Editorial

Wer Whistleblower nicht schützt, schadet der Wissenschaft

Von Stephan Rixen, Bayreuth


Essays

(03.07.2018) Der Sprecher des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingesetzten Gremiums „Ombudsman für die Wissenschaft“ fordert einen angstfreien Umgang mit dem Thema „Whistleblowing“.

Das Thema „Whistleblower in der Wissenschaft“ ruft, je nachdem, mit wem man spricht, ambivalente Reaktionen hervor. Der vertrauliche oder gar anonyme Hinweis auf mögliches wissenschaftliches Fehlverhalten führt – so befürchten die einen – in den Abgrund von übler Nachrede und Verleumdung, aus dem die beschuldigte Person selbst dann nicht mehr herauskomme, wenn an den Vorwürfen nichts dran sei. Für andere ist Whistleblowing das Allheilmittel gegen einen vermeintlich systemisch gestörten Wissenschaftsbetrieb, dem der Wille zu ernsthafter Selbstregulierung fehle. Für die Letzteren sind Whistleblower die letzten Ritter der wissenschaftlichen Redlichkeit. Für die Ersteren sind sie Desperados destruktiver Denunziationssucht.

Das klingt zugespitzt, aber wer mit Verantwortlichen auf der Leitungsebene in Universitäten oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen spricht, dem können durchaus eher skeptische Einschätzungen über den Nutzen des Whistleblowing begegnen. Das ist nicht ganz unverständlich, denn aus der Sicht der Verantwortlichen einer Universität oder einer anderen Forschungseinrichtung ist Whistleblowing in erster Linie ein Thema des Krisenmanagements. Weil es bei den Vorwürfen in aller Regel nicht um Peanuts geht, landet die betroffene Institution im akuten Alarmzustand: Die Rechtsaufsicht im zuständigen Wissenschaftsministerium stellt Fragen; alle möglichen Räte und Beiräte sind (auch um den eigenen Ruf) besorgt; die Gruppendynamik in Arbeitsgruppen, Fachbereichen, akademischen Senaten und Studierendenvertretungen kommt in Fahrt – und in den Medien äußern sich wahre und bislang unbekannte Experten, die natürlich immer schon wussten, dass etwas faul ist und harte Konsequenzen fordern. Ist die Krise dann irgendwann und irgendwie bewältigt und hat man die mediale Beobachtung halbwegs überlebt, schlägt die Stunde der Ankündigungen, alles besser und anders zu machen. Sie werden dann mehr oder weniger beherzigt beziehungsweise konsequent umgesetzt.

Leider wird jedoch die Frage, wieso die Krise gerade durch einen Whistleblower ausgelöst worden ist, meistens nicht gestellt. Die naheliegende Frage müsste doch sein: Wieso ist uns das Problem nicht ohne Whistleblower aufgefallen?

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Nun gibt es keinen Grund, Whistleblower heiligzusprechen. Der Zellbiologe Sven Hendrix etwa war falschen Anschuldigungen ausgesetzt – er weiß also, wovon er spricht, wenn er die folgende Whistleblower-Typologie entwirft [1]: Nur „honestly concerned PhD students or colleagues“, so Hendrix, „deserve to be protected without reservation”. Die zweite Gruppe bilden „angry (ex-)colleagues“ , welche die Karriere eines Wissenschaftlers oder einer Wissenschaftlerin beschädigen wollen, weil sie sich schlecht behandelt fühlen. Sie sind entweder tatsächlich überzeugt, dass er oder sie sich wissenschaftlich inkorrekt verhalten hat – oder sie wissen gar durchaus, dass das nicht der Fall ist. Hier zwischen falscher Anschuldigung und berechtigtem Vorwurf zu unterscheiden, scheint besonders schwierig. Eine dritte Gruppe, die „Machiavellisten“, sind jene, die aus politischen, sehr persönlichen oder anderen Gründen möglicherweise nur halbgare Verdächtigungen mit gezielter Vernichtungsabsicht aufblasen und gewillt sind, „to ruin the reputation of a scientist“. „These persons intentionally abuse the whistleblower status.“ Überdies gibt es laut Hendrix noch eine vierte Gruppe, die „crazy people“, die er folgendermaßen charakterisiert: „Sometimes a psychiatric problem cannot be excluded but only clinically trained psychiatrists are able to judge this. Characteristic behaviors are personal insults, multiple accusing emails to a broad audience including journal editors, colleagues, the press and/or politicians – sometimes over long periods as well as numerous accusations based on various ‘suspicious’ elements of a publication or stalking behavior.

