Editorial

Nanoorganismen

von Petra Stöcker (Laborjournal-Ausgabe 09, 2007)


Nano-Hund
Mal wieder sorgen die Zwerge unter den Lebewesen für Aufsehen und bescheren Brett Baker und seinen Wissenschaftlern von der Universität in Berkeley, Kalifornien eine Veröffentlichung in Science (314: 1933-35). Die Sensation: Ihre neu entdeckte Winzigkeit von weniger als 0,006 μm – das entspricht einer Kugel mit weniger als 200 nm Durchmesser – rüttelt kräftig an den Minimal-Kriterien der Expertengruppe "Size limits of very small Microorganisms" der US-National Academy of Science, wonach Leben in einer Zelle unter 200 nm Durchmesser nicht funktionieren kann. Wohin denn auch mit all den lebenswichtigen komplizierten Maschinerien für Replikation und Translation?


Die ersten Nanobakterien

Dabei stützen sich Baker et al. auf zuverlässige Berechnungen wie die des US-Biochemikers Michael Adams, die ihrerseits auch wiederum sehr zuverlässig in der Vergangenheit durch fleißige Forscherarbeit ins Wanken gebracht wurde. Ein Beispiel lieferte Robert Folk, Geologe an der Universität von Texas, der schon zu Beginn der 1990er Jahre Hinweise auf Kleinstlebewesen entdeckte, die ihm bei der elektronenmikroskopischen Untersuchung von italienischen Kalksteinproben als Kügelchen von nur 50 bis 250 nm Durchmesser entgegenstrahlten. Er war überzeugt, dass es sich dabei um Lebensformen handeln müsse und taufte sie "Nanobakterien".

Einige Jahre nach Folk entdeckten auch die australische Wissenschaftlerin Philippa Uwins von der Universität in Queensland und ihre Kollegen an quarzhaltigen Sandsteinen der westaustralischen Küste winzige, fadenartige "Nanoben" mit Längen zwischen 20 und 128 Nanometer (siehe Stichwort LJ 3/2000). Die Frage "Wie klein ist zu klein?" ist also noch offen.

Bakers Team widmet sich in seiner Arbeit Exzentrikern der Archaea-Domäne, die sie aus sauren Minen-Abwässern der Richmond Mine in Kalifornien fischten. Die Mine wurde im Jahr 1963 geschlossen, entließ aber noch jahrzehntelang hochgiftige, Schwermetall-belastete Abwässer in den oberen Sacramento River. Vor einem Jahrzehnt begannen Sanierungsmaßnahmen.


Leben in Batteriesäure

Im Klärschlamm, einer Batteriesäure-ähnlichen Lösung mit einem pH-Wert von 0,5 bis 1,5 tummeln sich die Extremophilen bei kuscheligen 30 bis 59 °C zwischen Kupfer-, Eisen- und Arsen-Verbindungen. Bis dato beschränkten sich die Erkenntnisse umfangreicher 16S-rRNA-Sequenzanalysen dieser unkultivierbaren azidophilen Archaeen auf die Ordnung der Thermoplasmaten.

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Die ribosomale 16S-RNA der Prokaryoten gilt als molekularer Chronometer, mit dessen Hilfe sich Sequenzdatenbanken zur Klärung verwandtschaftlicher Beziehungen aufstellen lassen. Erreicht der Vergleich der rRNA-Sequenzen zweier Organismen, das so genannte Alignment, eine Übereinstimmung von 97 bis 98 Prozent, werden sie einer gemeinsamen Art zugerechnet. Die Wissenschaftler stießen bei der Untersuchung von genetischem Material aus einer Abwasserprobe aus der Mine auf bislang unbekannte Genom-Fragmente. Sie nannten sie ARMAN-1 (Archaeal Richmond Mine Acidophilic Nanoorganism). Aus einem weiteren Seitenarm der Minen-Abwässer fischten sie wenig später dessen Verwandte, die ARMAN-2 getauften Archaeen mit weiteren sonderbaren rRNA-Fragmenten und Protein-kodierenden Genen.


Neue Lebensform

Sequenz-Vergleiche von Insertionen und Deletionen der Archaeen-Geschwister mit Hilfe bekannter Datenbanken identifizierten sie schließlich als bislang unbekannte Vertreter der Euryarchaeota, einem Hauptstamm der Archaeen. Mit Hilfe spezieller Primer für die 16S-rRNA förderten sie schließlich noch die dritte bislang unbekannte "ARMAN-3"-Linie zu Tage. Im Unterschied zu den beiden anderen trägt sie keine Insertionen in ihrer 16S-rRNA.

Wie sehen die "ARMAN"-Geschwister aus? Zur Klärung der Morphologie schickten Baker et al. eine Abwasserprobe durch einen 450nm-Filter und bereiteten das Filtrat durch Kryo-Fixierung in flüssigem Ethan bei -88,6 °C für das Transmissionselektronenmikroskop (TEM) vor. Im TEM werden die Elektronen des Strahls je nach Dicke und Dichte des durchstrahlten Präparats verschieden stark gestreut, sodass eine entsprechende Intensitätsverteilung im Elektronenbild die Objektstruktur in Nanometerauflösung wiedergibt.

Neben vielen Leptospirillum II (L II)-Zellen (eisenoxidierende Bakterien) tauchten gehäuft längliche Zellen mit einer Archaea-ähnlichen Zellwand und membranartigen Oberflächenstrukturen, sogenannten S-Layern auf. Diese ARMAN-Zellen waren im Mittel 244 nm lang und 175 nm im Durchmesser, ihr Volumen von weniger als 0,006 μm macht sie zu den kleinsten bisher bekannten zellulären Lebensformen.


Archaische Parasiten

Die kleinsten bekannten Archaeen des Nanoarchaeen-Stammes leben als obligate Parasiten anderer Archaeen. Die Autoren räumen ein, dass größere Zell-Volumina ihrer ARMAN-Zellen nicht ausgeschlossen sind, sofern versteckte Verbindungen zwischen den Objekten, die sie als Zellen beschreiben, entdeckt werden können. Wenn allerdings die beobachtete Größe tatsächlich stimmt und die Hälfte der Zellen mit Ribosomen bepackt ist, ist damit mindestens Platz für 350 Ribosomen normaler Größe.

Bislang haben Bakers Wissenschaftler keinen Hinweis auf einen parasitären Lebenswandel der Zellen finden können. Und auch keine extraterrestrischen Spuren (im Marsmeteorit ALH84001 fanden Forscher 20 bis 100 nm große Kügelchen, die damals jedoch noch keinen Beweis für Leben darstellten).





Letzte Änderungen: 23.10.2007