Editorial

Jetzt mal ehrlich

Eiskalt ausgetrickst

von Laura Burbaum, Stefan Pfeffer und Friedrich Förster, Martinsried


Essays
Illustration: Tim Teebken

(07.07.2015) Probenpräparation und Signaldetektion waren lange Zeit Hemmschuhe bei der Strukturanalyse von Proteinen mit der Elektronenmikroskopie. Blitzschnelle Gefriertechniken und Direktdetektoren haben sie beseitigt.

Will man zelluläre Prozesse erforschen, lohnt sich ein Blick auf makromolekulare Komplexe − die Hauptakteure bei diesem Geschehen. In jeder Zelle existieren tausende dieser kleinen molekularen Maschinen, die viele unterschiedliche Aufgaben erfüllen. Um die Funktion und Regulation makromolekularer Komplexe im Detail verstehen zu können, muss man ihre Struktur in der physiologischen Umgebung, sowie ihr räumliches und zeitliches Interaktions-Netzwerk kennen.

Hierzu muss man die Zelle im Grunde nur sehr stark vergrößern und die in ihr enthaltenen Makromoleküle beobachten. Das Auflösungsvermögen eines herkömmlichen Lichtmikroskops reicht hierfür aber bei Weitem nicht aus. Strukturbiologen verwenden deshalb die Transmissionselektronenmikroskopie, die eine weit höhere Vergrößerungsleistung und Auflösung bietet.

Die Arbeit mit dem Transmissionselektronenmikroskop (TEM) erfordert allerdings eine geeignete Probenpräparation. Ansonsten würde insbesondere das Vakuum im Inneren des TEMs mit der Probe kurzen Prozess machen. Traditionell fixiert man biologische Proben auf chemischem Weg, dehydriert sie und bettet sie anschließend in Plastik ein. Um den Kontrast zellulärer Strukturen zu erhöhen, behandelt man die Probe zusätzlich mit Schwermetallen wie Uranylacetat.

Die von Biologen seit den Dreißigerjahren eingesetzte Elektronenmikroskopie lieferte viele fundamentale Erkenntnisse über den Aufbau von Zellen und hilft Strukturbiologen auch heute noch zellbiologische Fragen zu beantworten. Allerdings stoßen traditionelle Präparationsmethoden schnell an ihre Grenzen, weil die eingesetzten Fixations- und Dehydrierungs-Techniken strukturelle Veränderungen auf molekularer Ebene auslösen. Im ungünstigsten Fall stellt sich eine vermeintlich bahnbrechende Entdeckung im Nachhinein als Artefakt der Präparationsmethode heraus.

Die Kryo-Elektronenmikroskopie, die strukturelle Studien unter nahezu nativen Bedingungen ermöglicht, löst das Präparationsproblem auf elegante Weise: die Probe wird einfach tiefgefroren. Das Tiefkühlfach des Laborkühlschranks ist hierzu jedoch ungeeignet. Beim Einfrieren würden sich unerwünschte Eiskristalle bilden, die biologische Strukturen durch „Gefrierbrand” zerstören. Was man benötigt, ist glasartiges Eis, das die gleiche Dichte wie Wasser hat und einen ungetrübten Blick auf die Probe zulässt.

Diese sogenannte Vitrifikation dünner Proben erhält man durch Plunge Freezing. Die auf dem EM-Netzchen (Grid) aufgebrachte Probe wird bei dieser Technik in flüssiges Ethan eingeschossen und hierdurch blitzschnell tiefgefroren. Allerdings darf die Probe nicht dicker sein als 500 bis 1000 Nanometer. Nur dann ist gewährleistet, dass der Elektronenstrahl sie durchdringen kann und sie gleichmäßig eingefroren wird.

Benötigt man dickere Proben, um beispielsweise ganze Zellen zu betrachten, schneidet man diese mithilfe eines fokussierten Ionenstrahls (FIB) im vitrifizierten Zustand zu. Proben, deren Dicke mehrere Mikrometer überschreitet, wie zum Beispiel intakte Gewebestücke, muss man durch Hochdruckgefrieren vitrifizieren und anschließend im Kryo-Ultramikrotom in dünne Scheiben schneiden. Der Umgang mit dem Kryo-Ultramikrotom ist jedoch eine Kunst, die nur wenige beherrschen − und ein steter Kampf gegen große technische Schwierigkeiten sowie ­Kompressionsartefakte.