Dies ist keine trennscharfe Typologie, aber eine, die – immerhin – das Feld der Whistle­blower-„Typen“ etwas strukturiert. Wer die Realität des Whistleblowings kennt, weiß, dass gelegentlich – sagen wir – Grenzgängerinnen und Grenzgänger am Werke sind, deren Verhalten bei allem Verständnis schwer nachzuvollziehen ist. Man sollte allerdings aufpassen, nicht zu viele für „crazy“ zu erklären. Das wäre ein sicheres Indiz dafür, sich die Sache zu einfach zu machen. Hendrix will selbst bei „angry (ex-)colleagues“ und „crazy people“ nicht ausschließen, dass die Anschuldigungen tragfähig sind. Auch aufgrund zweifelhafter Absichten kann Wahres zutage treten.

Damit stellt sich die schwierige Aufgabe, Motivlagen so aufzuhellen, dass erkennbar wird, ob eine unlautere Schädigungsabsicht verfolgt wird oder nicht. Zusammen mit dem Amsterdamer Epidemiologen Lex Bouter, der zu den weltweit führenden Experten auf dem Gebiet der Research Integrity gehört, hat Hendrix ein Vorgehen empfohlen, das auch das Interesse der angeschuldigten Person im Blick hat. Fasst man ihre Vorschläge zusammen, dann empfehlen Bouter und Hendrix [2] – ähnlich wie vor ihnen schon Gunsalus [3] – allen Whistleblowern skrupulöse Selbstkritik und das Einholen einer Second Opinion; außerdem sollten sie vorgesehene Verfahren nutzen.

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Auch wenn sie es nicht so deutlich sagen: Bouter und Hendrix halten nichts von einem direkten Gang in die Öffentlichkeit, wie er heutzutage auf Portalen wie PubPeer oder Retraction Watch leicht umzusetzen ist. Vielleicht muss man selbst einmal Opfer einer Falschbeschuldigung gewesen sein, um zu begreifen, dass solche Portale ein zweischneidiges Schwert sein können.

Das Problem dieser Vorschläge ist: PubPeer, Retraction Watch und andere internetbasierte Veröffentlichungsorte gäbe es vermutlich nicht, wenn die Verfahren, auf die Bouter und Hendrix bauen, tatsächlich zur Zufriedenheit derer funktionieren würden, die Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens äußern. Wer verhindern will, dass diese Portale zum Pranger werden, der Unschuldige trifft, wird nicht umhinkönnen, die Verfahren an Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen, die sich mit Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens beschäftigen, zu professionalisieren. Wenn das unterbleibt, darf sich niemand wundern, dass Whistleblowing mit breiter Streuung in der Öffentlichkeit praktiziert wird. Eine Forschungseinrichtung, die von einem öffentlichen Whistleblowing betroffen ist, sollte zügig prüfen, ob die internen Verfahren verbesserungsbedürftig sind.

Dass das Thema „Gute wissenschaftliche Praxis“ (GWP) bzw. „Wissenschaftliche Integrität“ trotz guter Ansätze in vielen Einrichtungen immer noch stiefmütterlich behandelt wird, hat mit dem zu tun, was ich das „Schiedsrichter-Vorurteil“ nennen möchte. Die Schiedsrichterleistung interessiert eigentlich nur, wenn es zu umstrittenen Entscheidungen kommt: nicht gegebene „klare“ Elfmeter, aberkannte Tore wegen eines „zu Unrecht“ angenommenen Abseits, und so weiter. Im Zentrum des Publikumsinteresses steht das, was die beiden Teams auf dem Spielfeld anstellen. Schiedsrichter gelten schnell als Störfaktoren, die vom Eigentlichen, dem Spiel, ablenken – es schlimmstenfalls sogar „kaputtpfeifen“.

