Editorial

Buchbesprechung

Kay Terpe




Svante Pääbo:
Die Neandertaler und wir: Meine Suche nach den Urzeit-Genen

Gebunden: 384 Seiten
Verlag: Fischer; Auflage: 1 (6. März 2014)
Sprache: Deutsch
ASIN: B00QW4AU8K
Preis: 45,36 Euro (broschiert), 19,99 Euro (Kindle Edition)

Ganz nah dran

Unter einem irreführendem Titel erzählt der Paläogenetiker Svante Pääbo Interessantes, Absurdes und Intimes aus einem mehr als dreißigjährigen Wissenschaftlerleben.

Wie ähnlich sind und waren wir dem Neandertaler? Was unterscheidet uns von ihm? Wieso ist er ausgestorben? Wie viel Neandertaler steckt in uns und was bewirkt dies? Diese und ähnliche Fragen assoziiert man mit dem Buchtitel Die Neandertaler und wir: Meine Suche nach den Urzeit-Genen, geschrieben von Svante Pääbo. Der ist Paläogenetik-Pionier und war 1997 Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Anthropologie zu Leipzig. Er arbeitete nicht nur mit Fossilien von Neandertalern, sondern auch mit Mumien und Moorleichen sowie den Überbleibseln von Riesenfaultieren, Mammuts und dem Ötzi. 1985 hatte der damalige Doktorand seine erste Titelgeschichte in Nature: Die erstmalige Klonierung der DNA einer Mumie.


Svante Pääbo irgendwann in den 1990ern. Foto: MPI-EVA

Zunächst versucht Pääbo dem Leser zu erklären, was molekularbiologische Forschung bedeutet: Er fängt bei Adam und Eva in der Genetik an und versucht sich an einem permanenten Spagat zwischen wissenschaftlichem und allgemeinverständlichem Anspruch. Dies führt zu ausufernden Methodenbeschreibungen, die für den nicht vorgebildeten Leser schwer zu verstehen und für den Spezialisten ermüdend sind. Zusammengefasst geht es um DNA-Isolierung, Amplifikation, Sequenzierung und SNP-Analytik. Pääbo beschreibt die rasante Entwicklung der verschiedenen Methoden und seinen ewigen Kampf gegen die scheinbar übermächtige kontamierende DNA. Schließlich ermöglicht die Illumina-Technologie die vollständige Sequenzierung und führt ihn zum Ziel. Pääbo schildert die Schwierigkeiten der Kartierung des Neandertalergenoms – und wie die Bioinformatik dieses Problem löste.

Wohl um die streckenweise zähen Beschreibungen der über Jahre laufenden Experimente und der dabei eingesetzten Techniken aufzupeppen, schreibt Pääbo viel über sein Privatleben und mit wem er ins Heu gesprungen ist. Wissenschaftlich interessanter ist allerdings, mit wem dies der Neandertaler tat. Obwohl die Vorfahren des modernen Menschen und des Neandertalers vor 300.000 Jahren getrennte Wege gingen, kreuzten sie sich 250.000 Jahre später. Man nimmt an, dass der Genfluss in beide Richtungen stattfand. Da aber die Population der Neandertaler schrumpfte und schließlich ausstarb, blieb nur die Population des modernen Menschen übrig. Demzufolge sind die Neandertaler nicht völlig ausgestorben, sondern ihre DNA lebt im heutigen Menschen weiter. Jeder europäische oder asiatische Mensch besitzt zwischen einem und vier Prozent Neandertaler-DNA; in Papua-Neuginea besitzen die Menschen im Schnitt sogar sieben Prozent DNA ursprünglicher Menschenformen, da sie sich zusätzlich mit dem Denisova-Urmenschen kreuzten.

Wer sprang mit wem ins Heu?

Pääbo erzählt, worüber man als Forscher Frust schiebt und wie wichtig Recherchen und Veröffentlichungen sind. In welchen Zeitschriften man am besten veröffentlicht und wie diese wiederum in Konkurrenz stehen. Pääbo kritisiert Menschen, Zeitschriften, Arbeitsgruppen sowie politische Systeme. Dabei nennt er Menschen beim Namen, auch posthum. Mit seiner Forschung und den daraus resultierenden wissenschaftlichen Erkenntnissen untermauert Pääbo die Out-of-Afrika-Theorie, auch wenn diese wegen der Kreuzung von Neandertaler und modernen Menschen Einschränkungen unterliege. Er erklärt, dass Menschen und Neandertaler eine viel geringere genetische Variation hätten als Schimpansen und Gorillas.

Das Buch mit 23 zum Teil unscharfen schwarz-weißen Abbildungen und einem ausführlichen Register wird weder dem Anspruch eines Lehrbuches noch dem eines populärwissenschaftlichen Sachbuchs gerecht. Auch der Versuch, die Story spannend zu erzählen, gelingt nicht gänzlich: Zu ausufernd wird jede einzelne Person beschrieben; sämtliche Wege zu jedem noch so kleinen Fortschritt oder Erfolg versucht Pääbo übertrieben spannend darzustellen.

Es stellt sich die grundsätzliche Frage: Muss man den Weg zu wissenschaftlichen Erkenntnissen im Romanstil präsentieren? Der Rezensent meint Nein; ihm war Pääbos Buch oftmals zu persönlich und zu wenig sachlich (der für die Laborjournal-Buchrubrik verantwortliche Redakteur hingegen fand die Mélange aus harten Fakten und intimen Details höchst interessant).

Davon unbenommen bleiben die wissenschaftlichen Leistungen von Pääbo und seinen Mitarbeitern: Die Sequenzierung des Neandertalergenoms ist eine herausragende Leistung.




Letzte Änderungen: 02.04.2015