Editorial

Biomineralisation

von Nils Falke (Laborjournal-Ausgabe 11, 2004)


Trotz ihrer scheinbaren Primitivität sind Bakterien eine äußerst erfolgreiche Lebensform. Im Lauf der Evolution haben sie sich bis in die hintersten Winkel des Planeten ausgebreitet, ein reichhaltiges Artenspektrum ausgebildet und sind zu verblüffenden Stoffwechselleistungen fähig. Forscher der Universität von Kalifornien stießen jetzt etwa in einer verlassenen, teilweise gefluteten Mine in Wisconsin auf eine Bakterienart, die noch namenlos ist, aber bereits die Aufmerksamkeit von Geo- und makromolekularen Chemikern, Nanotechnologen und Physikern erregt (Science 303, S. 1656). Die Mikroorganismen sind in der Lage ein eisenhaltiges Mineral namens Akaganeit zu bilden.

Für diejenigen, denen die Freude eines chemischen Grundpraktikums zuteil wurde: Akaganeit gehört zu den Oxyhydroxiden und ist damit ein Verwandter des gemeinen Rosts. Das besondere dieser Verbindung ist die Konfiguration, in der die chemischen Komponenten kristallisieren: in der unbelebten Natur bildet diese sich nur in Gegenwart größerer Mengen Chlorid, das nötig ist um die Struktur zu stabilisieren. Mit der Entdeckung der Mikroorganismen unter Tage haben die Wissenschaftler erstmals die Möglichkeit der biogenen Bildung eines so komplexen Materials beleuchtet.


Tierische Architekten

Die lichtscheuen Prokaryoten sind allerdings bei weitem nicht die einzigen Geschöpfe mit einer Vorliebe für Kristalle. In der Natur wimmelt es an Beispielen für Lebewesen, die zur sogenannten Biomineralisation fähig sind. Darunter versteht man die biologisch kontrollierte Ausbildung anorganischer Strukturen. Durch das Werk spezialisierter Zellen, die im kleinsten Maßstab den Auf- und Abbau anorganischer Festkörper beeinflussen, entstehen schließlich Knochen und Zähne, Muschelschalen oder Schneckenhäuser. Die Dimensionen der so entstandenen Gebilde reichen vom mikroskopischen Maßstab, wie bei den Kieselalgen, bis zu den riesigen Barten des Blauwals.

Im Unterschied zu herkömmlichen Kristallen zeichnen die "Biominerale" Materialeigenschaften wie beispielsweise größere Härte oder Bruchzähigkeit aus, die sie für Wissenschaftler besonders interessant machen. In der Regel entstehen diese Eigenschaften durch die Kompositbauweise mit biologischen Komponenten. Das bedeutet, dass man es nicht mit einem einzigen kohärenten Kristall zu tun hat, sondern mit einem Verbund gewachsener organischer Biopolymere sowie Aggregaten anorganischer Substanzen.

Editorial

Editorial

Die organischen Komponenten sind meist Lipide oder Proteine, die als Gerüst für eine bestimmte Kristallmodifikation dessen Morphologie und Richtung vorgeben. Dieses gesteuerte Wachstum ermöglicht den Produzenten das Material optimal einzusetzen und so Gewicht und Energie zu sparen.

Das Know-How der kleinen Baumeister übertrifft das menschliche so weit, dass Forscher sich auf der Suche nach Lösungen für technische Probleme an Beispielen aus der Natur orientieren. So erkannten Wissenschaftler des Alfred Wegener-Instituts, dass die an menschliche Bauwerke erinnernden Formen der Kieselalgen größtmögliche Stabilität mit ökonomischer Leichtbauweise kombinieren - Prinzipien, die etwa für Architektur oder Raumfahrt interessant sind.


Science Fiction

Für die Perfektion des Baumeisters Natur gibt es noch einen weiteren Grund. Die Konstruktion erfolgt nach dem Bottom up-Prinzip. In der Nanotechnologie steht dieses Mantra für die Möglichkeit, molekulare Maschinen mittels Selbstorganisation aus elementaren Bestandteilen der Materie zu produzieren und für unterschiedlichste Zwecke einzusetzen. In den Zukunftsvisionen der Miniaturfanatiker schwimmen etwa Nanoroboter auf der Suche nach Ablagerungen durch menschliche Gefäße, Autos reparieren sich selbstständig und wer sich für Biologie interessiert, muss nicht erst dicke Bücher wälzen, sondern atmet einfach ein Aerosol aus winzigen Molekülkäfigen ein, die die Informationen direkt in das Langzeitgedächtnis ablegen. Natürlich ist die Realität der Nanotechnologie von solchen Zuständen noch meilenweit entfernt.


Kristallspaghetti

Die Akaganeit bildenden Mikroben aus dem Untergrund bieten den Forschern nun die Gelegenheit, Prozesse an der Schnittstelle von belebter und unbelebter Natur im Detail zu erforschen. Um der Biomineralisation auf molekularer Ebene Schritt für Schritt zu folgen, benutzten sie Methoden wie hochauflösende Transmissions-Elektronenmikroskopie und Rasterelektronenmikroskopie.

Dabei fiel ihnen das ungewöhnliche Aussehen der Mineralabscheidungen auf. Normalerweise breiten sich Kristalle gleichmäßig aus, Mineralien dagegen, die von den Bakterien gezüchtet werden, erinnern der Form nach eher an eine Spaghetti. Während sie in der Länge mehrere Mikrometer überspannen, beträgt die Breite lediglich 100 Nanometer.

Im Kern der Spaghetti entdeckten die Forscher lange Polysacharidstränge, an denen sich das Akaganeit in einer vorher festgelegten Form bildet. In den Polymersträngen sitzen reichlich negativ geladenen Carboxylgruppen, die ein positives Eisenatom binden und so die Kristallisation starten. Forschern der Universität von Kalifornien gelang es bereits mit synthetischen Polysacharidsträngen im Labor Akaganeite, ähnlich denen der Bakterien, zu erhalten. Diese waren zwar nicht so lang wie die der Bakterien, trotzdem sind sie auf dem Weg zum Verständnis der Biomineralisation ein Stück weiter gekommen.

Warum eigentlich bilden die Bakterien das Akaganeit? Auch dafür haben die Kalifornier bereits eine Hypothese. Um sich an den feindlichen Lebensraum anzupassen verstärken die Bakterien mit den Kristallen den pH-Gradienten über der Zellmembran und erhöhen die Energieausbeute der Zellen.



Letzte Änderungen: 11.02.2005