


Theorien auf schwachen Füßen

Wir stehen also vor dem verwirrenden Sachverhalt, dass fleischfressende Primaten einmal zum Zwerg- und einmal zum Riesenwuchs neigen. Pflanzenfressende Primaten können dagegen auf Inseln Riesenausmaße erreichen. Was schließen wir daraus?

Dass die Theorien zur Inselverzwergung bzw. -verriesung auf schwachen Füßen stehen. Eine Selektion über das Nahrungsangebot kann nicht die primäre Ursache dieser Vorgänge sein. Wahrscheinlicher sind sexuelle Selektionsprozesse. Hana Riha, Expertin für seltsame Lebewesen vom "Institute for Molecular Excellence" der Universität Rottweil, stellt sich die Entwicklung des Inselgigantismus so vor: Die Weibchen paaren sich mit den größten Männchen. Auf dem Festland können die kleineren ausweichen und ebenfalls eigene Familien gründen. Daher kommt es auf dem Festland nicht zu einer Größenzunahme. Auf einer Insel ist Ausweichen nicht möglich, die Kleineren können sich daher nicht paaren und die Nachkommen werden immer größer. Ein Grund für die Bevorzugung größerer Männchen könnte sein, daß Größe mit einem besseren Schutz vor Raubtieren einhergeht. Hierzu paßt, daß King Kong sich des öfteren Raubsaurier und blutsaugender Fledermäuse erwehren muß. Der Predatordruck auf Skull Island scheint hoch gewesen sein.

Paaren sich die Weibchen dagegen bevorzugt mit kleinen Männchen, kommt es zur Inselverzwergung. Ein Grund für den Vorzug kleiner Männchen könnten Emanzipationsbestrebungen der Weibchen sein oder vielleicht auch nur die Tatsache, daß kleine Männchen weniger fressen als Große und daher mehr abgeben können.

Bei King Kong hat die Verriesung ihre Spitze erreicht. Er konnte sich mit drei Raubsauriern messen und dabei noch Ann Darrow balancieren, doch verbrauchte er derartige Mengen an Bambusschößlingen, daß die Insel nur einen seiner Art trug. Er war der Größte, aber auch der Einzige - und seine Art der Verlierer. Eine Paarung mit Ann Darrow hätte zwar zu kleineren Mischlingen und damit zum Weiterbestehen der Art geführt, aber dem standen sowohl genetische - Menschenaffen haben z.B. 48 Chromosomenpaare, also zwei mehr als wir - als auch geometrische Hindernisse entgegen. Wie fruchtlos solche Bemühungen waren, hat King Kong jahrelang an den eingeborenen Jungfrauen erfahren müssen.

Selbst die moderne Wissenschaft ist mit Experimenten dieser Art gescheitert. So fand ich in in der Lebensbeschreibung von Margarete Buber-Neumann "Von Potsdam nach Berlin" folgenden Hinweis:


Fruchtlose Befruchtungsversuche

Aber noch etwas Erstaunliches sollte uns O.J. Schmidt aus seiner Suchumer Zeit erzählen. Man machte dort nämlich sowohl Befruchtungsversuche mit menschlichem Samen an Affenweibchen als auch umgekehrt. Zu diesem Zweck hatte man in einer sowjetischen wissenschaftlichen Zeitschrift aufgefordert, es sollten sich Frauen [...] zur Verfügung stellen. Offensichtlich hatten viele diesen Aufruf missverstanden und nicht begriffen, dass es sich bei den Versuchen um künstliche Befruchtung handeln sollte. Die Suchumer Affenstation würde mit Briefen überschüttet, in denen sich die weiblichen Absender bereit erklärten, im Dienste der sowjetischen Wissenschaft, sich von Affenmännchen begatten zu lassen. Man klärte die Briefschreiberinnen über das kleine Missverständnis auf. O.J. Schmidt sagte uns aber auch, dass alle Versuche, durch künstliche Befruchtung eine Kreuzung zwischen Affe und Mensch zu erzeugen, fehlschlugen.

Bei Schmidt handelte es sich um Otto Julewitsch Schmidt, in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts leitender Mitarbeiter des Affengeheges der abchasischen Stadt Suchum. Schmidt wurde später Polarforscher. Es fällt auf, daß seine Experimente etwa in die Zeit fielen, in der die ersten Gerüchte über King Kong auftauchten.

Dem jedoch hätte auch Schmidt nicht helfen können, und so blieb Kong wenig mehr, als den Sonnenuntergang zu betrachten und über die Vergänglichkeit alles Seins zu philosophieren. Man kann es verstehen, dass der Riesenaffe zu Wutausbrüchen neigte. Weniger verständlich ist das Verhalten von Ann Darrow. Da liegt ihr der berühmte Drehbuchautor Jack Driscoll zu Füßen, sie liebt ihn - um ihn dann mir nichts dir nichts mit einem Affen zu betrügen. Zwar nur im Geiste, aber immerhin.

Es scheint sich hier um eine allgemeine weibliche Verhaltensweise zu handeln: Hana Riha teilte mir bei einer Diskussion des Problems mit, daß sie in ihrer Jugend ebenfalls auf die größten Affen hereingefallen sei. Stille solide Jünglinge hätte sie langweilig gefunden. Es hätte einer sein müssen mit Huh und Hah, einer der sich auf die Brust trommelt, der im Quadrat springt und ein Motorrad fährt.

Da fällt mir auf: Frau Riha ist blond und hat eine Figur wie Ann Darrow. Wollte ich mir nicht schon lange ein Motorrad kaufen? Hah, am besten gleich. Tschüß!



Letzte Änderungen: 16.08.2006