Editorial

20 Jahre Laborjournal

Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen

von Frank Tschentscher, Düsseldorf


(11.07.2014) Vor 20 Jahren gab es kaum Jobs für Biologen. Viele der damaligen Karrierewege sind deshalb reichlich „krumm“ – wie dieser hier, der dann aber doch zum Traumjob im Landeskriminalamt führte.

Oh, wie es mich gruselt, wenn ich in meinem schönen Büro im Landeskriminalamt mit Blick auf den Düsseldorfer Medienhafen sitze und an den Weg denke, der mich hierhin geführt hat. Bei der Erinnerung überkommen mich echtes Gruseln und wohlige Schauer der Freude. Man kann ja auch mal Glück haben im Leben. Wenn man aus dem Ruhrgebiet, genauer gesagt aus Castrop-Rauxel (ja, das gibt’s wirklich), stammt, ist ja noch Luft nach oben, oder?

Spaß beiseite, ich mag das Ruhrgebiet – es ist ein idealer Startplatz für das Leben, und woanders ist bekanntlich auch Scheiße. Eine erste Abhärtung gab‘s, als ich mit 14 Jahren in den Ferien im Tiefbau malocht habe, mit Freigängern aus dem offenen Vollzug, von denen mir einer erzählt hat, dass er mit seinem Hund ein intimes Verhältnis pflege. Damals wusste ich nicht, was ich darauf sagen sollte, heute kenne ich wohl die allermeisten Abgründe des menschlichen Daseins. Kinder bringen ihre Eltern um, Eltern ihre Kinder, Männer ihre Frauen, Frauen ihre Männer, Freunde ihre Freunde und Unbekannte Unbekannte. Der Mensch ist ein seltsames Tier. Eins weiß ich nach etlichen Jahren in dem Fachgebiet: es gibt einfach alles, alles was man sich vorstellen und alles was man sich nicht vorstellen kann. Wenn es Menschen gibt, die kleine Kinder sexuell motiviert quälen und töten, was soll es dann nicht geben?

Warum kann man solche Fälle bearbeiten, ohne ständig in Tränen auszubrechen? Weil man als Biologe nur einen begrenzten Einblick in den Fall hat. Es finden keine Gespräche mit Angehörigen, Zeugen oder Beschuldigten statt, denn anders als im Fernsehen ermittelt man nicht. Im Gegenteil: Die Aufgabe lautet, streng objektiv und neutral, ausschließlich mit naturwissenschaftlichen Grundlagen und Methoden nach biologischen Spuren zu suchen und die Ergebnisse sachlich in einem Gutachten und vor Gericht darzustellen. Es darf nicht interessieren, ob jemand schuldig ist oder nicht, oder wie schlimm das Verbrechen war. Die Ergebnisse können später zur Be- oder Entlastung eines Tatverdächtigen führen. Das „später“ ist jedoch Sache der Ermittlungsbehörden, also der Polizei und Staatsanwaltschaft. Am Ende muss ein Richter entscheiden – und den habe ich noch nie um seinen Job beneidet.

Wie kam ich denn nun ins Landeskriminalamt (LKA)? Im Nachhinein fügt sich das Puzzle wunderbar zusammen, aber so ganz einfach war es nun doch nicht, eine der wenigen Stellen dort zu ergattern.

Ganz früher, in der Schule, gab es für mich nur zwei Berufe, die ich toll fand: Archäologe und Biologe. Kurz vor dem Abitur im Sommer 1990 sagten mir die Berufskunde-Heftchen vom Arbeitsamt, dass es in der Archäologie keine Jobs gibt und auch nie welche geben wird. Im Biologie-Heftchen stand immerhin, dass Biologen in sehr vielen Bereichen arbeiten können, die Arbeitsmarktsituation sei aber schlecht. Da stand aber auch, dass eine Zukunftsprognose schwierig sei und der Arbeitsmarkt sich bessern könne.

Das reichte mir zunächst und ich fing nach dem Zivildienst beim Finanzamt Recklinghausen als Finanzanwärter mit parallelem Studium an der Fachhochschule für Finanzen im Schloss Nordkirchen an. Moment mal – Finanzamt, Biologie? Ja, es gruselt mich, wenn ich daran denke, dass ich aus Angst vor der großen, anonymen Uni zunächst lieber Finanzbeamter wurde. Was Sicheres eben.

