Editorial

Buchbesprechung

Florian Fisch




Bruno Latour and Steve Woolgar:
Laboratory Life – The Construction of Scientific Facts.
(das ist die zweite Auflage; die Erstauflage erschien 1979 unter dem Titel The Social Construction of Scientific Facts im Verlag Sage Publications)

Taschenbuch: 296 Seiten
Verlag: University Press Group Ltd; Auflage: 2nd ed. (1. September 1986)
Sprache: Englisch
ISBN-10: 069102832X
ISBN-13: 978-0691028323
Preis: 35,49 Euro (Taschenbuch)

Kleinode Langweiler der Wissenschaftsliteratur:
Laboratory Life – The Construction of Scientific Facts
Soziologisches Geschwurbel

Naturwissenschaftler sind auch nur Menschen – mit dieser bahnbrechenden Erkenntnis machten zwei Soziologen 1979 Furore. Die Beobachteten fanden dies schon damals trivial.

„Philosophy of science is about as useful to scientists as ornithology is to birds“, soll der US-amerikanische Physiker Richard Feynman einmal gesagt haben. Für wie nützlich Feynman die Vogelkunder gehalten hat, ist nicht bekannt. Sein Urteil über Bruno Latour aber wäre vermutlich vernichtend ausgefallen.

Latour, ein junger französischer Soziologe, hatte 1975 die Gelegenheit, zwei Jahre lang in einem Labor am Salk-Institut in Kalifornien die Naturwissenschaftler zu studieren. Das daraus entstandene und 1979 publizierte Werk Laboratory Life wurde zu einem Klassiker der Wissenschaftssoziologie und zu einem Sprungbrett für Latours Karriere. Im Jahr 2007 wurde er von Thomson Reuters als der am zehnthäufigsten zitierte Buchautor der Geisteswissenschaften gelistet – noch vor Immanuel Kant und anderen Größen. Grund genug, Latours gefeiertes Buch genauer unter die Lupe zu nehmen.

Editorial

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Häufiger zitiert als Kant

Laboratory Life ist eine anthropologische Studie über Endokrinologen. Minutiös dokumentiert Latour, was diese Leute im Labor des Salk-Instituts den lieben langen Tag so treiben: Sie homogenisieren Maus-Adenohypophysen, stopfen sie in irgendeinen Messapparat, der die Probe in einen schriftlichen Beleg verwandelt und konstruieren aus den Belegen Aussagen, die schließlich in Form eines naturwissenschaftlichen Artikels publiziert werden. Latours Schlussfolgerung: Naturwissenschaftler sind Schriftsteller. Anstatt über tragische Liebschaften schreiben sie über schwer fassbare Beziehungen zwischen Molekülen.


In bestimmten Kreisen geht das: Steve Woolgar (links) und Bruno Latour erlangten mit soziologischen Trivialitäten Weltruhm.

So weit, so gut. Was Feynman wohl auf den Plan gerufen hätte, ist nicht die präzise – und bisweilen amüsante – Beschreibung des Laborlebens, sondern die doch etwas schräge Interpretation der Beobachtungen: Bruno Latour und sein britischer Mitautor und Mitsoziologe Steve Woolgar wollten nach eigenen Angaben zeigen, dass naturwissenschaftliche Fakten sozial konstruiert sind. Demzufolge werden die Fakten nicht entdeckt, wie Naturwissenschaftler fälschlicherweise meinen. Nein: Fakten entstehen erst, sobald Biologen, Chemiker und Physiker Experimente durchführen. Sagen Latour und Woolgar – diese beiden in ihrer Zunft als „excellent social scientists“ anerkannten Persönlichkeiten.

Soziologische Gedankengebäude

Mycobacterium tuberculosis, die Wasserstoffbrücken und der Klimawandel würden demzufolge allesamt den Verhandlungen zwischen Naturwissenschaftlern entspringen. Die Reputation einzelner Protagonisten spiele dabei eine zentrale Rolle – was „da draußen“ tatsächlich vor sich gehe, sei irrelevant. Oder in Latours eigenen Worten: „We do not wish to say that facts do not exist nor that there is no such thing as reality. Our point is that ‚out-there-ness‘ as a consequence of scientific work rather than its cause.“

Die genaue Bedeutung dieser Aussagen hat sich leider dem Verständnis des Rezensenten bis zum Schluss der 300 Seiten und trotz vertiefter Recherche entzogen. Der Soziologenintellekt ist für den gemeinen Naturwissenschaftler offenkundig zu hoch.

Einverstanden, viele Dinge sind zweifellos sozial konstruiert. Eine Banknote ist ein Stück Papier, das seinen Wert erst erhält, wenn genug Menschen überzeugt sind, dass sie damit etwas Schönes kaufen können. Aber Bakterien, chemische Bindungen und Wetterphänomene verändern auch die Welt, ohne dass sich Menschen darüber Gedanken machen. Wie Latour das Konzept der sozialen Konstruktion auf wissenschaftliche Fakten anwenden konnte, versteht selbst der US-amerikanische Philosoph Paul Boghossian nicht: „The claim, that Latour‘s language most closely suggests, is hopelessly bizarre. How could the mind carve the world out there into kinds?“

„Hopelessly bizarre“

Mit der Auseinandersetzung zwischen zwei Forschergruppen um das entdeckte (pardon: konstruierte) Thyrotropin-releasing hormone (TRH), hat Laboratory Life durchaus seine spannende Seite. Wer wissen möchte, warum Latour der intellektuellen Hochstapelei bezichtigt wurde, wird danach einiges besser verstehen. Ansonsten fragt sich, was die soziologische Studie von Latour und Woolgar wirklich Neues brachte. Denn schon damals scheint vielen klar gewesen zu sein, dass auch Naturwissenschaftler nur Menschen sind. Immerhin das gaben selbst die Autoren 1986 im Nachwort zur zweiten Auflage von Laboratory Life zu: „The scientists‘ main reaction to the book was that it was all rather unsurprising, if not trivial.“

So ist es. Vögel scheren sich nicht um Ornithologen. Und Naturwissenschaftler brauchen sich nicht um diesen sonderbaren Bestseller zu scheren.




Letzte Änderungen: 12.10.2016