Editorial

20 Jahre Laborjournal

Klasse statt Masse

Von Josef Penninger, Wien


(11.07.2014) Was muss ein kleines Land wie Österreich tun, um international in der biomedizinischen Forschung mithalten zu können?

Wollen wir es doch auf den Punkt bringen: Ein kleines Land wie Österreich hat es definitiv nicht leicht, sich an der Weltspitze der Forschung zu behaupten. Die internationale Konkurrenz ist riesig, schließlich steht man den besten Spitzenuniversitäten und Forschungsinstituten der Welt gegenüber. Aber es ist möglich und machbar, wenn man es nur intelligent anpackt.

Meiner Meinung nach gibt es dafür nur einen einzigen Weg – und der heißt Exzellenz. Kleine Länder können sich keine Streuverluste leisten, dazu gibt es zu wenig „intellektuelle Masse“. Wir können es also nur schaffen, wenn wir uns auf die Besten konzentrieren und die so gut wie möglich unterstützen.

Doch wer sind die „Besten“? Woher will man in der Biomedizin wissen, was sich in Zukunft lohnen wird, wo doch dieses Feld so stark von Zufallsfunden und dem empirischen „Ausprobieren“ geprägt ist wie kaum ein anderes? Das ist zugegebener Maßen schwierig, aber es gibt durchaus Anhaltspunkte, nach denen man sich richten kann. Wenn man selbst in der Wissenschaft tätig ist, merkt man sehr schnell, wer etwas „drauf“ hat, welche Institution und welche Forscher einen bedeutenden Output liefern. Die Gremien der wichtigsten Förderinstitutionen, die über die Vergabe von hoch dotierten Förderungen entscheiden, wissen das im Übrigen auch. So ist es sinnvoll und nachvollziehbar, dass nur die vielversprechendsten Projekte gefördert werden.

Hier schneidet Österreich nicht schlecht ab. Bereits 114 der begehrten ERC-Grants (Fördergelder der Europäischen Union in Millionenhöhe) wurden seit der Gründung des Programms an in Österreich tätige Forscher vergeben. Es geht aber auch um die Qualität der Ausbildung und die Bedingungen am Arbeitsplatz. Hier haben österreichische Forschungsinstitute ebenfalls einiges zu bieten. In einem Ranking des amerikanischen Fachmagazins The Scientist aus dem Jahr 2012 wurden beispielsweise gleich zwei österreichische Institutionen unter die besten drei „Best Places to Work for Postdocs“ gewählt. Ausschlaggebend waren Kriterien wie Qualität der Ausbildung, Möglichkeiten der Kar­riere­entwicklung, Bezahlung und soziale Aspekte. Österreich hat also definitiv Vorzüge, mit denen es punkten kann. Wir sehen das auch immer wieder beim Rekrutieren hochrangiger Wissenschaftler aus dem Ausland, die die guten Arbeitsbedingungen, aber auch die Lebensqualität in Österreich schätzen.

Diese hochrangigen Forscher machen gemeinsam mit den jungen, kreativen und talentierten Köpfen ein Forschungsinstitut zu dem, was es ist. Nämlich zu einem Platz, an dem es vor neuen Ideen nur so sprudelt, an dem Wissenschaftler voll Neugierde relevanten Fragestellungen der Biologie und Medizin nachgehen können – und an dem hochmoderne Technologien zur Verfügung stehen, um die Forscher zu unterstützen.

Die letzten zehn Jahre habe ich mich bemüht, einen solchen Ort der Spitzenforschung aufzubauen und ich bin stolz zu sagen, dass das IMBA heute zu den Vorzeigeinstitutionen in unserem Land gehört. Wir verfolgen konsequent diese Philosophie der besten Köpfe, wir geben ihnen akademische Freiheit und eine ausgezeichnete wissenschaftliche Infrastruktur. Unsere Erfolge scheinen uns Recht zu geben. In den letzten Jahren ließ das IMBA mit einigen sehr spannenden und medizinisch relevanten Publikationen aufhorchen. Unserem Vizedirektor und Stammzell-Spezialisten Jürgen Knoblich ist es beispielsweise gelungen, kleine Gehirn-Organoide aus menschlichen Stammzellen wachsen zu lassen. Julius Brennecke, der sich in der RNA-Biologie bereits einen Namen gemacht hat, entdeckte eine Art Immunsystem, mit dem sich das Genom vor Genomparasiten schützt. Aus unserem Institut stammen überdies Arbeiten zu den Themen Brustkrebs, Herzregeneration sowie eine sehr spannende Arbeit, in der ein Prinzip für die Aktivierung von natürlichen Killerzellen gegen Metastasen entdeckt wurde – eine Idee, die demnächst in klinischen Studien getestet werden soll.