Aber unter dem Kopfkissen lag der Studienführer Biologie und nach zwei Wochen im herrlichen Schloss war mir klar, dass ich mich nicht verbiegen kann. Da zwei Schlosstürme nur für Feten reserviert waren, verging dieses halbe Jahr des Irrtums wie im Fluge.

Glücklicherweise konnte man sich an der Ruhr-Universität Bochum nur im Herbst einschreiben, so hatte ich nach der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis genügend Zeit, auf Montage zu arbeiten und mir das Geld für meine dreimonatige Fahrradreise durch die Wildnis Alaskas zu verdienen. Dort, ganz alleine in der grandiosen Natur, fand ich eine innere Ruhe, von der ich noch heute zehre und die mir im Beruf nicht selten von Nutzen ist.

Ich traf dort übrigens Chris McCandless, der durch das Buch und den Film Into the Wild zu trauriger Berühmtheit gekommen ist. Er stand mit seinem Rucksack, über den er zu mir sagte “das ist alles was ich noch besitze“, im Nirgendwo am Straßenrand und wir unterhielten uns eine Weile. Viele Jahre später las ich das Buch und mir wurde bewusst, wen ich getroffen hatte und dass wir uns nicht lange vor seinem Tod begegnet sind.

Nachdem ich ein paar Reiseberichte veröffentlich hatte, wurde mir der Job als Pressereferent eines Bundestagsabgeordneten angeboten, den ich noch vor meinem Studium antrat. Mein Chef, ein wichtiger Mann in Bonn, sagte damals diesen tollen Satz: „Seien Sie nicht dumm, gehen Sie nicht in die Politik, nicht in eine Partei; Politik versaut die Leute. Machen Sie Ihr Studium fertig, ich kann Sie später im Ministerium unterbringen.“

Da mein Name nirgendwo auftauchte und der Bundestag gut zahlte, war das ein schöner Nebenjob. Derselbe Abgeordnete ermöglichte mir später ein Praktikum beim BKA – eigentlich unmöglich.

Ich werde nie den Empfang am ersten Uni-Tag vergessen, als ein zotteliger Typ aus der Fachschaft angeschlurft kam und uns in die erwartungsvollen Gesichter sagte, dass es eh keinen Zweck habe, was wir denn hier wollten – wir kriegten nie einen Job. Irgendwie stachelte das meinen Ehrgeiz an und ich denke immer wieder an diesen Motivator. Was er wohl heute macht? Das Studium in Bochum war sehr schön, auch wenn man von Studenten anderer Unis immer mitleidig angeschaut wurde: „Ach, an der Selbstmörder-Uni bist Du…“

Schon im ersten Semester ging ich zur Rechtsmedizin-Vorlesung. Das interessierte mich; schon im Zivildienst wurde ich als Rettungssanitäter im Notarztwagen immer mal wieder zu ungeklärten Todesfällen gerufen. Damals bat ich stets meine Kollegen, zu warten, um den Todesermittlern der Polizei bei der Arbeit zusehen zu können. Und damit war die fixe Idee im Kopf – Biologe wollte ich werden, aber irgendwie sollte es mit der Polizei zu tun haben. Anfang der 1990er Jahre war Derrick die aktuelle Krimiserie – keine Rede von DNA-Analysen und auch Quincy löste seine Fälle höchstens mit Chemikern und dem Mikroskop. Giftmorde und deren Aufklärung sind ja seit Jahrhunderten bekannt. Der Rechtsmedizin-Professor sagte mir dann irgendwann, dass ich leider kein Praktikum im Toxikologie-Labor machen könne, es aber ein neues Labor gebe, das gerade eingerichtet werde: ein DNA-Labor.

Man merkte, dass er sich nichts darunter vorstellen konnte.

Als Erstsemester konnte ich das erst recht nicht. Also rief ich an und wurde mit offenen Armen empfangen – ein unbezahlter, motivierter Praktikant war höchst willkommen. Und so arbeitete ich während des Studiums regelmäßig im Institut für Rechtsmedizin am Uni-Klinikum Essen mit und etablierte Methoden, wie zum Beispiel die DNA-Extraktion aus Knochen, Kaugummis und Zigarettenkippen – heute Standard, aber vor gut 20 Jahren noch recht abenteuerlich.

