Editorial

Synthetische Ribosomen

von Petra Stöcker (Laborjournal-Ausgabe 4, 2009)


Ribosom

Die synthetische Biologie ist um eine Errungenschaft reicher: synthetische Ribosomen. Obwohl außerhalb von Zellen hergestellt, können sie Protein synthetisieren.
Ribosomen sind Organellen mit evolutionsgeschichtlich alter Vergangenheit. Ihr Auftrag lautet bei Pro- wie Eukaryoten: „Füge Peptide aus Aminosäuren zusammen und übersetze den genetischen Code der mRNA in eine Aminosäuren-Abfolge!“ Die Ribosomen sind der Ort der Translation.


Neubau aus Gebrauchtteilen

Bereits 1912 beschrieb der Franzose Stéphane Leduc in „La Biologie Synthétique“ seine Vision, Lebensprozesse mit Hilfe von Chemie und Physik nachzubauen. Ende der 60er Jahre war es bereits gelungen, Ribosomen im Labor zu kreieren, allerdings in einer biochemischen Suppe, deren Zusammensetzung jeglicher Ähnlichkeit mit Zytoplasma spottete. Die Dinger funktionierten denn auch nur so lala.

Das hat sich inzwischen geändert: Dem Team um den Genetiker George Church und seinem Mitarbeiter Michael Jewett von der Harvard Medical School in Boston gelang es, voll funktionsfähige Ribosomen in vitro zu entwickeln.

Als Ausgangspunkt für das Design ihrer künstlichen Zellorganellen dienten natürliche E. coli-Ribosomen, die die Forscher zunächst in ihre Einzelteile zerlegten. Nach dem Motto „aus alt mach neu“ fügten sie dann die einzelnen RNA- und Protein-Komponenten der Ribosomen enzymatisch wieder zusammen. Die Gruppe konnte in vitro die ribosomale Synthese, das Zusammenfügen der ribosomalen Untereinheiten und die Protein-Produktion beobachten. So entstand ihr Plan, komplett künstliche Ribosomen ohne Zuhilfenahme bakterieller RNA und Proteine zu basteln.

Churchs in vitro-Version der Organellen produzierte ein Enzym aus der Luziferase-Familie. Luziferase erzeugt mittels Oxydierung von Luziferin Licht. Die Reaktion ist als Biolumineszenz bekannt. Mit dem dank Biolumineszenz leuchtenden Hinterteil verführen Leuchtkäfer, wie etwa das Glühwürmchen Lampyris noctiluca, hübsche Leuchtkäferinnen.

Editorial

Editorial

Vor allem Müll

Die Forscher um Church wollen mit Hilfe ihrer Ribosomen jedoch weit mehr als ein helles Glimmen erzeugen. Sie planen, ihr Modellorganell genetisch weiter zu modifizieren, um beispielsweise biologische Arzneistoffe herzustellen.

Bisher greifen die Hersteller dazu nach wie vor auf biosynthetisch optimierte Bakterien und Hefen zurück. Die Krux dabei: vieles an den heutigen Arbeitstieren der Biotechnologie stört, wie etwa Stoffwechselwege, die ein Bakterium im Labor nicht braucht.

Werden Proteine von lebenden Bakterien wie E. coli produziert, wandern etwa neunzig Prozent der bakteriellen Bio­masse in den Müll, im kleinen Rest ist das gewünschte Eiweiß zu finden.

Ein maßgeschneiderter Organismus wäre effizienter. Das Start-up-Unternehmen LS9 aus San Francisco – Mitgründer ist George Church – setzt auf radikal umgebaute E. coli-Bakterien, die einen Biosprit aus Fettsäuren produzieren.


Gefährliches Spiegelbild

Doch zurück zu den Ribosomen: Church und sein Team wollen das Kunstorganell unter anderem dazu nutzen, um eine Spiegelbild-Version der natürlich vorkommenden Proteine zu erzeugen.

Das Phänomen der Chiralität oder auch „Händigkeit“ tritt bei den Aminosäuren verschiedenster Biomoleküle wie Duft- und Geschmacksstoffen auf. Allgemein werden geometrische Figuren ohne Drehspiegelachse als „chiral“ bezeichnet. Sie besitzen ein Spiegelbild, mit dem sie jedoch nicht zur Deckung zu bringen sind. Erstaunlicherweise sind alle in lebenden Systemen vorkommenden Proteine aus links-chiralen Aminosäuren aufgebaut. Der Grund für diese sogenannte Homochiralität der belebten Welt ist unklar.

Im Gegensatz zur biologischen Synthese produziert die chemische Synthese eine Mischung rechts- und links-chiraler Moleküle („Enantiomere“). Mittels aufwändiger Enantiomeren-Trennung müssen beide voneinander getrennt werden, da die Wirkungen beider Formen sich in der Regel unterscheiden. Traurige Berühmtheit erlangte der Arzneistoff Thalidomid, welcher in den 60er Jahren als Schlafmittel auf dem Markt war. Der Wirkstoff wurde als Gemisch beider Enantiomere eingesetzt, wovon eines tatsächlich als Schlafmittel wirkte, das andere aber bei Neugeborenen zu schwersten Missbildungen führte.


Im Prinzip ganz einfach

So würde die pharmazeutische Industrie von einer Spiegelbild-Version der Proteine profitieren, da oft Proteine aus Aminosäuren mit nur einer Drehrichtung (also Enantiomeren-reine Stoffe) die gewünschte Wirkung entfalten, ihr Enantiomer-Zwilling dagegen sogar Schaden anrichten kann.

Zudem könnte dann auf die teure Enantiomeren-Trennung oder aber die aufwändige asymmetrische Synthese verzichtet werden. Um ihren Protein-produzierenden Ribosomen-Prototyp zur Spiegelbild-Synthese zu bringen, müssten laut Church lediglich einige Moleküle der ribosomalen Enzyme abgezwickt werden, welche Aminosäuren zu Peptiden verknüpfen.

Mit vielen Ideen und noch mehr Plänen scheint der Traum vom maßgeschneiderten Organismus langsam in Erfüllung zu gehen. Die dabei entstehenden „Zellorganellen vom Reißbrett“ sollen helfen zu verstehen, wie Leben funktioniert.





Letzte Änderungen: 04.05.2009