Das IMBA ist allerdings nicht der einzige Forschungsleuchtturm in den österreichischen Life Sciences. Unsere Partner, mit denen wir zum Teil in enger Kooperation stehen, wie etwa das IMP, das CeMM, das IST Austria und einige andere, müssen an dieser Stelle genannt werden, weil auch sie einen sehr wertvollen Beitrag zum Forschungserfolg in diesem Land leisten. Wenn wir also so herausragende Institute haben, wenn doch alles so rosig scheint, wieso hört man dann trotzdem so viele kritische Stimmen, die Rückschritte und gar den Untergang unserer mühsam aufgebauten internationalen Reputation prognostizieren? Weil es eben nur so rosig scheint. Blickt man hinter die Kulissen, wird schnell klar, dass vor allem eine langfristige Strategie fehlt, die dem Land auch in Zukunft eine florierende Wissenschaftsszene garantiert – und damit auch Wachstumsperspektiven und Wohlstand.

Das bringt der österreichische Forschungsrat in seinem letzten „Bericht zur wissenschaftlichen und technologischen Leistungsfähigkeit Österreichs“ klar auf den Tisch. Österreich gerate immer mehr ins Hintertreffen gegenüber innovations­stärkeren Ländern wie Deutschland, Schweden oder den USA, heißt es da. Lediglich den Status Quo zu erhalten sei keine Option, da Österreich auf diese Weise mit Sicherheit den Anschluss zur Weltspitze verlieren werde. Und schließlich seien sogar die positiven Errungenschaften der letzten Jahre durch eine unsichere Finanzierungsperspektive und sinkende finanzielle Ausstattung ernsthaft gefährdet. Es drohe demnach also sehr wohl der Abstieg.

Finanzielle Ausstattung ist dabei ein wichtiges Stichwort. Es geht zwar nicht ausschließlich ums Geld, aber es ist doch zumindest einer der wesentlichsten Punkte – insbesondere wenn man beobachtet, wie viel wissenschaftlich aufstrebende Länder wie Singapur, Korea oder China derzeit in die Forschung investieren. Es ist völlig klar, dass ein kleines Land niemals diese Summen aufbringen können wird. Meiner Meinung nach ist das in diesem Ausmaß auch nicht unbedingt für den Erfolg notwendig. Eine vernünftige Steigerung der Forschungs- und Entwicklungsausgaben (F&E) ist hingegen sehr wohl notwendig – und das sollte sich ein wohlhabendes Land wie Österreich auch leisten. Öster­reich gibt derzeit 2,76 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Forschung im weitesten Sinne aus. Vergleicht man das mit Ländern wie Schweden oder Finnland, die in Europa als „Innovations-Sieger“ gelten, so liegen diese mit ihren F&E Budgets bei fast 4 Prozent. Das muss auch für Österreich das Ziel sein.

Die Politik ist hier stärker gefragt denn je. Leider bleibt es in Österreich meist nur bei Lippenbekenntnissen und leeren Versprechungen. Aber immerhin hat sich die österreichische Bundesregierung erst unlängst wieder gewünscht, dass Österreich bis 2020 zu den „Innovations-Siegern“ gehören soll. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass den Worten auch Taten folgen, dass man notwendige Strukturen schafft und diese dann auch ausfinanziert. Damit die Innovation keine Illusion bleibt, bedarf es meiner Meinung nach aber noch einiger Anstrengungen, die wir nicht weiter auf die lange Bank schieben dürfen.

Neben der notwendigen absoluten Steigerung des Forschungsbudgets ist für mich die Verteilung der Mittel ebenfalls eine Schlüsselfrage. Förderungen nach dem Gießkannenprinzip auszuschütten, kann sich ein kleines Land nicht leisten. Was als Alternative bleibt, ist klare Prioritätensetzung und eine kompetitive Verteilung. Es stimmt, dass wir uns dabei möglicherweise von einigem verabschieden müssen, und mir ist klar, dass dies auf Widerstand stoßen wird, besonders in einem System, in dem einmal erworbene Privilegien hartnäckig verteidigt werden. Aber meine Meinung ist dennoch: lieber weniger, aber das dafür mit Topqualität. Ein Land wie Österreich muss alle Anstrengungen unternehmen, um mit Qualität zu punkten. Für Quantität sind wir viel zu klein.

