Editorial

Metamorphose

von Stephanie Heyl (Laborjournal-Ausgabe 9, 2010)


torso

Foto: Nicolas Gompel,Uni Wisconsin-Madison

Holometabole Insekten machen eine vollständige Metamorphose von mehreren Larvenstadien über die Puppe bis zum ausgewachsenen Insekt durch. In der Puppe, die durch Häutung am Ende des letzten Larvenstadiums gebildet wird, vollzieht sich die Metamorphose zum adulten und geschlechtsreifen Tier – Käfer, Fliege oder Schmetterling. Vergleichbar mit der Pubertät beim Menschen. In einer Puppe finden wir eine Großbaustelle, auf der Strukturen abgerissen, umgewandelt und neu errichtet werden.


Häutungshormon

Vor jeder Häutung scheiden neurosekretorische Zellen im Gehirn das Prothorakotrope Hormon (PTTH) aus, ein Neuropeptid, das über die Hämolymphe zur Prothoraxdrüse (PG) direkt hinter dem Kopf gelangt und dort über einen Mitogen-aktivierten Proteinkinase(MAPK-)Signalweg die Sekretion von Ecdyson aktiviert, dem Vorläufer des aktiven steroiden Häutungshormons 20-Hydroxyecdyson (20E). Das Häutungshormon setzt die aufeinander folgenden Häutungen in Gang und initiiert im Zusammenspiel mit dem Juvenilhormon (JH) aus der hinter dem Hirn liegenden Corpora allata die Metamorphose: Wird viel Juvenilhormon freigesetzt, häutet sich die Larve zur größeren Larve, bei wenig JH kommt es zur Verpuppung.

Wie PTTH-Peptide nun genau wirken, haben Forscher um Kim F. Rewitz und Michael B. O‘Connor von der University of Minnesota in Minneapolis entdeckt: Aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit von PTTH mit Wachstumsfaktoren in Säugetieren (T. Noguti et al., FEBS Lett 1995, 376:251), welche Liganden für Rezeptor-Tyrosinkinasen (RTK) sind, suchten die Amerikaner in Drosophila nach einer RTK als möglichen Bindungspartner für PTTH. Und tatsächlich fanden sie einen heißen Kandidaten: die Rezeptor-Tyrosinkinase „Torso“, die schon in der frühen Embryogenese spezifisch in der Prothoraxdrüse exprimiert wird (Science 2009, 326:1403-5).


Enzym für Kopf und Hintern

Direkt nach der Eiablage ist das Produkt von torso aus der terminalen Gruppe der maternalen Koordinatengene nötig für die korrekte räumliche Anordnung der anterioren und posterioren Strukturen des Embryos. Torso, von seinem embryonalen Liganden Trunk ausschließlich an den Embryo-Polen aktiviert, löst eine Signalkaskade aus, an deren Ende die Bildung des Kopfskeletts sowie sämtlicher Details hinter dem 7. Hinterleibssegment stehen.

Knockdown von torso mittels RNA-Interferenz (RNAi) hatte zur Folge, dass sich die Fliegenlarven aufgrund eines zu niedrigen Levels an Häutungshormon bis zu 5,8 Tagen später verpuppten und so eine größere Puppe beziehungsweise Fliege hervorbrachten. Denselben Phänotyp hatten Rewitz und O‘Connor bereits bei PTTH-Verlustmutanten beobachtet, deren Puppenstadium sich um 5,4 Tage verzögerte. Daraus schlossen die Forscher, dass Torso und PTTH Komponenten desselben Signalwegs sind, an dessen Ende die Ausschüttung von Ecdyson steht.

Fütterte man torso- und PTTH-Mutante im dritten und letzten Larvenstadium mit aktivem Häutungshormon, so konnte die Entwicklungsverzögerung sowie die Übergröße vollständig behoben werden und die Fliegen erreichten ihre normale Wildtyp-Größe.

Eine Überaktivierung von Torso hingegen (mittels konstitutiv aktivem Allel torso RL3) brachte den erwarteten gegenteiligen Effekt mit sich: Die Larven bekamen vorzeitig ihr Signal zur Verpuppung und entwickelten sich zu kleineren Adulten als ihre Wildtyp-Artgenossen. Dasselbe wurde bereits bei PTTH-Überexpression beobachtet.


Ein Rezeptor fürs Leben

Überraschend fanden Rewitz und O‘Connor in Drosophila, dass der Torso-Ligand Trunk und PTTH trotz unterschiedlicher Primärsequenz Ähnlichkeiten besaßen, wie etwa die gleiche Lage der sechs Cysteine, die verantwortlich für die Faltung des Peptids sind. War es möglich, dass die beiden Peptide denselben Rezeptor, nämlich Torso, aktivieren?

Im frühen Blastoderm-Stadium führt die Torso-Aktivierung durch Trunk zur Expression der Zielgene für die Ausprägung der vorderen und hinteren Strukturen von Drosophila. In trunk- und torso-Mutanten wird nur das Kopfskelett gebildet, das letzte Segment am Hinterleib, das Telson, fehlt. In trunk-Mutanten gelang den Forschern mittels ektopischer Expression (Aktivierung eines Gens am falschen Ort) von PTTH eine partielle Aufhebung des trunk-Mutanten-Phänotyps. Die Strukturen am Abdomen der Fliege wurden, zumindest teilweise, wieder hergestellt. Beweis genug, dass PTTH, welches normalerweise erst im 3. Larvenstadium exprimiert wird, Torso schon im Embryo aktivieren kann, wenn Trunk fehlt.

Um den letzten Hauch eines Zweifels auszuräumen, experimentierten Rewitz und O‘Connor mit sämtlichen Schlüsselkomponenten der MAPK-Signaltransduktion für PTTH/Torso, indem sie sie in ihrer Expression reduzierten. Für die downstream von torso liegenden Faktoren wie Ras, Raf und ERK (extracellular signal-related kinase) ergab sich bei Verlust jedes Einzelnen eine verzögerte Verpuppung um 4,3 (Ras), 2,7 (Raf) und 6,1 (ERK) Tage und daraus resultierend eine Fliege mit Übergröße. Konstitutiv aktives Ras hingegen konnte eine torso-Mutante komplett von ihrer Entwicklungsverzögerung befreien. Torso hat bei Drosophila demnach auch die Aufgabe, die Metamorphose am Ende des Larvalwachstums – die Verpuppung – zu veranlassen.

Insekten nutzen offenbar denselben Rezeptor für zwei unterschiedliche Liganden und zwei Entwicklungsprozesse: die Etablierung des terminalen Zellschicksals im Embryo und das Beenden der Larvalphase zur korrekten Zeit, um eine geeignete Endkörpergröße zu sichern.



Letzte Änderungen: 16.09.2010