Was hierbei übersehen wird, ist, dass das „Eigentliche“, das Spiel, von einem gleichsam unsichtbar immer mitlaufenden Regelnetz gesteuert wird, das dem Fußballspiel erst seine Gestalt gibt. Das Fußballspiel ist ohne die Spielregeln als Möglichkeitsbedingung eines hoffentlich ansehnlichen, mitreißenden Spiels gar nicht vorstellbar. Mögen alle Fußballer die Spielregeln auch mehr oder minder gut kennen, müssen die Regeln doch von Zeit zu Zeit durch einen neutralen Dritten, einen Schiedsrichter beziehungsweise eine Schiedsrichterin, in Erinnerung gerufen werden. Sie machen beim Auftreten eines Regelverstoßes mit einem performativen Akt die Relevanz der Regel sichtbar: „[I]t is [...] of fundamental importance that justice should not only be done, but should manifestly and undoubtedly be seen to be done“, so die berühmte Einsicht des englischen Lord Chief Justice Gordon Hewart [4]. Deshalb müssen Ombudspersonen, Fehlverhaltenskommissionen und die Verantwortlichen einer Forschungseinrichtung auch mal die rote Karte zücken. Fairplay fällt nicht vom Himmel, sondern muss mit sehr irdischen Mitteln gegen diejenigen durchgesetzt werden, die nichts von Fairplay halten. Das gilt im Sport wie in der Wissenschaft, die als kompetitive Veranstaltung mehr Ähnlichkeiten mit dem Teamsport aufweist, als dem Forschungspersonal mitunter bewusst sein mag.

Wer sich mit GWP befasst, ist also kein moralisierender Low Performer, der es in der „eigentlichen“ Wissenschaft nicht hingekriegt hat. Es sind vielmehr die, die begriffen haben, dass auch die Wissenschaft von einem Regelnetz durchwirkt wird, das zu ihr selbst gehört. GWP-Regeln sind konstitutives Element der Wissenschaft, wie die Fußballregeln zum Fußballspiel gehören. Nur wer diese – im Kern: wissenschaftstheoretische – Einsicht verinnerlicht hat, begreift den Sinn aller Anstrengungen, sich mit den GWP-Regeln zu befassen [5].

Und übrigens: Die gelegentlich zu hörende Unterstellung, wer sich mit GWP befasse, beschäftigte sich nicht mit dem „Eigentlichen“ der Wissenschaft, sei also in Wahrheit gar kein richtiger Wissenschaftler, passt nicht zur Empirie. Wer den Lebenslauf vieler Ombudspersonen betrachtet, dürfte ob der wegweisenden Publikationen, der Stipendien, Preise und Drittmittel-geförderten Forschungsprojekte, die da im Laufe des Lebens angesammelt wurden, ins Staunen geraten. Auch das belegt: Nur wer die Wissenschaft von innen, also aus der Forschungspraxis bestens kennt, weiß, wovon er oder sie spricht, wenn es um die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis geht.

Damit wissenschaftliche Integrität entsteht und lebendig bleibt, muss jede Forschungseinrichtung für Maßnahmen sorgen, die gewährleisten, dass GWP-Regeln nicht nur eingehalten, sondern dauerhaft im Bewusstsein der Forschenden präsent bleiben [6]. Notwendig ist „GWP-Compliance“, die zum Beispiel auch den Schutz von Whistleblowern und betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sichert. Der Begriff „Compliance“ steht für ein Set aufeinander abgestimmter Maßnahmen, die gewährleisten sollen, dass Regeln, aber auch die sie fundierenden Prinzipien eingehalten beziehungsweise internalisiert werden. Compliance wird meistens mit Wirtschaftsunternehmen assoziiert, gilt aber letztlich für jede Organisation, die sicherstellen will, dass die maßgeblichen normativen Erwartungen nicht nur auf dem Papier bestehen, sondern tatsächlich eingelöst werden.

