Editorial

Buchbesprechung

Larissa Tetsch




Isabelle M. Mansuy mit Jean-Michel Gurret und Alix Lefief-Delcourt:
Wir können unsere Gene steuern! Die Chancen der Epigenetik für ein gesundes und glückliches Leben.
Herausgeber : Springer Spektrum; 5. Aufl. 2020 Auflage (25. Februar 2020)
Sprache: : Deutsch
Gebundene Ausgabe : 240 Seiten
ISBN-10 : 3827014115
ISBN-13 : 978-3827014115
Preis: 22,00 € (gebunden), 19,99 € (E-Book)

Große Versprechen

(12.10.2020) Epigenetik bietet uns die Chance, nicht nur unser Leben, sondern auch das unserer Nachkommen zu beeinflussen. Die Empfehlungen der Genetiker – gesunde Ernährung, wenig Stress und viel Bewegung – sind allerdings nichts Neues.

„Das Genom ist kein unabwendbares Schicksal“ – diese Aussage leitet das erste Kapitel von „Wir können unsere Gene steuern!“ der französischen Professorin für Neuroepigenetik Isabelle M. Mansuy ein und ist gleichzeitig eine Art Quintessenz des Sachbuchs. Nicht nur diese Überschrift, auch Buch- und Untertitel „Die Chancen der Epigenetik für ein gesundes und glückliches Leben“ dürften beim Leser große Erwartungen wecken. Zwar wissen wir inzwischen, dass „wir mehr sind als unsere Gene“, dass die Umwelt einen wesentlichen Einfluss auf die Ausprägung unserer Eigenschaften ausüben kann und dass dies wohl überwiegend über epigenetische Mechanismen verläuft. Aber haben wir es wirklich in der Hand, diese epigenetischen Prozesse zu steuern?

Doch erst einmal zurück zum Buch: Die Autorin beginnt eher unvermittelt mit dem Wesen und den Auswirkungen der Epigenetik, während die Grundlagen der klassischen Genetik in den Anhang ausgelagert sind. Zwar vermeidet man so langatmige Erklärungen von komplizierten Prozessen der Genomorganisation und Genregulation, man versäumt jedoch auch, dem Leser ein stabiles Fundament mitzugeben, auf dessen Grundlage er sicher einordnen kann, was Epigenetik ist oder eben nicht. So wird diese dafür verantwortlich gemacht, dass sich verschiedene Zelltypen trotz dasselben Genoms phänotypisch nicht gleichen – die Bedeutung der differentiellen Genregulation, von Promotoren und Transkriptionsfaktoren wird dagegen im gesamten Buch nicht behandelt.

Ins Methylkapital investieren

Interessant wird „Wir können unsere Gene steuern!“ vor allem durch die vielen vorgestellten, aktuellen Studienergebnisse, die verdeutlichen, wie verschiedene Umweltfaktoren das Epigenom konkret beeinflussen. Auf dieser Basis werden anschließend Empfehlungen zur Verbesserung des persönlichen Epigenoms ausgesprochen. Dieser ganzheitliche Ansatz spiegelt sich auch in der Wahl der beiden Koautoren wider: Jean-Michel Gurret beschäftigt sich als Verhaltenstherapeut unter anderem mit der Auflösung von Traumata und Alix Lefief-Delcourt hat sich als Journalistin auf die Themen Gesundheit und Wohlbefinden spezialisiert.

Nachdem die ersten beiden Buchkapitel also die Bedeutung der Epigenetik herausarbeiten und die Mechanismen der epigenetischen Übertragung erklären, widmet sich das dritte Kapitel einer gesunden Lebensweise, um das sogenannte „Methylkapital“ zu verbessern. Denn nur, wenn dieses ausgeglichen sei, könne die Methylierung des Genoms fehlerfrei ablaufen. Nach einer kurzen Einführung in den sehr komplexen Methylstoffwechsel werden deshalb nach Manier eines Ernährungsratgebers Quellen für Methionin, Vitamine und Mineralstoffe aufgelistet. Zum Abschluss folgt eine Abhandlung anderer Faktoren mit Einfluss auf das Epigenom wie körperliche Betätigung oder der Einfluss von Traumata sowie ihrer Behandlung.

Auf den bereits erwähnten Anhang, der mit der Zusammenfassung genetischer Grundlagen am Ende seltsam deplatziert wirkt, folgen ein kleines Wissensquiz mit Fragen und Antworten zum Buchinhalt, ein Glossar sowie ein Stichwort- sowie Literaturverzeichnis. Durchweg im Text unterbrechen ergänzende Informationen im eingerückten Satz den Lesefluss – hier wäre eine stärkere Absetzung durch Kästen oder eine farbliche Hinterlegung sinnvoll gewesen. Störend ist zum Teil auch die sperrige Sprache, die vermutlich auf die Übersetzung aus dem Französischen zurückzuführen ist.

Neue Erklärung, alte Tatsachen

Am problematischsten findet die Rezensentin jedoch, dass das Buch neben großen Erwartungen wohl auch großen Druck auf den Leser ausüben kann. Denn immer wieder wird betont, und anhand von Beobachtungen an Menschen oder Tierversuchen belegt, dass Einflüsse, die in der Großelterngeneration wirksam waren, unter bestimmten Umständen selbst noch bei den Enkeln gesundheitliche Einschränkungen und Verhaltensänderungen auslösen können. Wer das – wie wohl die meisten Laien – nicht richtig einordnen kann, wird möglicherweise mehr Angst vor den Auswirkungen seines eigenen Lebensstils bekommen als sich ermutigt zu fühlen, seine oder ihre Gene zu steuern.

Am Ende bleiben dann die Tipps für ein gesundes Leben, die wir alle kennen: eine gesunde Ernährung, wenig und vor allem keinen chronischen Stress, gute Beziehungen, Sport und möglichst wenig Schadstoffe. Eigentlich ist das banal. Andererseits vielleicht auch wieder genial, weil es uns zeigt, dass die Epigenetik keine „ganz neue Sache ist“, sondern stattdessen eine wissenschaftliche Erklärung für Zusammenhänge bietet, die wir schon lange kennen!





Letzte Änderungen: 12.10.2020