Editorial

Buchbesprechung

Eva Strasser





Tobias Hülswitt & Roman Brinzanik:
Werden wir ewig leben? Gespräche über die Zukunft von Mensch und Technologie.

Taschenbuch: 307 Seiten
Verlag: Suhrkamp Verlag; Auflage: Deutsche Originalausgabe (19. April 2010)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3518260308
ISBN-13: 978-3518260302
Preis: 15,00 EUR

Philosophisches (auch) von Naturwissenschaftlern - Ewiges Leben

Ewiges Leben ist ganz schön ätzend. Diese beiden Experten können ein Lied davon singen! Abbildung: Jim Henson Company

Wird der älteste Menschheitstraum demnächst wahr? Die Ansichten dazu sind höchst unterschiedlich, selbst unter führenden Fachleuten.

Sechzehn Männer aus Wissenschaft, Technik, Medizin, Philosophie und Theologie stellen ihre Forschungsgebiete vor und werden zu einem alten Thema befragt: dem Sterben. Das Fehlen jeglicher weiblicher Experten spricht dafür, dass Frauen kein Interesse am Sterben haben. In den Interviews geht es allerdings weniger ums Sterben als vielmehr ums Gegenteil: um die Verbesserung (neudeutsch: Enhancement) und Verlängerung des Lebens. Und um die Rolle, die die Wissenschaft dabei spielt.

Nur einer verweigert sich

Auf die Frage, ob man 400 Jahre alt werden wolle, antwortet allein der in Dublin lehrende Ethiker Bert Gordijn mit einem eindeutigen „Nein!“. Die Mehrheit, auch die befragten Theologen, würden dagegen einiges dafür tun, um den Tod hinauszuzögern, wenn es wissenschaftlich möglich wäre.

Und, ist es das? Ist der Alterungsprozess lediglich eine (irgendwann) heilbare Krankheit? Der Brite David Gems erforscht dies seit 20 Jahren am Modellorganismus Caenorhabditis elegans – und er weigert sich, den biologischen Verfall als etwas Segensreiches zu sehen. Gems sagt, Altern diene keinem Zweck und trage in keiner Weise zur Fitness unserer Spezies bei. Altern sei schlicht ein schreckliches Missgeschick der Evolution.

Der französische Chemie-Nobelpreisträger (von 1987) Jean-Marie Lehn glaubt, dass die Naturwissenschaften zunehmend die Möglichkeit böten, das Altern zu kontrollieren und uns endlich von diesen Ketten der Evolution zu befreien. Noch zuversichtlicher ist der amerikanische Futurist und Erfinder Ray Kurzweil. Er hofft auf technische Neuerungen, die ihn unsterblich machen werden. Kurzweil scheint es ernst zu meinen, nimmt er doch rund 200 Nahrungsergänzungspillen pro Tag! Das soll ihn solange fit halten, bis Prothetik, Gentechnik und Nanotechnologie es ermöglichten, fehlerhafte Körperteile zu ersetzen – und er im nächsten Schritt, durch vollständige Verschmelzung von Mensch und Technik, die Unsterblichkeit erlangt.

Was ist möglich – und was nicht?

Stehen wir also knapp davor, ewig zu leben? Kann mittels Prothetik der menschliche Körper nach und nach durch künstliche Teile ersetzt werden? Oder durch Genetik? Die Prognose des Stammzellforschers Hans Schöler besagt zwar, dass es eines Tages möglich sein wird, bestimmte Zellen oder Organe des menschlichen Körpers zu reparieren und so das Leben zu verlängern. Alle 250 Zelltypen oder jedes Organ auszutauschen, um den Menschen quasi unsterblich zu machen, ist seines Erachtens nach aber nicht möglich. Eine Alternative dazu sei die Umprogrammierung normaler Körperzellen in induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen). Diese könnten weiter zu fertigen Organen oder sogar ganzen Organismen heranwachsen.

Schöler meint aber, dass Klonen aus biologischer Sicht nicht ratsam wäre, weil dabei mit einer Vielzahl an Problemen zu rechnen sei: Da sich unsere Erbsubstanz im Laufe des Lebens immer mehr verändert, wäre das Ergebnis des Klonens nicht ein jüngerer eineiiger Zwilling (des Dorian Gray), sondern ein gealtertes, fehlerhaftes und mutiertes Bild. Der Zellbio­loge Peter Gruss, derzeit Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, verdeutlicht: „Führt man derzeit iPS-Zellen in Mäuse ein, entstehen Tumore“. Doch eines Tages, davon ist er überzeugt, könne mittels iPS-Zellen eigenes Gewebe produziert werden, das bei Transplantationen nicht mehr abgestoßen werde.

Verbotenes Doping?

Bert Gordijn stellt jedoch kritische Fragen über Zugangsbeschränkungen zu lebensverlängernden Maßnahmen. Es werde viel Geld für die Verlängerung einiger weniger, privilegierter Leben ausgegeben. Beim Thema Enhancement fehlt ihm eine Debatte um Authentizität und Identität. Gordijn berichtet über das geplante Verbot von „smart drugs“, also Medikamenten wie Ritalin und Modafinil zur Steigerung der Gedächtnisleistung, an amerikanischen Universitäten. Helfen uns diese über unsere natürlichen Beschränkungen hinweg, oder entsteht dadurch ein unerlaubter Wettbewerbsvorteil, der, wie Doping im Sport, verboten werden sollte?

Den Autoren ist es gelungen, in ihrem Interview-Sammelband den aktuellen Stand der Altersforschung verständlich und unterhaltsam darzustellen. Die dabei aufgeworfenen philosophischen Fragen werden überraschend amüsant und anregend beantwortet und laden zum (Alp-)Träumen ein.




Letzte Änderungen: 12.02.2014