Editorial

Viagra

von Jürgen Schickinger (Laborjournal-Ausgabe 07, 1998)


Jetzt steht wieder alles zum besten. Viagra schlägt auf dem Pharmasektor alles Dagewesene, schlug auf dem Markt ein, wie kein anders Medikament zuvor: Nach Einschätzung von Experten soll die Potenzpille aus dem Hause Pfizer schon dieses Jahr einen Umsatz von fünf bis elf Milliarden Dollar erzielen - allein in den USA. Pfizer rechnet aber damit, daß die Pille im Herbst auch in Deutschland zugelassen wird. Sechs bis acht Millionen Männer, schätzen die Mediziner, leiden hierzulande unter erektiler Dysfunktion - haben Probleme mit der Erektion.

Viagra begeistert alle: Der Vatikan applaudiert, ex-Präsidentschaftskandidat Bob Dole jauchzt, "ein phantastisches Medikament", die amerikanische Freudenhauszunft jubiliert - um 28 Prozent stieg ihr Umsatz. Die Medien berichten vom Run auf Viagra, vom Schmuggel mit der Pille, etwa an der deutschen oder der thailändischen Grenze - Indonesier sollen bis zu 2000 Dollar für eine einzige Tablette berappen. Imitate mit Namen wie "Viagro" oder "Vaegra" tauchen im Internet und auf mexikanischen Märkten auf: Seit der Anti-Baby-Pille hat kein Medikament für so viel Wirbel gesorgt.


Dabei schien die Pille zunächst ein Flop. Ursprünglich sollte sie gegen Brustschmerzen bei angina pectoris helfen wobei das Mittelchen schlichtweg versagte. Doch die betrübten Pfizer-Leute stutzten, als Teilnehmer der klinischen Studie ihre überzähligen Pillen unbedingt behalten wollten, ja sogar ein Einbruch in das Viagra-Labor geschah. Weit tiefer als erwartet, entfaltete die Droge ihre härtende Wirkung.

Ein Tiefschlag, also, mit erhebendem Effekt: Bei sexueller Stimulation erweitern sich die Muskelringe um die Arterien im Schwellkörper des Penis. Blut strömt ins Glied und kann durch die engen Venen nicht abfließen. Der Penis erhärtet und reckt sich empor. Meldet das Hirn sexuelle Erregung, so schütten die Muskelzellen im Schwellkörper den Botenstoff Stickoxid (NO) aus. NO stimuliert die Guanylatcyclase. Sie synthetisiert daraufhin zyklisches Guanosinmonophosphat (cGMP), das die Muskeln erschlaffen läßt und dazu führt, daß Blut in den Schwellkörper fließen kann. Allerdings baut die Phosphodiesterase Typ 5 (PDE5) das cGMP im Schwellkörper wieder ab, und abwärts sinkt der Mannesstolz. Genau hier greift Viagra ein: Sein Wirkstoff Sildenafil hemmt die PDE5. Der cGMP-Abbau erlahmt. Bei sexueller Erregung erhöht sich die cGMP-Konzentration in den Muskelzellen, der muskelentspannende Effekt verstärkt und verlängert sich - ebenso wie die Erektion.

Diesen Effekt lernte auch ein Großteil der rund 3000 Männer schätzen, die an den klinischen Untersuchungen zu Viagra teilnahmen. Je nach Sildenafil-Dosis und Ursache ihrer Erektionsstörung berichteten anschließend zwischen 40 und 80 Prozent der Probanden von verbesserten Erektionen und einer Steigerung der Erfolgsrate beim Geschlechtsverkehr. Dabei blieb die Zahl ihrer Sex-Attacken unverändert. Pfizer betont deshalb, daß Viagra völlig wirkungslos sei, wenn keine sexuelle Erregung vorliege: Ohne Lust läuft oder besser steht - generell nichts.

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Letzte Änderungen: 19.10.2004