Daher müssen wir die „Politik der besten Köpfe verfolgen. Das bedeutet einerseits, junge Leute top auszubilden, und andererseits, denen, die in der Forschung arbeiten, die besten Bedingungen zu bieten, damit sie erfolgreich sein können. Zudem benötigen wir eine intelligente Rekrutierungsstrategie. Es genügt nicht, gute Leute nur zu holen. Wir müssen auch alles tun, damit sie bleiben. Unsere neue Konkurrenz in Asien hat das längst erkannt: die Besten gehen dorthin, wo sie die besten Bedingungen vorfinden. Es ist unglaublich, welche Pakete derzeit beispielsweise in Hongkong, Singapur oder China geschnürt werden. Auch wir müssen daher dringend darüber nachdenken, was wir hochkarätigen Wissenschaftlern anbieten können.

Die genannten Länder gehen auch höchst organisiert und professionell vor, wenn es darum geht, Wissenschaftler mit Finanziers und Wirtschaftsleuten zusammenzubringen. Da gibt es Investor Communities, die sich auf Messen und in persönlichen Verhandlungen nach Partnern umsehen, um dann Milliardendeals im Umfeld von Biomedizin und Biotech auszuhandeln. Diese Art der Risikokapitalfinanzierung ist überhaupt eine Kultur, die in Österreich noch so gut wie überhaupt nicht etabliert ist – und das ist ein großer Nachteil. Ich kenne das noch aus Amerika; dort findest du Leute, die dir für eine verrückte Idee Geld geben, weil sie dir vertrauen, dass daraus etwas Tolles werden kann. In Österreich ist nicht einmal ein halbes Prozent des Bruttoinlandsprodukts an Risikokapital da.

Schon auf der Ebene der Grundlagenforschung muss man über die Möglichkeiten nachdenken, wie deren Ergebnisse in eine konkrete Wertschöpfung übergeführt werden können. Dazu gibt es derzeit noch zu wenig Initiativen und es fehlt der Schulterschluss zur Wirtschaft.

Die Schweiz, auch ein kleines Land, hat besser verstanden, wie man Grundlagenforschung mit Big Pharma verknüpft. Wenn man sich etwa Novartis und Roche ansieht – diese Firmen stehen in sehr engem Kontakt mit den Universitäten. Das ist befruchtend für beide Seiten. Die Industrie greift in einen gut gefüllten Pool an Ideen und gut ausgebildeten Nachwuchskräften; die Universitäten sind wiederum angehalten, ihre Qualität hoch zu halten. Eine ideale Symbiose. Dies lässt sich auch in Amerika und Asien beobachten: Industrie entsteht dort, wo es gute Forschungsinstitutionen und Universitäten gibt. Wobei am wichtigsten ist und bleiben wird, dass exzellente Grundlagenforschung inklusive völliger intellektueller und finanzieller Freiheit des Forschers immer die Basis für die Brücke zur Industrie sein muss.

Wozu nun die ganze Mühe? Vielleicht sollten wir das aufwändige und hochkompetitive Forschungsfeld lieber anderen überlassen und uns wieder der gemütlichen Kaffeehauskultur zuwenden? Das wäre wohl sehr kurz gedacht, denn wir sind auch den nachfolgenden Generationen verpflichtet. Ich habe selbst drei Kinder und mache mir viele Gedanken über deren Zukunft. Wollen wir, dass unsere Kinder hier eine gute Ausbildung machen können und danach einen guten Job finden? Oder wollen wir, dass sie nach China auswandern, weil sie hier nicht in der Mittelmäßigkeit versinken wollen? Wollen wir selbst die Zukunft mitgestalten? Oder wollen wir, dass unser Land angewiesen ist auf die Innovationen anderer? Wollen wir die beste medizinische Versorgung für unsere überalterte Gesellschaft? Denn auch das muss klar sein: in der biomedizinischen Forschung werden die Grundsteine für die Medizin von Morgen gelegt.

Ich denke, alle diese Fragen nehmen bereits die Antwort vorweg und machen umso deutlicher, dass gerade kleine Länder, die nicht über nennenswerte Rohstoffvorkommen verfügen, sich zu Wissensgesellschaften entwickeln müssen. Damit es uns und den Generationen nach uns auch weiterhin so gut geht wie heute.

Josef Penninger ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA) in Wien und erhielt gerade den Wittgenstein-Preis 2014.


Letzte Änderungen: 11.07.2014