Was bedeutet das konkret? Hier einige Überlegungen mit exemplarischem Blick auf die Universitäten, die für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen entsprechend gelten:

  • GWP ist Leitungsaufgabe: Nur wenn die Leitungsebene es sich zu eigen macht, wird dem Thema „GWP“ auch bei der Profilentwicklung der Einrichtung die gebotene Beachtung geschenkt. Die Leitung – der Präsident, die Rektorin – muss eine Vorstellung davon haben, dass es nicht genügt, GWP-Regeln auf der Homepage zu veröffentlichen und ansonsten bloß passiv-wohlwollend hinter dem Thema zu stehen.
  • GWP ist eine Herausforderung für die Personalentwicklung: Bei der Suche nach Präsidentinnen oder Rektoren könnten die zuständigen Gremien, wie etwa Hochschulräte, die Kandidatinnen oder Kandidaten fragen, was sie zum Thema GWP zu sagen haben. Wer hier nur heiße Luft produziert oder meint, die Medien würden Einzelfälle aufbauschen, lässt Zweifel an der Eignung entstehen. GWP lässt sich als Teil derjenigen Eignung, Leistung und Befähigung abbilden (Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes), die auch den Zugang zum Professorinnen- beziehungsweise Professorenamt steuern. Deshalb sollte bei Stellenausschreibungen oder Berufungen schon in Ausschreibungstexten darauf hingewiesen werden, dass der Bewerber oder die Bewerberin mit GWP-Fragen vertraut sein muss. Ähnlich wie bei der Lehre ist zu erwarten, dass dies – je mehr es in Stellenausschreibungen gefordert wird – zu einem Bedarf an Fortbildungen führen wird, über die es dann Nachweise gibt, die einer Bewerbung beigefügt werden können. Natürlich können Zertifikate und dergleichen wissenschaftliche Integrität nicht garantieren, aber Fortbildungen schaffen Problembewusstsein.
  • GWP muss einen festen Platz im Studium haben: Nach Angaben des Wissenschaftsrats bilden über 40 Prozent der Hochschulen im Grundstudium nicht zur GWP aus [7]. Die Weichen müssen zu Beginn des Studiums gestellt werden. Im Laufe des (Promotions-)Studiums kann das Thema vertieft werden. Graduiertenzentren und strukturierte Doktorandenprogramme sollten zur Selbstverständlichkeit werden. Wie groß die Chancen sind, insbesondere Professorinnen und Professoren für das Thema zu interessieren, die ihren Berufsweg und ihre Lehrangebote bislang erfolgreich am Thema vorbeigelenkt haben, ist schwer abzuschätzen. Aber auch hier kann es Anlässe geben, sich vertieft mit dem Thema zu befassen. Kursangebote sollten vor allem vor Ort installiert werden, damit die Hürde, sich fortzubilden, möglichst niedrig ausfällt.
  • GWP sollte bei der hochschulpolitischen Steuerung wichtiger werden: Dass GWP und wissenschaftliche Integrität im Universitätsalltag noch präsenter werden, könnte durch entsprechende Vorgaben in den Hochschulgesetzen, aber auch in den Zielvereinbarungen („GWP-Zielvereinbarung“) befördert werden. Die DFG, aber auch andere Förderinstitutionen könnten die Anforderungen indirekt erhöhen, indem sie die Förderung von Projekten von anspruchsvollen GWP-Vorkehrungen – die zunächst definiert werden müssten – vor Ort abhängig machen. Die Unterschrift auf dem Förderantrag, mit der versichert wird, man werde sich an die Regeln der GWP halten, kann zumindest bisher auch nur gut gemeinte Symbolik sein. Von strengeren Vorgaben beispielsweise der DFG würde ein Sogeffekt ausgehen, dem sich keine Universität, die Fördergelder bekommen will, entziehen können wird.
  • GWP braucht ein bundesweites Monitoring und mehr Forschung: Verlässliches empirisches Wissen über GWP beziehungsweise wissenschaftliches Fehlverhalten in Deutschland gibt es in Ansätzen durchaus [8], aber es ist ausbaufähig. Vertiefende Disziplin-spezifische ebenso wie fächerübergreifende Forschung ist dringend geboten, um den verbreiteten, sehr subjektiven Einschätzungen etwas entgegensetzen zu können. Ergänzend zu Forschungsprojekten sollten die hochschulpolitisch Verantwortlichen in Bund und Ländern ein GWP-Monitoring initiieren, um die Entwicklungen beziehungsweise Veränderungen im Bereich GWP besser nachverfolgen zu können. Auf dieser Basis ließe sich auch vor Ort besser gegensteuern und gestalten.


