Editorial

Aggresom

von Daniela Kaulfus (Laborjournal-Ausgabe 06, 2007)


Aggresom Muelleimer
Mist! Mittwoch Morgen und die Müllabfuhr kommt nicht. Tage später säumen immer mehr bunte, stinkende Säcke die übervollen Container. Über dreißig Grad Celsius im Schatten und der Weg von der Wohnung nach draußen führt unweigerlich dran vorbei...

Wie grausam die Vorstellung, dass sich auch in unserem Körper solche Deponien nicht mehr gebrauchter Dinge anhäufen. Obwohl das eigentlich stinknormal ist – unsere Organe sortieren ja täglich sämtlichen Unrat, Gifte, defekte Gene und so weiter aus. Was aber, wenn die Müllabfuhr unserer Zellen mit der Entsorgung der wachsenden Müllberge nicht mehr nachkommt? Besonders heikel wird die Sache bei Proteinen, die nicht richtig gefaltet werden: Bekannte Neuropathien wie Chorea Huntington, Morbus Parkinson oder Alzheimer etwa beruhen auf der Ansammlung inkorrekt gefalteter Proteine. Die Auswirkungen sind augenfällig: Die Patienten erleiden degenerative Erkrankungen des Gehirns in Verbindung mit Bewegungsstörungen und letztlich den körperlichen und geistigen Verfall.


Chaperon, Proteosom, ...

Nun weiß man seit einigen Jahren, dass sich Zellen im Wesentlichen durch drei zelluläre Wege Erleichterung verschaffen können. Da sind einmal die Chaperone, die aus der Gruppe der Hitzeschockproteine (hsp) stammen und neben der ATP-bindenden auch eine Protein-bindende Domäne enthalten. Chaperone besitzen somit eine Affinität zu ungefalteten Proteinen und "bremsen" als langsame ATPasen die Geschwindigkeit ihrer Faltung.

Ohne diesen Dienst würde sich das Gros der neugebildeteten Aminosäureketten heillos verknäueln. Passiert das trotzdem, so helfen Chaperone auch, falsch gefaltete Proteine in korrekter Weise neu zu formieren.Hilft auch das nichts, so kommen die Proteosomen zum Einsatz: Sie liefern die missgebildeten Proteine, die aus Zellplasma oder dem Zellkern stammen, quasi ans Messer. Sind auch die Proteosomen überfordert, so rotten sich die defekten Proteine zu einem sogenannten Aggresom zusammen.

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... und Aggresom

Sehr rasch nach ihrer Entstehung werden Aggresome ins Mikrotubuli bildende Zentrum (MTOC) nahe zum Zellkern transportiert, um sie dem Proteolyse-Zentrum und somit der Degradation zuzuführen. Dieses Schicksal blüht im besten Fall sämtlichen Aggresomen aller Zellen, wenn auch die Bestandteile unterschiedlich sind und je nach Zelltyp eben Zell-, Kern-, sekretorische oder transmembrane Proteine enthalten.

Obwohl schon geklärt werden konnte, dass Aggresome im wahrsten Sinne "Mist" bauen und bei erfolglosem Abbau mit einigen Pathologien in Verbindung stehen, so bleiben die Ursachen noch in Diskussion. Eine Theorie geht davon aus, dass Aggresome besonders in Neuronen durch ihren Bestimmungsort Mikrotubuli dieses Transportmittel für andere wichtige Komponenten lahm legen könnten. Die Zelle wird aus ihrem funktionellen Gleichgewicht gebracht und reagiert auf die Bildung von Aggresomen mit dem Bau eines "Käfigs" aus Vimentin, die den Inhalt dieser Mist-Hülle für die Autophagozytose zum gefundenen Fressen macht.

In letzter Zeit trugen die Studien gleich mehrerer Arbeitsgruppen zum Thema Aggresom Früchte. So konnten bespielsweise Alete Terman et al. von der Division of Geriatric Medicine an der schwedischen Linkoping University kürzlich den Zusammenhang von Aggresom-tragenden Lysosomen und frühem Zelltod zeigen (The Journal of Pathology 2007, 211(2):134-43). Sie stellten fest, dass der Abfalleimer – das Lysosom – Lipofuscin enthält, das die Mitochondrien beeinträchtigt und diese schneller altern lässt, was letztlich zum Zelltod führt.

Lalitha Nagarajan et al. vom Department of Molecular Genetics am MD Anderson Cancer Center in Houston (Oncogene, Epub 19.2.2007) konnten für die Akute Myeloische Leukämie (AML) nachweisen, dass ein Adenovirus den leukämischen Suppressor zwar nicht zerstört, aber durch Aggresombildung in seiner Funktion beeinträchtigt und so das virale Onkoprotein zu Tumorbildung führen kann.


Vererbung von Altlasten

María A. Rujano et al. vom Department of Cell Biology am University Medical Center Groningen haben sich mit der Zellteilung beschäftigt (PloS Biology 2006, 4(12):e417). Da sich Aggresome im MTOC ansiedeln, das die Zellspindeln für die Zellteilung bildet, war für die Gruppe die Frage naheliegend, ob sich Aggressom-beladene Zellen eigentlich "normal" teilen können. Rujano und ihre Gruppe kamen dabei zum Schluss, dass sich diese beeinträchtigten Mutterzellen problemlos teilen, aber ihre "Bürde" nicht zu gleichen Teilen an ihre Tochterzellen weitergeben, sondern asymmetrisch – der einen mehr, der anderen weniger.

Diese asymmetrische Vererbung von "Altlasten" spielt anscheinend eine erhebliche Rolle in der Zellentwicklung, der somatischen Differenzierung und im Alterungsprozess der Zelle. Rujano und ihr Team konnten dies für Hefezellen, E. coli, Drosophila und sogar humanen Zellen nachweisen. Dieser Vorgang der ungleichen Vererbung scheint eine evolutiv sehr konservierte Methode zu sein, durch den die kürzer lebenden, schon stärker differenzierten Tochterzellen mehr "Altlasten" abbekommen, um die lang lebenden schwesterlichen Stammzellen nicht in deren Funktion zu beeinträchtigen.




Letzte Änderungen: 23.10.2007