Buchbesprechung

Sigrid März

Editorial

Chris Ferrie und Cara Florance
Evolution für Babys
Loewe-Verlag (2019)
Sprache: Deutsch,
26 Seiten
Preis: 9,95 Euro

Editorial
Darwin für Daumenlutscher

Das Evolutionsbuch für die Kleinsten besticht durch schlichte Eleganz und Einfachheit. Dennoch bleibt die Frage: Ist Evolution für Babys wirklich die neue Evo-Bibel für kleine Krabbler? Oder bedient das Buch nicht doch eher die pädagogischen Vorstellungen überambitionierter Eltern?

Die Erwartungen waren hoch. Beworben wird die Reihe „...für Babys“ als „Sensationserfolg aus den USA“ inklusive „humorvolle[n] Erklärungen mit Aha-Erlebnissen“. Was für eine tolle Idee, denkt sich der nerdige Wissenschaftler. Muss ich haben.

Zugegeben, ich hatte die Beschreibung des Werkes nur kurz überflogen und war dementsprechend erstaunt, dass mich ein kleinformatiges Büchlein mit 13 dicken Pappseiten erreichte. Unter dem Gesichtspunkt, dass Evolution für Babys für junge „Leser“ ab zwei Jahren gedacht ist, macht eine derart griffige Aufbereitung für die Kleinsten unter den potenziellen Nobelpreisträgern durchaus Sinn.

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Die Sprache ist einfach, die Bilder sind klar – ob Kinder Evolution so verstehen? Illustr.: Loewe-Verlag

Was erwartet den interessierten Forscher? Am Anfang gibt es einen roten Ball. Und ein schwarzes Loch (kein kosmisches, ein ödes irdisches). Der Ball fällt ins Loch. So ergeht es weiteren roten Bällen, bis ein lilafarbener Ball auftaucht. Der „kann neue Bälle machen“, andersfarbige, gemusterte, eiförmige. Aber alle sind so klein, dass auch sie im Loch verschwinden. Irgendwann jedoch produziert der kleine lilafarbene Ball einen großen lilafarbenen Ball. Und siehe da, der passt nicht mehr ins Loch. Klarer evolutionärer Vorteil, logisch! Dieser Ball macht neue Bälle, bunte und gemusterte, kleine und große. Der Biologin scheint die Darstellung der Evolution auf diesem Wege durchaus schlüssig. Allerdings weiß ich eben auch, was Evolution ist. Wie aber sieht es mit der eigentlichen Zielgruppe aus?

Also habe ich weder Kosten (Bestechung) noch Mühen gescheut und zwei pfiffige Probanden (fünf und sieben Jahre alt) angeheuert. Das Interesse war groß, gebannt schauten zwei Augenpaare auf die bunten Bälle. Empathische Kommentare („Oh, der arme Ball.“) begleiteten jeden evolutionären Ausfall. Wir verfolgten also etliche Bälle, die im Loch verschwanden, freuten uns über Punkte („Der Ball sieht aus wie ein Schokoladenkeks!“) und Streifen, bis der erste große Ball in der Öffnung stecken blieb. Umso größer die Enttäuschung, dass auch dieser Ball wieder kleine Bälle produzierte, die erneut im Schwarz verschwanden.

Gegen Ende nahm die Anzahl der großen Bälle mit Punkten, Streifen und – ganz neu – mit Noppen zu, sodass die wachsende Gruppe der geretteten Bälle die beiden Probanden zufrieden stimmte. Auf der vorletzten Seite, betitelt als „Dies nennt man natürliche Auslese“, sieht der Pappbuch-Anschauer alle Bälle, die großen auf der oberen Ebene, die kleinen, durchgefallenen im Keller. Große Freude, der Schokoladenkeks ist auch wieder dabei! Leider im Keller. Zu guter Letzt findet sich der Erfolgsausruf „Jetzt kennst du die evolutionäre Biologie!“, umrahmt von einem gelben Stern.

Kein Verständnis

Ich hegte zu diesem Zeitpunkt bereits massive Zweifel, dass dem so ist. Deshalb wollte ich wissen: Was war bei den beiden Jung-Evoluzzern inhaltlich angekommen? Der Dialog ging in etwa so:

Ich: Und? Wie findet ihr das Buch.

Proband 1 und 2 einstimmig: Guuut. (Eltern kennen dieses Universal-Guuut, was nichtssagend auf alle Fragen Anwendung findet.)

Ich gehe aufs Ganze: Worum geht es denn in dem Buch?

Proband 1: Um Bälle.

Proband 2: Und ein Loch.

Ich: Ja, das stimmt. Was passiert denn mit den Bällen?

Proband 2: Die fallen in das Loch.

Proband 1: Aber nicht alle.

Ich: Welche denn nicht?

Proband 1: Na, die großen.

Ich: Und warum fallen sie nicht in das Loch?

Genervte Blicke.

Proband 2: Weil sie zu groß sind.

Ich: Okay, ja. Sie haben sich verändert, vom lilafarbenen kleinen Ball zu den großen, zum Beispiel dem mit den Noppen. Dadurch haben sie einen Vorteil, nicht wahr? Sie passen nicht mehr ins Loch.

Proband 1 schiebt die Unterlippe nach vorn: Ich finde das blöd, dass die kleinen Bälle ins Loch gefallen sind.

Bevor die Stimmung kippt, beende ich das Experiment.

Ob das so im Sinne des Erfinders ist? Chris Ferrie ist immerhin kein Neuling auf dem Gebiet der Junior-Ausbildung. Der australische Quantenphysiker, Autor und Vierfachvater vertreibt unter dem Label der Baby-Universität („Man braucht nur einen Funken, um die Vorstellungskraft eines Kindes zu entfachen.“) etliche Varianten der Pappbücher. Raketenwissenschaften, Relativitätstheorie und Quantenphysik erschienen zunächst in englischer Sprache; 2019 gemeinsam mit der Evolution im Kinder- und Jugendbuch-Verlag Loewe auch auf Deutsch. Aus der gleichen Reihe gibt es weitere englische Bücher (zum Beispiel Astrophysik, Elektromagnetismus oder organische Chemie). Im kommenden September erscheint passend zur ersten Aufnahme eines schwarzen Lochs im April „There Was a Black Hole That Swallowed the Universe“. Angesichts der Reaktion von Proband 1 auf das Verschwinden der kleinen Bälle werde ich mir dieses Werk eher nicht zulegen.

Nun gut, vielleicht ist die Altersempfehlung „Ab zwei Jahre“ einfach ein wenig zu optimistisch gesetzt? Also habe ich einen dritten Probanden hinzugezogen (elf Jahre) und fünf Minuten mit dem Buch allein gelassen. Ich erhoffte mir hier den Durchbruch, da Proband 3 immerhin zuverlässig liest und ein gewisses biologisches Grundverständnis mitbringt. Auch hier folgte meine Frage: Wie findest du das Buch?

Proband 3: Hm.

Ich: Worum geht es denn, weißt du das?

Proband 3: Um Bälle. Und ein Loch.

Kein weiterer Kommentar.



Letzte Änderungen: 09.05.2019