Editorial

RNA-Editierung – Alternative oder Ergänzung zur Genom-Editierung?

Von Thorsten Stafforst, Tübingen


(15.07.2019) Die Idee, RNA mit Adenosin-Deaminasen (ADAR) zu editieren, geistert schon seit 1995 in den Köpfen von Bioingenieuren herum. Neuen Schwung erhielt sie durch guide-RNAs, welche die ADARs zu ihrem Ziel führen. Noch weitaus bessere „Tourguides“ scheinen aber modifizierte Antisense-Oligos zu sein.

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Illustr. : iStock / MHJ

Als wir zusammen mit anderen Gruppen vor einigen Jahren die zielgerichtete RNA-Editierung neu belebten, sind wir bei vielen Drittmittelgebern, aber auch bei akademischen Kollegen, auf große Vorbehalte gestoßen. Der Tenor war stets: Wofür brauchen wir das heute noch, wir haben doch CRISPR/Cas?

Tatsächlich erscheint es zunächst abwegig, die genetische Information auf der kurzlebigen Arbeitskopie – der messenger RNA – korrigieren zu wollen, denn dieser Eingriff wird stets reversibel sein und die Korrektur einer vererbten Punktmutation wird den wiederholten Eingriff in die Patienten-mRNA erfordern.

Heute würde das Urteil vielleicht milder ausfallen, denn die Limitierungen der neuen Werkzeuge zur Genom-Editierung sind klarer geworden [1]. Aus der Grundlagenforschung ist die Genom-Editierung nicht mehr wegzudenken. Sie ist vor allem zur Erzeugung von Knockout-Zelllinien und -tieren sehr effizient.

Im Gegensatz zum Knockout hat sich der Knockin, also das präzise Einfügen eines Transgens, sowie die präzise Korrektur von Punktmutationen, Deletionen et cetera im Genom als viel schwieriger erwiesen als erhofft. Dabei kommen mehrere Probleme zusammen: Die Präzision des Eingriffs, die Effizienz der Korrektur, die technische Durchführung sowie ethische Bedenken.

In den vereinfachten Darstellungen der Genom-Editierung wird oft vernachlässigt, dass die Genscheren zwar mitunter sehr präzise schneiden, bei der anschließenden Reparatur des Genoms aber auf gegenläufige Reparatur-Mechanismen angewiesen sind. Daher entstehen bei vielen Werkzeugen durch kleine Deletionen Mischungen von Produkten, etwa des gewünschten Knockins und des unerwünschten Knockouts. Dies wirkt sich sowohl negativ auf die Präzision wie auch auf die Effizienz aus.

Darüber hinaus kann es zu sogenannten Off-Target-Effekten kommen, also zur Veränderung des Genoms an unerwünschten Stellen. Da die Off-Targets im Genom erfolgen, verbleiben sie permanent und können gegebenenfalls vererbt werden. Es ist sowohl technisch schwierig, Off-Target-Stellen zu finden, als auch deren Wirkung sicher vorherzusagen.

Ein weiteres Problem ist oft die Effizienz, die sich durch die fehlende Präzision verringert. Ist die angestrebte Korrektur auf einen spezifischen endogenen Reparatur-Mechanismus angewiesen, zum Beispiel die homologe Rekombination, versagt das Werkzeug zudem in postmitotischem Gewebe.

Auch die Bereitstellung der recht großen und komplexen Editier-Werkzeuge ist nicht unproblematisch. Sie bestehen in der Regel aus wenigstens zwei Bausteinen: einer RNA sowie einer Proteinkomponente, eventuell noch aus einem DNA-Template. Cas-Proteine sind sehr groß und bringen Vektoren an die Grenzen ihrer Kapazität. Zudem sind sie bakteriellen Ursprungs – ihre Expression kann deshalb vom Immunsystem erkannt werden [2].

Neben der technischen Sicherheit und Effizienz werfen gewollte und ungewollte Keimbahnmutationen zusätzliche ethische Fragen auf, die noch nicht abschließend geklärt sind [3]. Entsprechend setzen viele Firmen eher auf die Ex-vivo-Genom-Editierung, etwa von Blutstammzellen, als auf die In-vivo-Genkorrektur. Dennoch sind bereits erste klinische Studien zur In-vivo-Genkorrektur an der Retina genehmigt [4].

Die RNA-Editierung unterscheidet sich in mehreren Aspekten deutlich von der Genom-Editierung. So sind Eingriffe an der RNA reversibel und dosierbar – je nach Anwendung kann dies von Vor- oder Nachteil sein. So sollte zum Beispiel die Korrektur einer vererbten Punktmutation möglichst permanent und vollständig erfolgen. Hier würde man nur auf die RNA-Editierung ausweichen, wenn diese effizienter, technisch einfacher und sicherer wäre. Dies könnte tatsächlich bei vielen Indikationen der Fall sein, insbesondere wenn man endogene RNA-Editierungsenzyme verwenden kann.

