Editorial

Morbus Alzheimer

von Bettina Ocker (Laborjournal-Ausgabe 06, 1995)


Das Schicksal seiner frühzeitig verstorbenen Frau vor Augen, erforscht ein junger Arzt mit akribischer Genauigkeit neuropathologische Gehirnstrukturen. 1906 beschreibt er den Fall einer Frau mit ausgeprägtem Gedächtnisverlust und nervöser Unruhe, die sich in ihrer Wohnung nicht mehr zurechtfindet. Nach ihrem Tod untersucht er ihr Gehirn und entdeckt Ablagerungen, sogenannte Plaques, die er mit dem Krankheitsbild in Zusammenhang bringt. Erst Jahrzehnte später greifen amerikanische Psychiater diese Beschreibungen auf und geben der Krankheit seinen Namen: Morbus Alzheimer.

Je nach Typ tritt diese irreversibel fortschreitende Form von geistigem Verfall im mittleren bis späten Lebensalter auf, in der Bundesrepublik sind davon 1 Million Menschen betroffen.

Der bekannte deutsche Pathologe Ludwig Virchow deutete die extrazellulären Ablagerungen fälschlicherweise als Stärkeablagerungen. Den Namen Amyloidplaques behielt man in den folgenden Jahren aber bei. Inzwischen ist bekannt, daß diese Strukturen aus Protein, und zwar aus ß-Amyloid 4 (ß-A4), bestehen, einem Abbauprodukt des amyloid precursor protein (APP).

Das Gen für APP liegt auf Chromosom 21, das beim Down-Syndrom in 3-facher Ausführung vorliegt. Auch diese Krankheit ist gekennzeichnet von Demenzerscheinungen und alzheimerähnlichen Amyloidplaques. Hier führt man dies entsprechend der Gendosis ebenfalls auf eine Überproduktion von APP und seinem Abbauprodukt zurück. Die Wissenschaftler glaubten, den Schlüssel zur Alzheimerkrankheit gefunden zu haben. Allerdings mußten sie bald feststellen, daß weniger als 3% der untersuchten Alzheimerfälle einen Zusammenhang zu Chromosom 21 zeigen; die Suche nach möglichen Ursachen ging also weiter.

Inzwischen konnte auf mindestens 3 Genorten eine genetische Disposition für Morbus Alzheimer nachgewiesen werden. Neben dem APP auf Chromosom 21 diskutierten die Forscher auch eine Beteiligung des Apolipoproteins E (Apo E) auf Chromosom 19. Kürzlich entdeckte eine kanadische Gruppe ein weiteres Gen auf Chromosom 14. Während die Gene auf Chromosom 21 und 14 für frühe Formen von Alzheimer verantwortlich sind, verursacht das Apo E auf Chromosom 19 Erkrankungen ab dem 65. Lebensjahr.

Apolipoprotein E ist am Transport von Cholesterol aus den Zellen heraus beteiligt. Vorstellbar ist, daß Apo E 4 die Faltung des ß-A 4 beeinflußt und so zu dessen Akkumulation beiträgt.

Schon 1992 deuteten Untersuchungen an Familienstammbäumen mit Morbus Alzheimer auf einen Zusammenhang mit Chromosom 14 hin. Kürzlich gelang es, das Gen zu identifizieren und zu klonieren. Sherrington und Mitarbeiter isolierten ein etwa 3 kb langes Transskript, AD3 genannt, und fünf Missensmutanten aus Alzheimerpatienten. Sämtliche Mutationen betreffen konservierte Bereiche des Gens. Man spekuliert, daß AD3 an der Speicherung und dem Transport von Proteinen beteiligt ist. Für die Zukunft konzentrieren sich die Alzheimer-Forscher u.a. auf die Frage, welche physiologische Funktion das AD3 normalerweise ausübt.



Letzte Änderungen: 19.10.2004