Weil ich aber die Biologie insgesamt so spannend fand und als Biologe wenigstens einen Teil der vielen Möglichkeiten gesehen haben wollte, machte ich noch mehrere Praktika anderswo, etwa im Zoo. Am nettesten war es, dem Ameisenbären-Nachwuchs das Fläschchen zu geben und mit einem Affen auf der Schulter den Käfig zu säubern. Weil ich mehr Spaß an der praktischen Arbeit hatte als am sturen Auswendiglernen, musste ich statt drei Vordiplomprüfungen insgesamt acht machen. Das gab mir aber zum Glück die Zeit für weitere Praktika, unter anderem im Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie in Dortmund und in der Parasitologie-Forschung bei Bayer.

Die spannenden Vorlesungen des Bochumer Parasitologen Heinz Mehlhorn hatten mich für kurze Zeit vom Weg abgebracht, aber ich merkte schnell, dass die Industrieforschung nichts für mich war: Am spannendsten blieb die Rechtsmedizin. Dort lernte ich bei einem Vortrag Manfred Hochmeister aus Bern kennen, einen der Pioniere der kriminaltechnischen DNA-Analyse. Durch seine Vermittlung durfte ich nicht nur vier Wochen bei der Tatortgruppe der New Yorker Polizei mitfahren sondern auch drei Monate im Forschungslabor des FBI in Quantico, Virginia als Gastwissenschaftler mitarbeiten. Bruce Budowle, einer der weltweit führenden Wissenschaftler in der DNA-Identifizierung, zeigte mir die damals aktuellen Techniken. Bruce wurde zu der Zeit als Sachverständiger im O.J.-Simpson-Prozess gehört, einer der ersten großen Prozesse, in dem DNA-Spuren eine Rolle spielten. Die FBI-Academy in Quantico kann man sich übrigens auch in dem Film Das Schweigen der Lämmer anschauen. Er wurde am Originalort gedreht.

Zurück in Deutschland setzte ich mich doch langsam auf den Hosenboden und lernte ein wenig, um mit Ach und Krach das Vordiplom zu schaffen. Weil ich ja einen konkreten Berufswunsch hatte, packte ich mir das Hauptstudium so voll, dass ich noch in der Regelstudienzeit fertig wurde. Glücklicherweise wurde in Bochum Humangenetik als außerbiologisches Nebenfach angeboten, und mein Diplomvater Jörg Epplen war mit Alec Jeffreys einer der Wegbereiter des „genetischen Fingerabdrucks“. Bei Epplen wurden manchmal auch interessante Kriminalfälle bearbeitet: Mal ging es um Tierquälerei – das Epplen-Labor war die erste Adresse für Pferde-DNA-Analysen, – ein anderes Mal um Vaterschaften. Eines Morgens etwa kam Epplen in mein Labor, drückte mir seinen Autoschlüssel in die Hand und ließ mich zu einem pathologischen Institut fahren, um von einer Leiche eine Probe für einen Vaterschaftstest zu nehmen.

Ich war glücklich. Trotz eines guten Angebots, im Institut zu bleiben, zog ich vor, etwas von der Welt zu sehen und bewarb mich auf eine Doktorandenstelle bei Svante Pääbo in München. Von ihm hatte ich im Spiegel gelesen und die Aussicht, mit alter, archäologischer DNA zu arbeiten war sehr verlockend. Svante ermöglichte mir, meine beiden Kindheitswünsche zu kombinieren – Archäologie und Biologie. Bei der Bewerbung 1997 wusste ich noch nicht, dass ich in einem der aufregendsten Projekte mitarbeiten sollte – die Analyse von DNA aus Neandertalerknochen war noch streng geheim, das berühmte Cell-Paper aber schon in der Schublade. Meine Aufgabe war, die ersten Analysen mit einem neuen Individuum zu bestätigen, was zum Glück auch gelang. Es war sehr spannend, in einem internationalen Team mit unbegrenzten Möglichkeiten zu arbeiten. Ach, wie schön war die Zeit im alten Gebäude der Münchner Zoologie: Es stand immer ein Kasten Weißbier im Kühlraum und da die Arbeit gut lief, machte es dem Chef auch nichts aus, wenn wir das Labor zur Kneipe machten. Schweren Herzens entschloss ich mich aber nach einem halben Jahr die Promotion im Institut für Humangenetik im Uniklinikum Essen zu machen. Die Analyse von richtig alter DNA hatte noch viel mit Glück zu tun. Das Feld musste sich außerdem noch von den Sensationsberichten über Dinosaurier-DNA aus Bernstein emanzipieren. Die technischen Möglichkeiten waren noch nicht so weit und es war noch ein weiter Weg zum Neandertaler-Genom.