Im Prinzip könnte man auf dem Transkript alle Eingriffe durchführen, die auch im Genom möglich sind. Tatsächlich liegt der Fokus derzeit aber auf der sogenannten Adenosin-zu-Inosin-Editierung (A-zu-I), bei der formell Adenosin durch Guanosin substituiert wird. Bei diesen Eingriffen können nur A-zu-G-Mutationen gesetzt werden, was natürlich eine große Einschränkung ist. Doch der Mechanismus ist hocheffizient und recht gut steuerbar.

Das natürliche Enzym ADAR (Adenosine deaminase acting on RNA) verwendet einen simplen Hydrolyse-Mechanismus, bei dem weder das Rückgrat der RNA noch die glycosidische Bindung des Adenosins gebrochen werden. Für die RNA-Editierung ist deshalb nur das ADAR-Enzym nötig. Es werden weder endogene Reparatur-Mechanismen verwendet, noch wird gegen einen ReparaturMechanismus gearbeitet. Glücklicherweise wird ADAR im Menschen allgegenwärtig exprimiert, da es einen wichtigen Beitrag zur Dämpfung der Autoimmunität körpereigener doppelsträngiger RNAs leistet. Da es nur doppelsträngige RNA als Substrat erkennt, lässt sich der Mechanismus steuern, indem eine guide-RNA ­(gRNA) zugefügt wird, die sich an die mRNA anlagert und dadurch den RNA-Duplex ausbildet.

In unserem ersten Ansatz haben wir entsprechende genetisch codierbare gRNAs entwickelt, mit denen wir natürliche ADAR-Enzyme rekrutieren können. Die gRNAs bestehen aus einer programmierbaren Spezifitätsdomäne, die mit der Ziel-mRNA paart sowie einer ADAR-rekrutierenden Domäne, die eine hohe Affinität für humane ADARs aufweist [5].

Mit diesen ersten gRNAs konnten wir sowohl endogene Substrate editieren als auch eine Punktmutation im PINK1-Gen ausgleichen, die mit der Parkinson-Erkrankung zusammenhängt. Prashant Mali und seine Kollegen von der University of California in San Diego haben die gRNAs kürzlich mithilfe Adeno-assoziierter Viren (AAV) in Mausmodellen für zwei humane Erkrankungen (Duchenne-Muskeldystrophie und OTC-Mangel) exprimiert und konnten erste Editierungen in vivo erzielen [6]. Bislang ist die Methode jedoch nicht effizient genug, um endogenes ADAR zu rekrutieren. Es musste jeweils humanes ADAR zusätzlich exprimiert werden, was mit globalen Off-Target-Editierungen im Transkriptom einhergeht. Hier ist noch weitere Entwicklungsarbeit hinsichtlich Effizienz und Präzision notwendig.

Die Codierung der gRNA mittels AAVs hat den Nachteil, dass es ein gentherapeutisches Verfahren ist. Außerdem baut der Körper schnell Immunität gegen AAVs auf, was die Wiederholung der Behandlung erschwert. Auch zulassungstechnisch wäre ein Antisense-Ansatz wünschenswert, bei dem die gRNA in Form eines chemisch modifizierten Antisense-Oligonukleotids (ASO) zugeführt wird.

Tatsächlich haben wir entdeckt, dass ASOs wesentlich besser in der Lage sind, endogene ADARs zu rekrutieren als codierte gRNAs der gleichen Nukleotidsequenz [7]. Hierbei spielt die Optimierung der chemischen ASO-Modifikationen eine sehr große Rolle. Erfreulicherweise erhöhte sich nicht nur die Effizienz, sondern auch die Präzision. Da kein zusätzliches ADAR exprimiert wurde, gab es auch keine globalen Off-Target-Effekte – die Chemie half, die Spezifität des Substratduplexes optimal zu steuern. Es schien auch nicht so, dass die endogene Editierungs-Homöostase gestört war, obwohl ADAR zu neuen Substraten umgeleitet wurde. Hier steht ein Proof-of-Concept in vivo an und eine weitere Optimierung der ASO-Chemie, um die Ablieferung in der Zelle (in-vivo delivery) zu verbessern.

Schließlich gibt es noch den biotechnologischen Weg, bei dem neben der gRNA ein maßgeschneidertes ADAR-Enzym verwendet wird. Da sich die ADAR-Aktivität durch eine Punktmutation stark erhöhen lässt, ist dies eine Möglichkeit, schwierige Substrate effizienter zu editieren. Ein generelles Problem ist jedoch die hohe Frequenz an Off-Target-Edits, wenn diese hyperaktiven Editasen unkontrolliert exprimiert werden [8]. Wir haben hierzu das SNAP-ADAR-System entwickelt [9], das ein besonders günstiges Verhältnis von On-Target- zu Off-Target-Editierung erzielt [10]. Zwei weitere Varianten dieses Ansatzes wurden kürzlich ex vivo und in vivo zur Reparatur krankheitsrelevanter Punktmutationen getestet, etwa in MeCP2 zur Behandlung des Rett-Syndroms [1, 11].

