Editorial

Zirkuläre DNA (eccDNA)

von Melanie Erzler (Laborjournal-Ausgabe 6, 2018)


Stichwort

Gene mutieren – ob auf Sequenz- oder chromosomaler Ebene, das Genom scheint weniger stabil als lange angenommen. Mehr und mehr zeigt sich, dass sich auch die somatischen Zellen von Gesunden strukturell deutlich unterscheiden können.

Was nach einer Deletion mit der aus dem Genom entfernten DNA passiert, ist aber immer noch unklar. Geht sie einfach verloren? Dem widersprechen neueste Erkenntnisse zur sogenannten eccDNA: In Form solcher extrachromosomaler zirkulärer DNA kann deletierte DNA in den Zellen weiterexistieren. Eine Studie dänischer Forscher, in der sie die gesamte eccDNA der Hefe S. cerevisiae anreicherten und sequenzierten, ergab gar, dass die gesamte eccDNA fast ein Viertel der kompletten Genomsequenz beinhaltete (PNAS 112 (24): E3114-22).

Mutationen, die die Entstehung von eccDNA zur Folge haben, scheinen also relativ häufig vorzukommen. Sie entstehen meist durch Fehler bei der DNA-Reparatur, beispielsweise im Zuge von homologer Rekombination und dem NHEJ (Non-Homologous End-Joining).

Im letzten Jahr berichteten US-Forscher, dass Krebszellen eine große Zahl an eccDNAs beinhalten und diese eine zentrale Rolle in der Tumorentstehung spielen können (Nature 543: 122-25). Deren Untersuchung von Zellproben aus 17 verschiedenen Tumoren ergab, dass eccDNAs oft Kopien von Onkogenen tragen – diese kamen sogar häufiger auf eccDNAs vor als auf chromosomaler DNA. Durchaus eine Überraschung, fokussierten sich Krebsforscher doch bislang meist nur darauf, welche Gene Krebs verursachen – und fragten weniger, wo sie lokalisiert sind.

Im März jedoch publizierten die Dänen ein weiteres Paper, in dem sie zeigten, dass zirkuläre eccDNA nicht nur in Tumorzellen, sondern auch in Muskel- und Blutzellen von gesunden Probanden weit verbreitet ist (Nat. Commun. 9: 1069). Für die Analyse der eccDNA nutzten sie eine Methode namens Circle-Seq, die sie bereits zur Untersuchung der S. cerevisiae-eccDNA entwickelt hatten: Nach der DNA-Isolation trennt man mittels Säulenchromatographie die zirkuläre DNA von der linearen, die danach durch Exonukleasen verdaut wird; anschließend vervielfältigten sie die übriggebliebene zirkuläre DNA via zyklischer Amplifikation und analysierten deren Sequenzen.

Viele und so gut wie überall

In den untersuchten Zellen entdeckten die Dänen schließlich mehr als hunderttausend eccDNAs in Größenordnungen von 0,05 bis knapp 1.000 kb, wobei 99 Prozent kleiner als 25kb waren. Die eccDNAs entstammten dabei verschiedenen genomischen Strukturen: Genen, Pseudogenen, intergenischen und repetetiven Regionen, aber auch ribosomaler DNA. Mehr als die Hälfte hatte jedoch ihren Ursprung in Genen und Pseudogenen; größere eccDNAs enthielten sogar komplette Gene. Gen-reiche Chromosomen wie die Nummern 17 und 19 bildeten umso mehr eccDNAs. Je mehr Gene, desto häufiger die Mutationen, schlossen die Forscher daraus.

Es scheint auch ein Zusammenhang zwischen aktiv transkribierter DNA und der Entstehung von eccDNAs zu bestehen: Mehr als hundert eccDNAs enthielten Fragmente des TTN-Gens, welches für Titin kodiert – gleichsam das häufigste Protein im menschlichen Körper, welches wiederum zur Muskelelastizität beiträgt.

Zellen aus dem gleichen Individuum beinhalteten eine ähnliche Anzahl und Größe von eccDNAs, der genetische Inhalt der Fragmente war aber sehr unterschiedlich. Die Autoren erklären dies unter anderem damit, dass die eccDNAs azentrisch sind und somit bei der Zellteilung nicht an die Tochterzellen weitergegeben werden. Durch diese hohe interzelluläre Variabilität können eccDNAs bei Krebserkrankungen stark zur Tumorheterogenität beitragen – eine Eigenschaft, die Krebszellen resistenter gegen Therapien macht.

Zumindest ein Teil der eccDNAs wird auch transkribiert: in S. cerevisiae beispielsweise können Zellen phänotypisch nach Genen selektiert werden, die nur auf der eccDNA liegen.

Zudem besitzen eccDNAs häufig einen Replikations-Ursprung. Durch die eigenständige Vervielfältigung könnten sie demnach deutlich leichter zur genetischen Evolution beitragen als Gene, die auf Chromosomen liegen.

Außerdem kann durch eccDNAs die Kopienzahl bestimmter Gene erhöht werden. Relevant wird dies beispielsweise bei Proto-Onkogenen wie cMYC und EGFR, die durch eine erhöhte Transkription die Tumorentstehung vorantreiben.

Summa summarum bedeutet dies, dass DNA-Fragmente noch lange nicht komplett verschwinden müssen, wenn sie aus der chromosomalen DNA verloren gehen. Im Gegenteil, offenbar können sie dann mitunter sogar einen stärkeren Einfluss auf das Schicksal der Zelle ausüben als zuvor.



Letzte Änderungen: 05.06.2018