Das Essener Horsthemke-Institut war ein echter Glücksgriff. Das Thema (Tumorgenetik) war ergiebig und spannend, das Team sehr harmonisch. Und die Typisierung der Tumore, was wir dort ja auch machten, war methodisch genau das, was später im LKA gefragt war. Da die Stellen in der Kriminaltechnik immer rar gesät waren und ich unbedingt einen „echten“ Job haben wollte, musste gegen Ende der Promotionszeit eine Alternative her. Eine Uni-Karriere konnte ich mir nicht vorstellen – wer die -Kolumnen von Axel Brennicke liest, weiß warum. Ich wollte ganz spießig eine Familie und ein Haus haben.

Da gerade keine Stellen in der Kriminaltechnik ausgeschrieben waren, überlegte ich mir, dass die großen Forschungsförderungsorganisationen eine Alternative sein könnten. Nicht mehr selber forschen müssen, aber immer ganz nah dabei und mitgestalten. Ich bewarb mich bei dem wichtigsten Verein, nennen wir ihn „Die Feine Gesellschaft“ (abgekürzt: DFG).

Ein kleines Ziehen im Nacken hatte ich schon dabei, war dies doch meilenweit von meinen eigentlichen Zielen entfernt, aber irgendwie machte es auch Spaß, durchs Land zu reisen und ganz viele Projekte kennenzulernen. Toll, wie hochdekorierte Magnifizenzen, Spektabilitäten und Ordinarien vor einem kleinen Wurm wie mir, aber mit einem kleinen DFG-Schild an der Brust, buckelten. Oh, wie mich gruselt. Von meiner Mentorin wurde ich mit dem denkwürdigen Satz empfangen: „Ich verwalte hier ein kleines Herzogtum.“

Ich war also offensichtlich in eine Feudalherrschaft geraten, oder wie sollte ich das verstehen? Wie oft klang mir in den Ohren „Herr Tschentscher, sind Sie aber naiv – glauben Sie alles, was die Leute Ihnen schreiben?“, wenn ich mit Bittbriefen um Verlängerung von Stipendien oder Aufschub von Fristen zu meiner Herrin kam und fragte, wie wir so etwas regeln könnten.

Nach zwei Wochen war klar, dass dieser Job keine Alternative war. Ich besorgte mir notfallmäßig eine Postdocstelle, die glücklicherweise genau nach dem Ende meiner Probezeit begann. Die Herrin hatte hinter meinem Rücken meine Entlassung in der Probezeit abgesprochen, ohne mich vorzuwarnen. Nun ja, ich habe schon mitbekommen, dass es ihr nie recht war, wenn ich in Besprechungen nicht neben ihr saß, meine eigenen Kontakte knüpfte und nicht eifrig mitschrieb. Aber dann die Eröffnung, dass ich mich arbeitslos melden solle, damit ich Geld bekomme, ohne ein vorheriges Krisengespräch – Feudalismus eben. Unser Sohn war gerade geboren, meine Frau nicht im Job und ich fühlte, wie schnell man im Leben tief fallen kann, wenn man nicht ein Gespür für feindliche Umgebungen hat und vorbaut.

Wie war ich befreit! Immer noch nicht beim LKA, aber wieder im richtigen Leben. Leider entpuppte sich meine Retterin, gerade frisch zur Professorin ernannt, mit der zusammen ich ein Labor aufbauen durfte, als leicht paranoid. Das Team bestand aus Professorin, TA und mir. In den Forschungsanträgen war viel von den „Omiken“ die Rede, mit deren Hilfe man multifaktoriellen Krankheiten auf die Schliche kommen könne. In der Realität sequenzierte ich tagaus, tagein zig bekannte Gene auf der Suche nach Poly­morphismen, die aber leichter aus den Datenbanken des Humangenomprojektes hätten beschafft werden können, da alle schon bekannt waren. Die TA durfte nichts für mich machen, was dazu führte, dass sie, bevor sie vor Langeweile einschlief, heimlich ein paar PCRs für mich pipettierte.

