Editorial

Buchbesprechung

Sigrid März




Andrea Wulf, illustriert von Lillian Melcher:
Die Abenteuer des Alexander von Humboldt
Gebundene Ausgabe: 272 Seiten
Verlag: C. Bertelsmann Verlag; Auflage: Deutsche Erstausgabe (25. März 2019)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3570103501
ISBN-13: 978-3570103500

Ein Bild (oder zwei) von einem Mann

(08.05.2020) Anlässlich des 250. Geburtstags von Alexander von Humboldt präsentierten die preisgekrönte Humboldt-Biografin Andrea Wulf sowie Illustratorin Lillian Melcher ein ungewöhnliches, aber kurzweiliges Werk über Humboldts Südamerika-Reise. Ein „Comic“ mit Lehrpotenzial.

Im Juni 1799 legt die spanische Fregatte Pizarro ab und verlässt La Coruña in Richtung Südamerika. An Bord: Friedrich Wilhelm Heinrich Alexander von Humboldt. Entgegen vieler gutgemeinter Ratschläge beginnt der damals fast Dreißigjährige seine wohl größte Reise, um endlich das zu machen, was er schon immer machen wollte: reisen und forschen.

Als inzwischen in die Jahre gekommener Geschichtenerzähler schwelgt Humboldt in der Comic-Biografie „Die Abenteuer des ­Alexander von Humboldt“ höchstpersönlich in seiner umfangreichen Bibliothek in Erinnerungen und begleitet als „Stimme aus dem Off“ den Leser (oder vielmehr Betrachter) bei bildgewordenen Abenteuern. Doch das Werk gleicht mit seinen Collagen, Zeichnungen und Sprechblasen stilistisch eher einer Graphic Novel als einem historischen Reisebericht.

Das Abenteuer beginnt

In La Coruña geht es also los. Erste Ziele sind die Inseln Graciosa und Teneriffa, bis die Fregatte den Atlantik durchsegelt und in Cumaná (Venezuela) anlegt. Fünf Jahre lang und in drei großen Etappen erkundet Humboldt fortan Südamerika. An seiner Seite sind der französische Botaniker Aimé Bonpland sowie der Diener José de la Cruz. Später stößt Carlos Montúfar hinzu, ein Gouverneurssohn aus der ecuadorianischen Hauptstadt Quito.

Sie wandern durch Dschungel und Wüsten, in Minen und auf Berge, mal mit Maultieren, Trägern oder alleine, per Boot auf dem Orinoco und im Amazonasbecken, zu Fuß über die Anden und auf zahlreiche Vulkane wie Pichincha oder Cotopaxi. Dabei springen Humboldt und seine Begleiter mehr als einmal dem Tod von der Schippe, kämpfen gegen Moskitos, unerträgliche Hitze und ebensolche Kälte. Eindrucksvoll zeichnen die Graphic Novel und die darin verankerten Geschichten das Bild eines extrem ehrgeizigen, rastlosen, bisweilen fanatischen Forschungsreisenden, der schier Unmenschliches von sich und seinen Mitreisenden erwartet. Ein „Das geht nicht“ akzeptiert Humboldt ebenso wenig wie widrige Wetterbedingungen. Schweißperlen und schmerzverzerrte Gesichter der gezeichneten Figuren veranschaulichen all diese Strapazen.

Besonders belohnt wird aber der Botaniker Bonpland, der bei all den Trips Unmengen an Blumen, Blättern und Gesträuch trocknete und konservierte, um anschließend alles nach Europa zu verschiffen. Natürlich sammelte auch Humboldt – und zwar vor allem Daten. Im Gepäck hatte er 42 Messgeräte wie ein Berthoud-Chronometer, Haar-Hygrometer oder ein Barometer, das sich wie ein roter Faden durch alle Geschichten zieht. Denn das zerbrechliche Gut muss in einer sperrigen Kiste stets waagerecht transportiert werden. Eine knifflige Herausforderung.

Mit den Apparaten vermisst Humboldt seine Umwelt: Temperatur und Höhe, Feuchtigkeit und Magnetismus, aber auch Siedepunkt des Wassers und Bläue des Himmels werden akribisch auf jedem Berggipfel und jeder Dschungellichtung notiert.

Weil er damit offenbar noch nicht ausgelastet ist, beschreibt und benennt der Universalgelehrte zahlreiche Pflanzen- und Tierarten, wie etwa die ungewöhnliche Vogelart Guácharo, auch Fettschwalm genannt (Steatornis caripensis). Oder er skizziert Pinguine, die dann nach ihm benannt werden (Humboldt-Pinguin; Spheniscus humboldti), sowie den Humboldt-Strom, den er natürlich weder erfunden noch als erster Mensch entdeckt hat. „Ich war lediglich der Erste, der ihre Temperatur gemessen hat“, sagt er selbstbewusst über die Strömung im Pazifik (Seite 202).

Humboldt war seiner Zeit voraus. Bereits um 1800 erkannte er die Auswirkungen von Abholzung auf Natur und Klima, er beschrieb Isothermen und Klimazonen und postulierte aufgrund ähnlicher Pflanzengesellschaften, dass Südamerika und Afrika einst verbunden gewesen sein müssen. Genial.

Ausgeschmückte Geschichten

Im Juli 1804 verlassen Humboldt und seine Gefährten Südamerika wieder in Richtung Europa. Damit endet das große Abenteuer. Ob sich dieses exakt so zugetragen hat, ist selbstverständlich Spekulation. Denn „Die Abenteuer des Alexander von Humboldt“ basiert zwar auf Tagebucheinträgen von Humboldt sowie auf zahlreichen historischen Dokumenten, dennoch nimmt sich die Autorin Andrea Wulf die künstlerische Freiheit, den Beteiligten nach ihrem Ermessen fiktive Dialoge in den Mund zu legen. Und das ist auch in Ordnung, denn nur so funktioniert diese Art von Geschichte. Wer auf der Suche nach weniger Prosa und mehr Fakten ist, dem sei die Humboldt-Biographie „Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur“ ans Herz gelegt, von – Sie ahnen es – Andrea Wulf.

Der hier rezensierte opulente Bildband hingegen ist von der New Yorker Illustratorin Lillian Melcher gestaltet – mit bunten Bildreihen, großformatigen Szenerien, Abbildungen getrockneter Pflanzen und originalen Notizen von Humboldt, natürlich in französischer Sprache. Den Zeichenstil Melchers muss man allerdings mögen, denn er liegt irgendwo zwischen expressiv und naiv.

Dennoch haben Wulf und Melcher Alexander von Humboldt mit diesem Werk ein weiteres, bildgewaltiges Denkmal gesetzt.

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Foto: C. Bertelsmann





Letzte Änderungen: 08.05.2020