Die dreidimensionale Dichte eines makromolekularen Komplexes, dessen Funktion und Regulation man kryo-elektronenmikroskopisch untersuchen will, bestimmt man mit Hilfe der Einzelpartikelanalyse oder der Elektronentomographie. Beide Verfahren basieren auf dem gleichen Prinzip wie die medizinische Computertomographie, die auf den österreichischen Mathematiker Johann Radon zurückgeht. Radon wies nach, dass man die räumliche Struktur eines Objekts aus seinen Projektionen, das heißt seinen „Schatten“, entlang verschiedener Raumrichtungen, bestimmen kann. Da Bilder, die mit dem TEM aufgenommen werden, im Wesentlichen eine zweidimensionale Projektion des abgebildeten dreidimensionalen Objekts darstellen, ermöglichen sie prinzipiell die Rekonstruktion der dreidimensionalen Struktur.

Die Einzelpartikelanalyse ermöglicht eine besonders hohe Auflösung und eignet sich zur Untersuchung gereinigter, löslicher oder solubilisierter Komplexe. Ausgangspunkt sind viele tausend TEM-Bilder isolierter schockgefrorener Partikel. Diese Partikel sind meist zufällig in unbekannten Richtungen orientiert. Mit rechnerischen Verfahren bestimmt man diejenige dreidimensionale Dichte und die jeweiligen Partikelorientierungen, die die aufgenommenen Daten am besten erklären.

Bei ausreichender Qualität der aufgenommenen Daten ist die Auflösung vor allem durch die Zahl der Partikel beschränkt. Dies erfordert eine gute Statistik, die verschiedene Raumrichtungen in den Daten möglichst fein abtastet. Zudem sollte man im Hinterkopf behalten, dass das Signal-zu-Rausch-Verhältnis der Einzelbilder sehr niedrig ist, da aufgrund der Strahlenempfindlichkeit der Probe nur eine geringe Dosis zur Abbildung verwendet werden kann.

Entsprechend sollten die Projektionen entlang verschiedener Raumrichtungen möglichst aus dem Mittelwert vieler Beobachtungen resultieren − anstatt aus dem spärlichen Signal eines einzelnen Partikels. In der Praxis verwendet man meist hunderttausende Einzelpartikelbilder zur Rekonstruktion.

Mithilfe der Einzelpartikelanalyse konnten Strukturbiologen die Strukturen makromolekularer Komplexe wie des Ribosoms oder der β-Galactosidase mit einer Auflösung von deutlich unter 3 Ângström (Â) lösen. In der Regel ist eine Auflösung von etwa 3.5 Â nötig, um ein zuverlässiges atomares Modell eines Komplexes zu erhalten. Diese Grenze überwinden Forscher immer häufiger, was sich auch in der zunehmenden Zahl von Kryo-EM-Publikationen widerspiegelt, die in prestigeträchtigen Zeitschriften erscheinen.

Die exakte Struktur eines Proteinkomplexes ist zur Lösung vieler biologischer Fragestellungen enorm hilfreich. Dennoch fehlt ein wichtiges Puzzlestück zum Verständnis der zellulären Prozesse, an denen der jeweilige Komplex beteiligt ist: Seine natürliche Umgebung.

Man muss den Komplex also dort untersuchen, wo er normalerweise vorliegt: Im Inneren der Zelle oder in intakten Zellbestandteilen. Die Einzelpartikelanalyse ist hierzu jedoch nicht geeignet, weil man bei ihr nur einzelne Partikel beobachtet. Da in einer Zelle zumeist großes Gedränge herrscht, ist das Signal eines einzelnen Partikels in einem Gesatmtbild verschwindend gering und wird von Signalen seiner Umgebung überlagert.

Eine gute Alternative bietet hier die Elektronentomographie. Bei dieser Methode erhält man die unterschiedlichen ­Projektionen des Objekts durch Kippen der Probe vertikal zum Elektronenstrahl. Das Prinzip der Datenaufnahme ist also analog zur medizinischen Computertomographie − mit dem feinen Unterschied, dass der „Patient” und nicht das Mikroskop gedreht wird. Nach und nach werden so Abbildungen der gleichen Probenstelle in einem Winkelsegment von meist 120° aufgenommen. Durch dreidimensionale Rekonstruktion führt man die Signale der einzelnen Moleküle, die in den Projektionen noch überlagert sind, auf ihren Ausgangsort im dreidimensionalen Raum zurück.

Im Unterschied zur Einzelpartikelanalyse bildet die Elektronentomographie jedes einzelne Partikel dreidimensional ab. Aufgrund der geringen Elektronendosis − die zur Abbildung eines einzelnen Partikels eingesetzt wird − ist die rekonstruierte Dichte des einzelnen Partikels deutlich schlechter aufgelöst als bei der Einzelpartikelanalyse, die das Signal vieler Partikel vereint.