Eigene Ideen waren verboten; selbst das Telefonieren mit den Klinikern wurde mir untersagt – diese hatten mir etliche cDNA-Proben für eine Medikamentenstudie mittels RealTime PCR geschickt. Die Beschriftung lautete „cDNA von 8 ml Blut“. Auf meine Nachfrage sagte Frau Professor, dass da doch immer dieselbe Menge RNA im Blut sei. Es kostete mich eine längere Zeit, ihr klarzumachen, dass man mit solchen Proben keine Expressionsstudien machen kann. Ich konnte immerhin durchsetzen, dass wir das Blut bekamen, um die Studie noch zu retten.

Die zwei Jahre konnte ich nur aushalten, weil wir in der Zeit unser inzwischen gekauftes Denkmalhaus restaurierten und ich all meine Energie in dieses Projekt steckte. Als mein Gruseln den Höhepunkt erreichte, bekam ich einen Anruf – meine nette Betreuerin aus der Bochumer Rechtsmedizin, mit der ich stets in Kontakt geblieben war, hatte sich eine andere Stelle gesucht und fragte mich, ob ich Interesse an ihrem Job hätte. Hurra, natürlich hatte ich das! Das Happy End war sehr nahe. Meine Qualifikation passte und ich stand eine Woche nach Stellenantritt – der Abschied von der Postdocstelle wurde noch etwas hässlich – als Sachverständiger in einem Mordprozess vor Gericht. Etwa zweieinhalb Jahre leitete ich die DNA-Abteilung, war Sicherheits- und Qualitätsbeauftragter, hielt Vorlesungen, sollte habilitieren und forschen und bearbeitete mit drei TAs hunderte Kriminalfälle im Jahr. Eine sehr spannende und intensive Zeit mit einem netten Kollegenkreis, unter denen ich der einzige Biologe war.

Es gab viele spannende Fälle, so grub ich mit den Rechtsmedizinern und der Polizei zwei Mordopfer aus, die ein Jahr im Wald verscharrt waren. Da das mehrere Stunden dauerte, gab es Verpflegung und wir picknickten dann mitten im Wald im Scheinwerferlicht neben den Leichensäcken, während die Bild-Reporter in die Bäume kletterten, um Sensationsfotos zu machen.

In den zwei Jahren in der Rechtsmedizin habe ich jede nur erdenkliche Facette des Todes gesehen. Ich habe sie auch bewusst gesucht, denn irgendwie wollte ich immer den Tod verstehen. Ich ärgerte mich darüber, dass es mich wirklich gruselte, abends im Winter alleine durch die halbdunklen Gänge des Instituts zu gehen, vorbei an Leichenkammer und Obduktionssaal. Manchmal habe ich mich dann gezwungen, in die Leichenkammer zu gehen und dort eine Weile alleine mit den Toten auszuhalten. Der größte Schreck war, als einmal eine noch funktionierende Armbanduhr an einem totenstarren Arm piepste.

So spannend die Rechtsmedizin auch war, die alleinige Verantwortung für die DNA-Abteilung, die vielen Baustellen gleichzeitig, begannen mich ziemlich zu stressen. Ich hatte kaum Zeit für meine Familie, selbst im Urlaub schwirrten mir die Gutachten und Projekte um den Kopf. Und wie war nochmal die Berufsvorstellung als Zivi? Ja, es sollte was mit Polizei sein. Ein solider Job, abwechslungsreich und trotzdem mit einem gesunden Maß Routine. Als sich die Gelegenheit bot, wechselte ich vor acht Jahren zum LKA, ein Schritt, den ich nie bereut habe, auch wenn es vom Gehalt her ein ziemlicher Rückschritt war, verstärkt dadurch, dass ich nicht mehr verbeamtet wurde. Aber nun arbeite ich mit etlichen Biologen und TAs zusammen, wir können die Fälle diskutieren und uns gegenseitig vertreten – Biologen verstehen sich eben. Ich bin angekommen, habe das Gruseln gelernt und fühle mich sauwohl.

Herzlichen Glückwunsch, Laborjournal! – und danke für die Begleitung durch die ganze Zeit!

Frank Tschentscher ist Diplombiologe im Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen.


Letzte Änderungen: 11.07.2014