Zur GWP-Compliance gehört ein differenzierter Umgang mit dem Thema „Whistleblowing“. Da gibt es in der Tat noch einiges zu tun. In der DFG-Denkschrift zur „Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ [9] heißt es: „Die Anzeige des Whistleblowers hat in gutem Glauben zu erfolgen [...]. Vorwürfe dürfen nicht ungeprüft und ohne hinreichende Kenntnis der Fakten erhoben werden.“ Wie diese Prüfung gelingt, an welchen Kriterien sie sich orientiert, und wann von einer hinreichenden Kenntnis der Fakten auszugehen ist, wird nicht erläutert. Nötig sind praktikable Indikatoren und Vorgehensweisen zur Ermittlung der Glaubwürdigkeit. Dazu braucht es Erfahrungen, die zu Erfahrungssätzen verdichtet werden und die diejenigen weiterentwickeln, die sich in Ombudsstellen, Fehlverhaltenskommissionen oder an anderer Stelle mit Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern beschäftigen.

So lassen sich manche Vorwürfe zum Beispiel unabhängig davon überprüfen, ob die Identität des Whistleblowers bekannt ist. Es wäre daher ein Fehlschluss anzunehmen, Anonymität spreche zwingend für Unglaubwürdigkeit. Wenn eine Universität auf eine Publikation eines bei ihr tätigen Forschers hingewiesen wird, in der (angeblich) Western Blots gefälscht wurden, ist dies in aller Regel überprüfbar, ohne dass die Person, die den Hinweis gegeben hat, bekannt sein muss. Auch bei Plagiaten lässt sich häufig anhand des Textes eine Bewertung abgeben. Anders kann das bei vertrackten Autorenschafts-Konflikten sein, wenn darüber gestritten wird, wer wem wann zugesagt hat, sie oder er dürfe Mitautorin beziehungsweise Mitautor sein.

Eine an vergleichsweise objektiven Daten ansetzende Überprüfung ist bei Vorwürfen, die sich auf menschliche Interaktionen beziehen, kaum möglich. Wo es offensichtlich „menschelt“ und dies Folgen für die Bewertung des Verhaltens haben kann, muss die Identität des Whistleblowers bekannt sein – zwar nicht allen Mitgliedern einer Ombudsstelle, aber doch zumindest einem. Dass die Person nur einem Mitglied bekannt ist, optimiert den Vertraulichkeitsschutz, ohne die Überprüfung der Glaubwürdigkeit zu verunmöglichen. Dass der persönliche Eindruck je nach Vorwurf und sonstiger Beweislage sehr wichtig sein kann, liegt auf der Hand.

Darüber, wie im Einzelnen angemessen mit Whistleblowern umgegangen werden kann, sollte es einen aktiven Erfahrungsaustausch der Ombudspersonen und Fehlverhaltenskommissionen geben. Sie verfügen über unzählige Erfahrungen, die als Good oder Best Practice helfen können, die eigene Praxis vor Ort zu reflektieren. Auf dem Symposium der Ombudspersonen, welches das Gremium „Ombudsman für die Wissenschaft“ im Februar 2018 in Berlin veranstaltete, wurde immer wieder der Wunsch geäußert, entsprechende Foren des Erfahrungsaustauschs zu installieren. Ombudspersonen, so die Idee, könnten sich regelmäßig treffen und sich unter anderem über ihre Erfahrungen mit Whistleblowern austauschen – natürlich anonymisiert. Hierbei ginge es nicht um eine Standardisierung oder gar Uniformisierung „von oben“, sondern darum, in moderierter Form das eigene Erfahrungswissen anderen zur Verfügung zu stellen. Diese Art der unspektakulären Professionalisierung wäre ein wichtiger Baustein, um das Thema „Whistleblowing“ zu entdämonisieren.

