Stimme aus der Vergangenheit
Weise Ratschläge eines längst verblichenen Nobelpreisträgers – wer will die hören? Andreas Mayer vom Genzentrum der LMU München sperrte seine Ohren auf, und was er vernahm, war alles andere als altbacken.
Welche Fähigkeiten sind erforderlich, um den Traum von einer eigenen wissenschaftlichen Nachwuchsgruppe zu verwirklichen?
Was sind die Zutaten, die einen erfolgreichen Wissenschaftler ausmachen? Ein kleines, 150 Seiten dünnes Büchlein mit dem Titel Advice for a young investigator kann Antworten geben. Es stammt aus der Feder des spanischen Mediziners Santiago Ramón y Cajal (1852-1934), der heute zu den herausragendsten Neurowissenschaftlern aller Zeiten zählt. Für seine bahnbrechenden Studien zur Struktur des Zentralen Nervensystems wurde er mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet. 1906 war das. Sein Buch schrieb Cajal vor mehr als 100 Jahren mit dem Ziel, spanischen Nachwuchswissenschaftlern Tipps und Tricks für ihren weiteren Werdegang zu geben.
Fallstricke und Blockaden
In neun Kapiteln benennt Cajal die Fähigkeiten, die ein junger Wissenschaftler braucht, um international erfolgreich zu werden. Den Auftakt bildet eine eher trockene und farblose Einleitung, die ohne Probleme übersprungen werden kann. Was dann folgt, macht dem Titel des Buches alle Ehre: Ein guter Rat jagt den nächsten. Gleich zu Beginn schildert Cajal anschaulich, welche Fallen auf dem Weg des aufstrebenden Wissenschaftlers lauern und welche inneren Blockaden so früh wie möglich überwunden werden müssen.
Kapitel 3 stellt einen frühen Höhepunkt des Buches dar. Hier beschreibt der Nobelpreisträger knallhart die intellektuellen Talente, auf die es ankommt. Er betont den enormen Zeitaufwand, der betrieben werden muss, um diese Talente zur vollen Blüte zu bringen. Dennoch unterstreicht er im selben Atemzug die Wichtigkeit von Ruhephasen, um langfristig kreativ zu bleiben. Heute würde das in die Rubrik „Work-Life-Balance“ fallen. In den beiden folgenden Kapiteln erfährt der Leser, worüber ein Newcomer in den biologischen Wissenschaften unbedingt nachdenken sollte, bevor er die ersten Experimente in den Sand setzt. Er skizziert zudem die Rolle des Zufalls und entlarvt diverse Einstellungsprobleme bei Wissenschaftlern, die er selbst als Krankheitsbilder betrachtet.
Welche Frau passt zu mir?
Ein zweiter, jedoch eher amüsanter Höhepunkt wird in Kapitel 6 erreicht. Hier widmet sich Cajal der Frage, nach welchem „Typus“ Frau ein Wissenschaftler Ausschau halten sollte und welcher gänzlich ungeeignet ist. Sehr lustig. Den Ausklang bilden drei oberflächlich gestaltete Kapitel, in denen er sich unter anderem mit dem Erstellen von wissenschaftlichen Publikationen beschäftigt.
Cajal, der es bereits zu Lebzeiten in den wissenschaftlichen Olymp geschafft hat, weiß genau wovon er redet. Seine Tipps erscheinen daher stets authentisch. Obwohl das Buch in diesem Jahr bereits seinen 114. Geburtstag feiert, sind die meisten der darin enthaltenen Ratschläge immer noch aktuell. Der bildhafte und einfache Sprachstil macht das Buch leicht bekömmlich. Zudem werden die zentralen Punkte mit anschaulichen Beispielen garniert.