Editorial

Alarmine

von Melanie Erzler (Laborjournal-Ausgabe 12, 2017)


Stichwort

Blenden wir zurück in die 1990er: Im US-National Cancer Institute wollen Joost Oppenheim und seine Kollegen in Mausexperimenten zeigen, dass die Injektion von Interleukin-8 ­(IL-8) neutrophile Granulozyten dazu stimuliert, das Gewebe zu infiltrieren. Sie haben Erfolg. Allerdings machen sie bei ihren Experimenten zusätzlich eine durchaus überraschende Entdeckung: Die ausgelöste Entzün­dungsreaktion bleibt länger bestehen als erwartet, denn auf die Neutrophilen folgen mononukleäre Zellen. Die Neutrophilen scheinen die anderen Immunzellen angelockt zu haben – wohl über ein Chemokin, wie die Forscher zunächst vermuteten. Die Forscher identifizieren als Verursacher jedoch ein Defensin, das bisher als rein antimikrobielles Molekül galt. Für ein Chemokin ist es jedenfalls zu klein. Bei späteren Untersuchungen stellt sich dann heraus, dass Defensine über die chemotaktische Wirkung hinaus auch Dendritische Zellen aktivieren können (Science 286: 525-8). Fast zehn Jahre nach der ersten Entdeckung war somit eine neue Einheit des Immunsystems benannt: die Alarmine (Curr. Opin. Immunol. 17(4): 359-65).

Gefahr von innen

Gelangt ein Pathogen in den Organismus, geht das Immunsystem auf die Barrikaden – der Eindringling muss abgewehrt werden. Verantwortlich für dessen Erkennung sind „Pattern Recognition Receptors“ (PRR), die den Krankheitserreger aufgrund bestimmter Moleküle enttarnen: den Pathogen-assoziierten molekularen Mustern (PAMPs). Bei Bakterien sind dies beispielsweise Lipopolysaccharide oder Flagellin, bei Viren meist doppel- oder einzelsträngige DNA. Es folgt eine Abwehrreaktion durch Einheiten des angeborenen und erworbenen Immunsystems.

PRRs können aber nicht nur durch exogene Faktoren aktiviert werden. Und hier kommen die Alarmine ins Spiel: Sie werden als Reaktion auf Verletzungen, Zelltod und Immunprozesse ausgeschüttet und wirken sowohl chemotaktisch als auch aktivierend auf Zellen des Immunsystems. Sie gehören zur Gruppe der DAMPs (Damage-Associated Molecular Patterns), die im Körper eine nicht-infektiöse Entzündung auslösen – teilweise wird der Begriff auch synonym gebraucht. Alarmine sind dabei in der Lage, sowohl das angeborene als auch das adap­tive Immunsystem zu aktivieren.

Verteidigung an vorderster Front

Da Alarmine konstitutiv exprimiert werden, stehen sie bei Gefahr umgehend zur Verfügung und gelten als „First Responder“. Sie werden entweder durch Zellschädigung freigesetzt oder aktiv aus der Zelle transportiert. Intrazellulär haben Alarmine ganz verschiedene Funktionen: Sie sind beteiligt an Homöostase, Genexpression, Proliferation und Differenzierung.

Die Alarmin-Familie ist vielfältig: Bekannte Mitglieder sind Chromatin-bindende Moleküle (HMGB1), Interleukine (IL-1α, IL-33), Heat-Shock-Proteine, Harnsäure-Kristalle, ATP und seit kurzem auch α-Synuklein. Werden Alarmine frei, stimulieren sie zunächst das angeborene Immunsystem – und zwar durch chemotaktische Rekrutierung und Aktivierung von Leukozyten, die wiederum andere proinflammatorische Mediatoren ausschütten. Darüber hinaus lösen sie durch die Stimulation Antigen-präsentierender dendritischer Zellen auch eine adaptive Immunantwort von T- und B-Lymphozyten aus.

Zuviel des Guten

Wie bei vielen anderen Faktoren des Immunsystems kann des Guten manchmal allerdings auch zu viel sein: Bei größeren Wunden und Verletzungen lösen Alarmine schon mal einen Zytokinsturm aus. Darüber hinaus spielen sie eine Rolle bei verschiedenen Autoimmunerkrankungen. Die Alarmin-Level müssen deshalb streng kontrolliert werden. Dies geschieht beispielsweise über den Redoxstatus oder molekulare Regulatoren.

Intensiv erforscht ist die Rolle der Alarmine beispielsweise bei der rheumatoiden Arthritis (Nat. Rev. Rheumatol. 12: 669-83). Die Autoimmunerkrankung ist gekennzeichnet durch eine Entzündung der Gelenkschleimhaut (Synovitis), die zu Gewebe-, Knochen- und Knorpelschäden führt. Die Interaktion von infiltrierenden Immunzellen und hyperproliferierenden lokalen Zellen (Pannus) führt zu einer starken Sekretion von Zytokinen und Alarminen.

Eine wichtige Rolle bei den Entzündungsprozessen spielen dabei Phagozyten-spezifische S-100 Proteine, genauer S-100A8 und S-100A9. Da die Konzentration dieser Alarmine in Serum und Gelenkflüssigkeit in direkter Korrelation zum Grad der Entzündung steht, werden sie als Biomarker klinisch eingesetzt, um Krankheitsaktivität und Therapieverlauf zu beurteilen.

Target und Therapeutikum

Möglicherweise kann man Alarmine aber nicht nur als Biomarker, sondern auch als therapeutische Targets nutzen. Ihr Vorteil ist, dass sie lokal freigesetzt werden und man daher spezifisch am Entzündungsprozess angreifen könnte. Dafür gibt es verschiedene Strategien. Zum einen könnte die Sekretion verhindert werden. Interessanterweise gibt es bereits ein Medikament, das durch Bindung an Mikrotubuli den Sekretionsprozess verhindert: Colchicin. Es wird zur Therapie des Familiären Mittelmeerfiebers eingesetzt, einer Krankheit, bei der hohe Level an S-100 vorliegen – möglicherweise ein Grund für dessen Wirksamkeit.

Neben Verhinderung der Expression oder der Rezeptorinteraktion gibt es einen weiteren Ansatz, die Alarmine therapeutisch zu nutzen: Abhängig von der Konzentration und Expositionsdauer können Alarmine auch anti-inflammatorisch wirken. Könnte man Alarmine also nutzen, um eine Toleranz autoreaktiver Immunzellen herbeizuführen? So vielfältig wie deren Mitglieder scheinen auch die möglichen Einsatzgebiete der Alarmin-Familie zu sein.

Es bleibt also spannend.



Letzte Änderungen: 07.12.2017