Editorial

Narkolepsie

von Petra Stöcker (Laborjournal-Ausgabe 12, 2008)


Narkolepsie

Schlafzwang kann viele Ursachen haben: durchtanzte Nächte, langweilige Uni-Seminare oder monoton vorgelesene Gute-Nacht-Geschichten. Die Narkolepsie dagegen, im Volksmund auch "Schlafkrankheit" oder "Schlummersucht" genannt, hat nichts mit zu wenig Schlaf zu tun. Sie ist eine Erkrankung des Schlaf-Wach-Rhythmus', dessen Zentren im Hypothalamus und Suprachiasmatischen Nucleus (SCN) liegen.


Schlafattacke

Symptom ist eine unausweichliche Einschlafneigung mit kurzen Schlafanfällen in den unpassendsten Situationen. Im Gegensatz zu normalen Schläfern beginnen narkoleptische Schlafepisoden mit dem REM (Rapid-Eye-Movement)-Schlaf. Des weiteren tritt Kataplexie auf, das heißt eine kurzandauernde und plötzliche Erschlaffung der Gesichts-, Arm- oder Beinmuskulatur.

Dies wird auch "affektiver Tonusverlust" genannt, weil diese Anfälle beispielsweise durch Freude oder Stress ausgelöst werden. Je nach Schweregrad eines Anfalls werden dem Narkoleptiker dann sprichwörtlich die Knie weich, er lässt Gegenstände fallen oder fällt selbst um.

Schon Dokumente aus dem 18. Jahrhundert beschreiben Narkolepsie-ähnliche Symptome. So verarbeitet etwa der Maler Johann Heinrich Füssli seine "hypnagogen (zum Schlaf führenden) Halluzinationen" 1792 im Bild "The Nightmare". Wissenschaftlich wurden in Deutschland narkoleptische Symptome erstmals 1877 von Karl F. O. Westphal in seinem Artikel "Eigenthümliche mit Einschlafen verbundene Anfälle" beschrieben.

In den Siebzigerjahren des 19. Jahrhunderts untersuchten Carl Knecht und Merrill Mitler verschiedene Hunderassen, bei denen Narkolepsie gehäuft auftritt, wie etwa Dobermänner oder Labradore. Durch Zufall erfuhr der französische Psychiater und Narkolepsie-Forscher Emmanuel Mignot von diesen Hunden und legte sich den narkoleptischen Dobermann "Bean" zu, an dem er seine ersten Experimente durchführte.

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Zusammen mit seiner Forschergruppe an der Stanford University - Mignot ist seit 1993 Direktor des Stanford Center for Narcolepsy - entdeckte er 1999, dass bei narkoleptischen Hunden der Rezeptor für das hypothalamische Neuropeptid Orexin (auch als Hyprocretin bezeichnet, siehe LJ 04/1998) funktionsuntüchtig ist. Grund ist eine Mutation im Hypocretin (Orexin)-Rezeptor 2(Hcrtr2)-Gen). Bei narkoleptischen Hunden wird das mutierte Hcrtr2-Gen autosomal rezessiv vererbt.

1998 konnte eine Gruppe um den Ernährungsforscher Masashi Yanagisawa an der Universität in Dallas, Texas, an Orexin-defizienten Mäusen nachweisen, dass Orexin-Entzug zu Schlafanfällen führt. Beobachtung der nachtaktiven Tiere mit einer Infrarot-Videokamera zeigte, dass die Mäuse während ihrer Aktivitätsphase schliefen und immer wieder von kurzzeitiger Lähmung überfallen wurden, vergleichbar mit kataplektischen Anfällen.


Orexin-Mangel

Yanagisawa setzte sich mit Mignot in Verbindung. Zusammen suchen sie seither nach dem humanen "Narkolepsie-Gen". Beim Menschen scheint die Vererbung komplizierter zu sein, denn bei den wenigsten Narkoleptikern tritt eine familiäre Häufung auf. Selbst bei eineiigen Zwillingen erkrankt meistens nur ein Zwilling.

Zur Diagnose der Narkolepsie gehört unter anderem der Nachweis des Histokompatibilitäts-Leukozyten-Antigens HLA-DQB1*0602 im Blut. Genetische und pathophysiologische Untersuchungen zeigten, dass Orexin-Mangel und Narkolepsie eng mit dem Auftreten dieses Leukozytenmarkers zusammenhängen. Etwa 98 Prozent der Patienten mit Orexin-Mangel tragen diesen HLA-Marker. Er kann die Diagnose in zweifelhaften Fällen stützen. Emmanuel Mignot diskutiert in seinem kürzlich erschienen Review HLA-Typing als Screening-Methode zur Narkolepsie (Lancet Neurol 2008, 7(7):649-62).

In Yanagisawas Labor werden die Funktionen von Neuropeptiden erforscht, die unter anderem bei Ernährung und Schlaf eine Rolle spielen. In einer kürzlich erschienenen Veröffentlichung beschreibt Yanagisawa die Rolle des hypothalamischen Neuropeptides Melanin-concentrating hormone (MCH) bei der Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus' bei Mäusen (Neuroscience 2008, 156(4):819-29).


Mögliche Therapie

Die Verteilung von MCH-Neuronen und -Rezeptoren überlappt weitgehend mit der von Orexin-ausschüttenden Neuronen und -Rezeptoren. Die Forscher um Yanagisawa vermuten, dass MCH aufgrund der Orexin-ähnlichen Verteilung im Gehirn ebenso Wachsamkeit und Schlafperioden beeinflussen kann. Zudem zeigten Mäuse mit fehlendem MCH-Gen deutlich verkürzte REM-Schlafphasen, wenn sie auf Diät gesetzt werden.

Yanagisawa und seine Kollegen beobachteten weiterhin bei einer direkten Injektion von Orexin ins Gehirn von Mäusen, dass die narkoleptischen Symptome verschwinden - zumindest solange, bis die Substanz abgebaut und wieder ausgeschieden ist. Daher könnte Narkolepsie durch ein Medikament, das den Orexin-Spiegel im Gehirn erhöht, behandelt werden.

Pharmazeutische Firmen versuchen bereits, ein Orexin-Rezeptor-Antagonisten zu entwickeln, denn das lipophobe Neuropeptid selbst kann die Blut- Hirn-Schranke nicht passieren. Bislang beschränkt sich die Behandlung auf die Symptome. Traditionell werden Stimulantien gegen Tagesschläfrigkeit und Medikamente aus der Gruppe der Antidepressiva gegen Kataplexien eingesetzt. Trotzdem befindet sich der Narkolepsie-Patient in der Verfassung eines Gesunden, der 48 Stunden nicht mehr geschlafen hat - nur eben ständig.





Letzte Änderungen: 29.12.2008