Die RNA-Editierung ist nicht nur als therapeutische Strategie interessant, sondern auch als neues Werkzeug für die Biowissenschaften. Ein Beispiel ist die Manipulation von ­Signaltransduktionswegen mit der A-zu-I-Editierung. Diese erlaubt attraktive Aminosäure-Substitutionen, wie zum Beipiel Lysin-zu-Arginin, Threonin-zu-Alanin und Tyrosin-zu-Cystein, mit denen gezielt Acetylierungs-, Ubiquitinylierungs- und Phosphorylierungsstellen entfunktionalisiert werden können [4]. Zudem lassen sich ohne Probleme mehrere Stellen gleichzeitig im Transkriptom adressieren, wie wir bereits für zwei unserer Strategien gezeigt haben [3, 6]. Letzteres ist auf der Genom-Ebene schwierig zu erreichen.

Die RNA-Editierung wäre auch in einem weiteren Zusammenhang komplementär zur Genom-Editierung: Der Eingriff in essentielle Signalkaskaden oder Proteinfunktionen kann letal für die Zelle sein und ist in diesem Fall nicht im Genom realisierbar. Auf RNA-Ebene hingegen könnte man den Eingriff nur kurzzeitig oder dosiert anwenden und das Problem der Letalität so umgehen [4].

Im Nachhinein hat es sich als sehr ergiebig und richtig erwiesen, im Hype um die Genom-Editierung die RNA nicht aus den Augen zu verlieren. Die genetische Information wird auf Ebene des Transkriptoms permanent von regulierten Mechanismen auf unterschiedliche Arten verändert, wofür kürzlich der Begriff Epitranskriptom etabliert wurde. Neben den klassischen Editierungen zählen hierzu auch Methylierungen wie N6-Methyladenosin (m6A), die beim Lernen (synaptische Plastizität), aber auch bei der Kanzerogenese und anderen Prozessen eine Rolle spielen [12, 13].

Die Arbeiten zur zielgerichteten A-zu-I-Editierung zeigen Wege auf, wie man Werkzeuge bauen könnte, die eine gezielte Manipulation des Epitranskriptoms ermöglichen. Dies sollte sowohl zu einem tieferen Verständnis dieser Regulationsebene beitragen, als auch neue Wege für Therapien eröffnen.



Referenzen

[1] Rees H.A., Liu, D.R., Base editing: precision chemistry on the genome and transcriptome of living cells. Nat. Rev. Genet. 19, 770-88

[2] Charlesworth C.T. et al., Identification of preexisting adaptive immunity to Cas9 proteins in humans. Nat. Med. 25, 249-54

[3] Deutscher Ethikrat, Eingriffe in die menschliche Keimbahn, Mai 2019.

www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-eingriffe-in-die-menschliche-keimbahn.pdf

[4] Sheridan, C., Sangamo’s landmark genome editing trial gets mixed reception. Nature Biotech. 36, 907–08

[5] Wettengel, J. et al., Harnessing human ADAR2 for RNA repair – Recoding a PINK1 mutation rescues mitophagy. Nucl. Acids Res. 45, 2797-808

[6] Katrekar D. et al., In vivo RNA targeting of point mutations via RNA-guided adenosine deaminases. Nature Methods, in press

[7] Merkle, T. et al., Precise RNA editing by recruiting endogenous ADARs with antisense oligonucleotides. Nat. Biotech. 37, 133–38

[8] Vogel, P. Stafforst T., Critical review on engineering deaminases for site-directed RNA editing. Curr. Opin. Biotech. 55, 74-80

[9] Stafforst, T., Schneider, M.F. An RNA-Deaminase Conjugate Selectively Repairs Point Mutations. Angew. Chem. Int. Ed. 51, 11166-9

[10] Vogel P. et al., Efficient and Precise Editing of Endogenous Transcripts with SNAP-tagged ADARs. Nat. Meth. 15, 535-8

[11] Sinnamon, J.R. et al. Site-directed RNA repair of endogenous Mecp2 RNA in neurons. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 114, doi. 10.1073/pnas.1715320114

[12] Shi H., et al. m6A facilitates hippocampus-dependent learning and memory through YTHDF1. Nature 563, 249-253

[13] Vu L.P., et al. The N6-methyladenosine (m6A)-forming enzyme METTL3 controls myeloid differentiation of normal hematopoietic and leukemia cells. Nat. Med. 23, 1369-76



Zum Autor

Thorsten Stafforst ist seit 2016 Professor für Nukleinsäure-Biochemie an der Universität Tübingen (Heisenberg-Professur). Mit seinen Mitarbeitern entwickelt er künstliche, auf dem natürlichen ADAR-Enzym basierende Adenin-zu-Inosin-Editasen für die Umprogrammierung von mRNA.


Letzte Änderungen: 15.07.2019