Editorial

Buchbesprechung

Daniel Weber




Frank Ryan:
Die Macht der Viren in der Evolution

Gebundene Ausgabe: 364 Seiten
Verlag: Spektrum Akademischer Verlag;
Auflage: 1. Aufl. (28. September 2010)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3827425417
ISBN-13: 978-3827425416
Preis: 24,95 EUR

Der Schein trügt

Auch wenn der Umschlagdesigner übers Ziel hinausgeschossen ist: Inhaltlich kann das neue Buch des Evolutionsbiologen Frank Ryan voll überzeugen.

Auf dem Cover des Buchs Virolution des Arztes und Evolutionsbiologen Frank Ryan ist eine Chimäre aus Gorilla und Zebra, quasi ein Zebrilla, zu sehen. Der Rezensent erinnert sich an den Film Prevolution, das letzte Remake des Science-Fiction Klassiker Der Planet der Affen, und war gespannt, ob die Handlung des Buches entsprechend auf dem Planeten der Zebrillas spielt, denn Titel und Coverbild von Virolution versprechen eine ähnlich trashige Space Opera. Aber abgesehen von einem Titel, der aus einer linguistischen Symbiose hervorgegangen ist und wenig Sinn ergibt, haben Buch und Film nichts gemeinsam. Zum Glück für den Rezensenten, denn zwischen den Buchdeckeln steckt ein hervorragendes populärwissenschaftliches Werk.

Der deutsche Untertitel Die Macht der Viren in der Evolution ist besser formuliert und fasst das Thema eindeutig zusammen. Bereits in seinem früheren und sehr empfehlenswerten Buch Virus X hat Ryan diesem Thema einige Seiten gewidmet. Nun führt er seine Theorie auf über 300 Seiten detailliert aus.
Frank Ryan

Der britische Arzt und Wissenschaftsautor Frank Ryan zeigt in Virolution, wie Viren mit Pflanzen und Tieren eine Co-Evolution durchlaufen – und wie Viren ihrem Wirt dabei beim Überleben helfen.


Ryans Kernaussage ist, dass Viren in einer Symbiose mit ihrem infizierten Wirt leben. Das erscheint zunächst einmal schwer vorstellbar. Der Vorteil für das Virus ist eindeutig: Der infizierte Wirt wird zur Virusreplikation genutzt.


Ist HIV ein Symbiont?

Der Vorteil für den Wirt allerdings ist nicht ersichtlich, zumal Ryans Symbiosebegriff auch für Viren wie beispielsweise das in der heutigen Zeit wohl bekannteste Virus HIV gilt. Denn auch HIV soll sich laut Ryan in einer sogenannten aggressiven Symbiose mit dem Menschen befinden. Der Rezensent fand den Begriff „Symbiose“ in einem solchen Zusammenhang zunächst unpassend, aber laut Wikipedia wird der Begriff Symbiose in Europa anders verstanden als in den USA. Dort vereinigt der Symbiosebegriff sämtliche Formen eines co-evolutionären Zusammenlebens, zum Beispiel auch den Parasitismus.

In Europa hingegen ist der Begriff Symbiose enggefasster und gilt ausschließlich für die Vergesellschaftung von Individuen unterschiedlicher Arten, die für beide Partner vorteilhaft ist. Das zu wissen ist für das Verständnis des Buches hilfreich. Einige seiner Passagen sind dadurch nachvollziehbarer.


Elysia chlorotica

Die Brackwasserschnecke Elysia chlorotica schaffte es im November 2008 auf das Titelbild von PNAS. Sie integriert Algenchloroplasten in ihrem Körper; Viren helfen ihr dabei, Teile des Algengenoms in ihr eigenes Genom einzubauen.

Symbiose der Nacktschnecke

Der Autor führt den Leser behutsam an seine Theorie heran und erklärt anhand interessanter Beispiele die Möglichkeiten, wie eine Symbiose zwischen Wirt und Virus verlaufen könnte. So stellt Ryan im ersten Kapitel die Nacktschnecke Elysia chlorotica vor, die im Brackwasser an der nordamerikanischen Ostküste lebt und quasi ein Pflanzentier ist, eine Symbiose zwischen Tier und Algen.

Später erzählt Ryan von der Entdeckung viraler Sequenzen in der menschlichen DNA im Jahr 1981, und noch später vom Befund, dass das Gen für das Protein Syncytin, das eine essentielle Funktion in der Plazentabildung spielt, aus einem humanen Retrovirus stammt (Kapitel 6). Im Jahr 2000 war das.

Letzteres ist nicht nur überraschend, sondern auch interessant und spricht tatsächlich für eine Co-Evolution zwischen Wirt und Virus. So sind zwölf der fünfzehn Kapitel von Virolution lehrreich und spannend, während die letzten drei Kapitel des Buches zum Thema Epigenetik zwar ebenfalls ganz nett sind, aber vom Rest des Buches recht losgelöst stehen. Im Zusammenhang wirken sie ähnlich deplatziert wie sich einst Charlton Heston als Astronaut George Taylor nach seiner Landung auf dem Planet der Affen in der ersten Verfilmung von 1968 fühlte.


Mehr drin als dran

Insgesamt hebt sich Virolution erfreulicherweise von der Masse an Büchern zum Thema Viren ab, denn seit Prestons Hot Zone aus dem Jahr 1995 befassen sich diese Bücher in der Regel nur mit den äußerst aggressiven Vertretern wie Ebola und dem fatalen Krankheitsverlauf der Infizierten. So ist Virolution ein gut geschriebenes und recherchiertes Buch, dass der Rezensent mit Ausnahme von Titel, Coverbild und unauffindbaren Zebrillas uneingeschränkt empfehlen kann.



Letzte Änderungen: 27.02.2012