Diejenigen Whistleblower, die dem Wissenschaftsbetrieb mit großem Misstrauen begegnen und nur Totalopposition für das Richtige halten, müssen sich fragen, ob diese Anti-Haltung auf Dauer wirklich weiterhilft. Wer den Internet-Pranger undifferenziert nutzt und leider auch Unschuldige trifft, spielt letztlich denen in die Hände, die das Whistleblowing generell ablehnen und meist auch nicht viel von der ganzen Debatte über GWP und Research Integrity halten.

Angesichts der Trägheit von Menschen und Institutionen werden Whistleblower immer nötig sein. Die Redlichen unter ihnen, es sind die meisten, haben Schutz verdient, und zwar gerade die, die als Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler vielfach ihre Existenz aufs Spiel setzen. Ich habe die Hoffnung, dass Whistleblower weniger zu tun haben werden, je mehr wir in der Wissenschaft Hinweisen auf Unregelmäßigkeiten ohne falsche Rücksichten nachgehen, je mehr wir also – angefangen bei den Leitungsebenen – nicht nur von einer Kultur der wissenschaftlichen Integrität reden, sondern sie folgenreich leben.



Referenzen


[1] Hendrix S. 2014. What to do when you are falsely accused of scientific fraud? https://www.smartsciencecareer.com/falsely-accused/ [letzter Abruf am 10.06.2018].
[2] Bouter, L.M., Hendrix, S. 2017. Both Whistleblowers and the Scientists They Accuse Are Vulnerable and Deserve Protection. Accountability in Research. 24:6. 359-366.
[3] Gunsalus, C. K. 1998. How to Blow the Whistle and Still Have a Career Afterwards. Science and Engineering Ethics. 4:1. 51-64.
[4] Hewart, G. 1924. R v Sussex Justices, Ex parte McCarthy ([1924] 1 KB 256, [1923] All ER Rep 233). www.bailii.org [Homepage des British and Irish Legal Information Institute, letzter Abruf am 10.06.2018].
[5] Reydon, T. 2015. Plagiate als Professionalisierungsproblem. Zitat, Paraphrase, Plagiat: Wissenschaft zwischen guter Praxis und Fehlverhalten. hrsgg. v. Lahusen, C., Markschies, C. Campus Verlag. Frankfurt/New York. 293-304.
[6] Rixen, S. 2018. Wissenschaftliche Integrität als Aufgabe der Universitäten. Perspektiven des Wissenschaftsintegritätsrechts. Gedächtnisschrift für Arndt Schmehl, hrsgg. von Spieker gen. Döhmann, I., Wallrabenstein, A., Durner, W., Reimer, F., Duncker & Humblot. Berlin (im Erscheinen).
[7] Wissenschaftsrat. 2015. Empfehlungen zu wissenschaftlicher Integrität, Positionspapier. www.wissenschaftsrat.de [letzter Abruf am 10.06.2018].
[8] Krempkow, R. 2016. Wissenschaftliche Integrität, Drittmittel und Qualität in der Wissenschaft – empirische Befunde. Qualität in der Wissenschaft (QiW) – Zeitschrift für Qualitätsentwicklung in Forschung, Studium und Administration. 10:2. 46-52.
[9] Deutsche Forschungsgemeinschaft. 2013. Denkschrift „Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“. Ergänzte Auflage 2013. http://www.dfg.de/ [letzter Abruf am 10.06.2018]


Danksagung


Ich danke Hjördis Czesnick, Saskia Welde und Fanny Oehme von der Geschäftsstelle des „Ombudsman für die Wissenschaft“, Berlin, für kritische Lektüre, Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge.



Zum Autor

Stephan Rixen ist seit 2010 Professor für Verfassungs- und Verwaltungsrecht mit einem Schwerpunkt im Gesundheitsrecht an der Universität Bayreuth. Seit 2015 gehört er dem vierköpfigen DFG-Gremium „Ombudsman für die Wissenschaft“ an, das bei Konflikten hinsichtlich „guter wissenschaftlicher Praxis“ berät und vermittelt; seit 2016 ist er Sprecher des Gremiums. Im Jahr 2017 war es mit 106 Anfragen befasst.


Letzte Änderungen: 03.07.2018