Editorial

Ribozyme

von Winnfried Köppelle (Laborjournal-Ausgabe 01, 1998)


Ein klassisches Dilemma der Evolutionsbiologie ist die Sache mit der Henne und dem Ei. Was war bei der Entstehung des Lebens zuerst da: Erbsubstanz in Form von Nukleinsäure, oder die mit ihrer Hilfe produzierten Proteine, die ihrerseits wiederum Nukleinsäuren synthetisieren? Extrem unwahrscheinlich, daß die beiden komplexen Molekülarten spontan und unabhängig am gleichen Ort entstanden. War also doch eine höhere Macht Voraussetzung für die Entstehung unserer belebten Welt?

In den späten 60er Jahren schlugen Carl Woese, Leslie Orgel und Francis Crick unabhängig voneinander eine verblüffend elegante Lösung des Problems vor. Sehr wohl könnte zuerst eine der Komponenten allein existiert haben, und zwar RNA. Zumal diese leichter zu synthetisieren ist als die Desoxysäure DNA. Sie habe alle lebensnotwendigen Reaktionen selbst katalysieren können, und erst irgendwann später die Fähigkeit erworben, Aminosäuren zu Proteinen zu verketten. Henne und Ei also ein und dasselbe? In der vor vier Jahren veröffentlichten Monographie von Raymond Gesteland und John Atkins mit dem etwas provozierenden Titel "The RNA World" verfechten die Vorreiter der RNA-Forschung in ihren Reviews jedenfalls dieses Szenario.

Nur eine nette, durchaus anregende Hypothese, könnte man meinen - wenn, ja wenn nicht Thomas Cech und Sidney Altman unabhängig voneinander Anfang der 80er Jahre etwas bis dahin vollkommen Neues entdeckt hätten; etwas, was die Biologen in aller Welt in erhebliche Aufregung stürzte und 1989 gar mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde: RNA, die sich ohne jegliches Protein selbst zu spleißen vermag. RNA also, die exakt wie ein Protein katalytisch wirkt.

Die Verfechter der "RNA-Welt" streckten den Rücken durch. Neue Arbeitsgruppen schossen wie Pilze aus dem Boden und veröffentlichten in den folgenden Jahren eine Schwemme von Artikeln über katalytisch wirkende RNAs. Ribozyme nannten sie die mittlerweile, um den Unterschied zu den Enzymen zu verdeutlichen. Auch wenn man immer noch kein Ribozym gefunden hat, das die RNA repliziert und vermehrt, konnten doch einzelne Schritte dieser Reaktion nachgewiesen werden. So beschrieben Thomas Cech und Jack Szostak etwa, daß sich Nukteotide durchaus ohne enzymatische Hilfe aneinanderreihen können; und Szostak wies auch den dazu nötigen Energieumsatz durch Spaltung einer Triphosphat-Gruppe nach. Zudem scheinen in den Ribosomen höchstwahrscheinlich RNAs die Aminosäuren zu verknüpfen, nicht die ribosomalen Proteine.

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Anwendungsbezogenere Forschungsbemühungen haben Ribozyme inzwischen in der medizinischen Therapeutik ausgelöst. Vor allem in der AIDS-Forschung. Es dämmerte nämlich die Möglichkeit, das HI-Virus mit Ribozymen gentherapeutisch zu bekämpfen. Die Idee ist simpel: HIV-RNA soll beim Eindringen in die Zelle, bei der Transkription oder bei der Verpackung durch Ribozyme inaktiviert werden. Zumal diese für ganz spezifische RNA-Sequenzen maßgeschneidert werden können - ebenso wie die schon länger gebräuchlichen Antisense-RNAs.

Die Gentherapeuten testen bisher überwiegend die nach ihrer Sekundärstruktur benannten Hammerhead-Ribozyme, seltener die Hairpin-Ribozyme. Den ersten, 52 Nukleotide großen "Hammerkopf" fand 1987 die Gruppe um Robert Symons aus Adelaine in verschiedenen Pflanzenviroiden. 1989 stöberten Symons und Co. das bis dahin kleinste funktionsfähige Ribozym auf: einen Hammerkopf mit nur 13 Nukleotiden.

Hammerhead-Ribozyme schneiden im allgemeinen an der 3'-Seite der Zielsequenz GUX, seltener auch NUX. Sie werden mittlerweile routinemäßig über RNA-Polymerase-Expressionssysteme gewonnen. Größere Probleme bereitet derzeit noch die Translokation der Ribozyme in die HrV-befallene Zelle. Retrovirale Vektoren weisen einige Nachteile auf Diesen sucht man neuerdings durch Verwendung von Adeno-assoziierten Virusvektoren zu begegnen, was jedoch bezüglich einer möglichen Adenovirus-Kontamination des Patienten nicht ganz unbedenklich ist.

Die tatsächlichen Erfolgsaussichten einer Ribozym-Gentherapie stehen somit noch in den Sternen. Obwohl einige Optimisten meinen, daß sogar eine Resistenz gegen HIV verwirklichbar sein soll.



Letzte Änderungen: 19.10.2004