Editorial

Buchbesprechung

von Winfried Köppelle




Reinhard Renneberg:
Ein Löffelchen voll Biotechnologie

Taschenbuch: 196 Seiten
Verlag: Spektrum Akademischer Verlag; Auflage: 1., st Edition. (Juli 2010)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3827425638
ISBN-13: 978-3827425638
Preis: 9,95 EUR

Volle Portion!

Mit Humor geht alles besser. Selbst Biotechnologie. Reinhard Renneberg beweist es in 60 Kurzgeschichten rund um Spitzenforschung, Alltagswissenschaft und seine wissenschaftliche Kindheit in der DDR.

Der Laborjournal-Reporter hat sich neulich festgelesen: Er saß in einem Wagen der Freiburger Straßenbahnlinie 3 und wusste es nicht mehr. Er wollte am Paula-Modersohn-Platz aussteigen und war abwesend. Längst sollte er in der Redaktion sein und seinen dort schwer arbeitenden Kollegen beistehen – doch er las weiter: über den Ukraine-stämmigen Forscher Arnold Demain, dessen Opa einst in New York saure Gurken verkaufte; über die Depression im Amerika der 1920er-Jahre und über ein Erlebnis, das den kleinen Arny prägen sollte. Denn als die Gurken eines Tages weich und matschig wurden, riefen seine Eltern einen Experten vom U.S. Dept. of Agriculture zu Hilfe. Arny Junior war vom ehrwürdigen Mikrobiologieprofessor, der fachkundig die faulende Existenzgrundlage der Familie untersuchte, tief beeindruckt.

Und so wurde der Junge („zu gescheit zum Gemüseaustragen!“) später selbst ein noch viel berühmterer Mikrobiologe. Groß-Arnold gab der NASA Mikroben mit ins All (ob auch Gemüse-Pathogene dabei waren, steht nicht im Buch), war 1971 zusammen mit Joshua Lederberg und Stanley Cohen Geburtshelfer der ersten Biotechfirma der Welt (Cetus) und entwickelte am MIT Industrieenzyme, neue Antibiotika, textilabbauende Cellulasen und noch vieles mehr.

All das liest, ebenfalls schwer beeindruckt, der Redakteur, während die Tram im Freiburger Vauban-Viertel eine 180-Grad-Wende vollführt und bald erneut (dieses Mal in Gegenrichtung) am Paula-Modersohn-Platz vorbeizuckelt. Der Redakteur ist mittlerweile auf Seite 20 angelangt („Was machst Du, oh Brucella, wenn nachts im Labor das Licht brennt…?“) und steigt nicht aus; der Zug passiert das Staatliche Weinbauinstitut am Schlierberg (Seite 25: „Welche Antibiotika-resistenten Keime siedeln in Hongkonger Katzen?“); längst nähert sich die Linie 3 der Innenstadt – und endlich geschieht es: Ein mächtig erschrockener Fahrgast spurtet mit einem Buch in der Hand an seinen nicht minder erschrockenen Mitfahrgästen vorbei und hechtet ins Freie. Ob Cora Crippen noch lebt, ist jetzt die Frage (Seite 38), doch die klärt sich während des knapp halbstündigen Fußmarsches zurück zum Paula-Modersohn-Platz. Crippens mitochondriale DNA, konserviert in einer uralten Bauchgewebe-Probe, hilft bei der Lösung des Falles. Die seit mehr als zwei Stunden im Büro schuftenden Kollegen sind an des Reporters Ausreden nicht interessiert.


Renneberg lesen hält fit!

Ja, Reinhard Renneberg zu lesen fördert die Gesundheit! So viele kreislauffördernde Spaziergänge an der frischen Luft tat der Reporter selten. 60 launige Biotech-Episoden auf 193 Seiten hat der deutsche Professor von der Hongkonger University of Science and Technology versammelt.

Erschienen sind sie als „Biolumnen“ erstmals zwischen 2007 und 2010 in der Berliner Tageszeitung Neues Deutschland.

Apropos DDR – Renneberg verleugnet seine Herkunft keineswegs. Immer wieder erfährt der Leser Bemerkenswertes über die ostdeutsche Forschung unter Honecker. Etwa, dass die DDR-Forscher in der Biosensorenentwicklung Weltklasse waren („besser als die Japaner!“), dass der Bioelektrochemiker Hermann Berg in der DDR nur zufällig (und doch berechtigterweise) Professor wurde, und dass das erste dreidimensionale DNA-Molekülmodell des Ostens 1968 aus heimlich entwendeten Kinderwagen-Rasseln und handgeschnittenem blauem Polystyrol vom Bunawerk in Schkopau hergestellt wurde. Von wem? Na, von Renneberg Junior höchstpersönlich natürlich!


Eigenurin-Probe im Hörsaal

Dass hingegen selbst in Hongkong die Studenten fassungslos sind, wenn ihr Professor im Hörsaal vor versammelter Mannschaft eine Eigenurin-Geschmacksprobe veranstaltet, gehört zu den ebenfalls reichlich vorhandenen Asien-Anekdoten, die der Autor in seinen bisher 15 Jahren Fernost erlebte. Überhaupt scheints beim Studium in Hongkong recht familiär zu zugehen, den immer wiederkehrenden Erzählungen Rennebergs über gemeinsame Essen mit „seinen“ Studenten nach zu urteilen.

Bestimmt haben Sie es schon bemerkt: Ein Löffelchen voll Biotechnologie hinterließ einen begeisterten Rezensenten.Nur zwei Dinge missfielen: Zum einen unterliegt Renneberg einem Denkfehler, wenn er auf Seite 142 schreibt, dass mit einer biotechnologischen Lebensverlängerung („Pille für ein längeres Leben?“) die Krankheiten Krebs und Artheriosklerose verschwinden würden. Falsch, daran erkrankte man dann halt schlicht erst in späteren Lebensjahren! Und zum zweiten macht er den Leser erst darauf neugierig, wie die Doktoranden Stefan Dübel und Frank Breitling einst im Heidelberger Schwimmbad eine geniale Eingebung zur biotechnologischen Herstellung vollständig humaner Antikörper hatten – und verweist dann auf eine Biolumne, die gar nicht im Büchlein enthalten ist.

Die dürfen wir dann aber bitte im nächsten Renneberg-Buch lesen. Versprochen?


Letzte Änderungen: 23.02.2011