Das dreidimensionale Tomogramm ermöglicht jedoch die Untersuchung physiologischer Interaktionen und Funktionsweisen. Im Fall des Ribosoms analysierten Strukturbiologen mithilfe der Elektronentomographie beispielsweise das Zusammenwirken mit dem Protein-Translokon in der Membran des Endoplasmatischen Retikulums (ER), das Proteine während ihrer Synthese in das ER-Lumen transportiert oder sie in die ER-Membran einbaut. Mit aufgereinigten Komplexen wäre dies undenkbar − die Elektronentomographie bietet hier klare Vorteile gegenüber der Einzelpartikelanalyse.

Bei beiden Methoden sieht man sich jedoch schnell mit einem geringen Signal-zu-Rausch Verhältnis der Daten konfrontiert. So ist etwa die Auflösung des Kryo-Tomograms durch die verwendbare Elektronendosis begrenzt (die Instrumentation ist weniger ausschlaggebend). Ohne weitere Prozessierungs-Schritte könnte man das Signal lediglich bis zu einer Auflösung von etwa fünf Nanometer vom Hintergrund unterscheiden.

Die rechnerische Bilddatenverarbeitung ist deshalb das A und O der modernen Elektronenmikroskopie. Mit ihr kann man Makromoleküle im aufgenommenen Tomogram identifizieren und lokalisieren, um ihre dreidimensionale Organisation aufzuklären. Man verwendet sie vor allem für die Analyse größerer Komplexe, um etwa Ribosomen, Proteasomen und ATP-Synthetasen zu untersuchen. Für viele kleinere Komplexe ist die Spezifität des Verfahrens noch nicht ausreichend, die Grenze liegt meist bei 0,5-1 MDa.

Die Auflösung von Komplexen wie Ribosomen, die in der Zelle in großer Zahl vorhanden sind, lässt sich verbessern, indem man die Signale vieler identifizierter Moleküle auswertet und einen Mittelwert bildet.

Auf diese Weise treten Strukturdetails zu Tage, die ohne Mittelung vom Hintergrund verdeckt würden. Wie bei der Einzelpartikelanalyse hängt die Auflösung von der Anzahl der (in diesem Fall dreidimensionalen) Abbilder der spezifischen Komplexe ab.

Die Kryo-Elektronenmikroskopie wurde in der Vergangenheit häufig belächelt und als „Blobology“ abgestempelt. Mittlerweile gelang es mit ihrer Hilfe jedoch die Strukturen zahlreicher Komplexe aufzuklären. Diese Entwicklung ist vor allem großen technischen Fortschritten in den letzten Jahren zu verdanken.

Transmissionselektronenmikroskope wurden ursprünglich für die Materialwissenschaften entwickelt. Entsprechend viel Geduld und Erfahrung verlangte die Arbeit mit biologischen Proben. Aber selbst bei routinierten Anwendern blieb die Qualität der Daten weit hinter dem heute Möglichen zurück. Insbesondere die Umwandlung der abbildenden Elektronen in Photonen und deren Detektion mithilfe ladungsgekoppelter Detektoren (CCD-Chips) limitierte die Auflösung.

Moderne Transmissionselektronenmikroskope machen es dem Experimentator wesentlich einfacher. Neben verbesserten Probenhaltern verfügen sie über Kühlsysteme, die eine automatische, ununterbrochene Kühlung der Probe ermöglichen, sowie Kassetten, in die sich mehrere Proben gleichzeitig in das Mikroskop einbauen lassen. Last but not least, machen automatisierte Datenaufnahmesysteme lange, einsame Nächte vor dem Mikroskop überflüssig.

Den größten Fortschritt brachten jedoch neue Detektorsysteme. Die heute verwendeten Direktdetektoren erfassen deutlich mehr Signale, da die verlustanfällige Umwandlung der Elektronen in Photonen entfällt. Ein weiterer Pluspunkt sind die schnellen Ausleseraten der Direktdetektoren, mit denen sich Probenbewegungen ausgleichen lassen, die zu einem „verschmierten“ Bild führen würden.

Selbst mit der Tomographie sind so Auflösungen unter einem Nanometer möglich, die zur Darstellung von Sekundärstrukturelementen ausreichen − mit „Blobology“ hat das sicher nichts mehr zu tun.


Letzte Änderungen: 07.07.2015