Editorial

Mit dem Rucksacklabor in den Dschungel – transportable PCR- und Sequenziergeräte revolutionieren genomische Feldstudien

Von Stefan Prost, Frankfurt


(07.07.2020) Mini-Thermocycler und Sequenziergeräte, die man in die Hosentasche stecken kann, um im Dschungel fernab von jeglicher Zivilisation Arten zu bestimmen – daran hätte auch Charles Darwin seine Freude gehabt.

Wir befinden uns in einer Zeit, in der wir die biologische Vielfalt schneller verlieren als wir sie erfassen und beschreiben können. Die Tumbes-Chocó-Magdalena-Region im westlichen Ecuador und Kolumbien oder der Amazonas sind Biodiversitäts-Hotspots, die unzählige, teils endemische Tier- und Pflanzenarten beheimaten. Obwohl internationale Bemühungen seit Jahrzehnten den Schutz dieser Lebensräume fordern, hat das Ausmaß der Abholzung in den letzten Jahren massiv zugenommen, vor allem in Ländern wie Brasilien. Offizielle Zahlen des brasilianischen Klimainstituts INPE zeigen, dass 2019 fast doppelt so viel Regenwald gerodet wurde als noch im Jahr zuvor. Zudem hat der internationale, oft illegale Handel mit Tier- und Pflanzenarten rasant zugenommen – und sich weltweit zu einem der stärksten Faktoren für den Verlust der Biodiversität entwickelt [1]. Dies wird vor allem durch den wachsenden Wohlstand in Asien, der steigenden Globalisierung sowie abgeschafften beziehungsweise geänderten Schutzbestimmungen begünstigt, wie zum Beispiel in den Vereinigten Staaten von Amerika. Dass intakte Ökosysteme wichtig sind, verdeutlicht nicht zuletzt auch die derzeit stattfindende COVID-19-Pandemie: Die Zerstörung natürlicher Lebensräume, der steigende Handel mit Wildtieren und die wachsende Globalisierung erhöhen die Wahrscheinlichkeit für Zoonosen, also Krankheitsübertragungen von Tieren auf den Menschen.

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Foto: Tropical Herping; Montage: LJ

Um dem Ganzen entgegenzuwirken und das Ausmaß des weiter voranschreitenden Verlusts der Biodiversität zu quantifizieren, versuchen Wissenschaftler weltweit, Tier- und Pflanzenarten zu beschreiben und den Status quo zu dokumentieren.

Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg war die Entwicklung des DNA-Barcodings im Jahr 2003 [2]. Unter DNA-Barcoding versteht man die Sequenzierung kurzer, standardisierter DNA-Abschnitte, die charakteristisch sind für jede Tier- und Pflanzenart. Forscher können anhand dieser Sequenzen das Lebewesen bestimmen und so tausende Arten in relativ kurzer Zeit identifizieren.

Die meisten Biodiversitäts-Hotspots befinden sich jedoch in Ländern oder Regionen, denen die finanziellen Mittel oder die nötige Laborinfrastruktur fehlen, um diese Studien durchzuführen.

In den letzten Jahrzehnten hat sich deshalb eine Art „Naturschutz-Kolonialismus“ entwickelt, bei dem großangelegte Studien vor allem von Wissenschaftlern aus dem Ausland durchgeführt werden. Diese helfen zwar bei der Charakterisierung der Biodiversität, fördern aber gleichzeitig die Ungleichheit in der Wissenschaft.

Mit günstigem, tragbarem, molekularbiologischem Laborequipment im Miniaturformat lässt sich dieses Problem lösen. Diese Minigeräte und alle benötigten Reagenzien können in einem Koffer oder Rucksack verstaut werden – fertig ist das Rucksacklabor oder englisch Lab in a Backpack. Das Rucksacklabor kostet oft unter 5.000 Euro und damit weit weniger als herkömmliche Laborgeräte. Es kann deshalb auch in Regionen mit limitierten Ressourcen oder fehlender Wissenschaftsförderung eingesetzt werden.

Rucksacklabore könnten einen wichtigen Beitrag zur Vermeidung des „Naturschutz-Kolonialismus“ leisten und zur Förderung der lokalen Wissenschaft beitragen.

Zu diesem Zweck haben wir uns 2017 zu einer Expedition in den ecuadorianischen Teil der Tumbes-Chocó-Magdalena-Region aufgemacht. Zusammen mit einheimischen Wissenschaftlern wollten wir herausfinden, ob DNA-Barcoding mit einem Rucksacklabor mitten im Dschungel möglich ist – ganz ohne zuverlässige Stromversorgung, Zugang zu Internet oder klassischen Laborbedingungen [3].

Wie funktioniert DNA-Barcoding mit dem Lab in a Backpack?

Zunächst muss die DNA aus Gewebe, Blut oder Umweltproben wie etwa Boden extrahiert werden. Dies lässt sich sehr günstig mit einfachen Methoden wie zum Beispiel dem Aussalzen bewerkstelligen. Die Zellen werden hierzu zunächst lysiert. Verunreinigungen wie zum Beispiel Proteine entfernt man anschließend durch eine hohe Salzkonzentration und Zentrifugieren. Im Dschungel benutzen wir dazu tragbare oder auch selbstgebaute handbetriebene Zentrifugen [4]. Übrig bleibt die aufgereinigte DNA. Im nächsten Schritt werden die für die Artbestimmung nötigen DNA-Barcodes mit einer PCR amplifiziert, um sie danach sequenzieren zu können.

Moderne tragbare Thermocycler werden im Feld einfach mit Batterien betrieben und per Handy programmiert und gesteuert. In unseren Tests erreichten diese Miniatur-PCR-Geräte fast die gleichen Amplifikations-Raten wie herkömmliche große Thermocycler, kosteten aber zum Teil weniger als ein Zehntel. Im nächsten Schritt werden die DNA-Barcodes der verschiedenen Individuen/Arten gepoolt und für das Sequenzieren vorbereitet. Dafür hängt man kurze DNA-Abschnitte, sogenannte Adapter, an die DNA-Barcodes. Die Adapter ermöglichen sowohl die Sequenzierung der Barcodes als auch die spätere Zuordnung der Sequenzdaten zu den einzelnen Proben. So können während eines Sequenzierlaufs mehrere tausend Proben gepoolt und prozessiert werden [5].

Die Sequenzierung führten wir mit dem MinION von Oxford Nanopore Technologies durch, der nicht viel größer ist als ein USB-Stick. Bei der MinION-Sequenzierung wird die DNA einzelsträngig durch eine in eine biologische Membran eingebettete organische Pore geschleust. Über diese Nanopore findet ein konstanter ionischer Austausch von einer Seite der Membran zur anderen statt, den Elektroden messen. Wird DNA durch eine Pore befördert, ändert dies den Ionenstrom durch die Pore. Die Änderungen hängen von der Sequenz der DNA ab und führen zu einem Muster, mit dem sich die DNA-Sequenz bestimmen lässt.

Sobald die DNA-Barcodes sequenziert sind, können sie auf einem Laptop prozessiert und durch Abgleich gegen eine Referenzdatenbank den Arten zugeordnet werden. Obwohl die Nanoporen-Sequenzierung fehleranfälliger ist als andere Methoden, lassen sich mithilfe der DNA-Barcodes akkurate Konsensus-Sequenzen rekonstruieren [4].

Seit unserer ersten Expedition hat sich viel getan. Rucksacklabore werden inzwischen in vielen Regionen der Welt verwendet, um Arten zu bestimmen oder lokale und internationale Studenten in Themen wie Naturschutzgenetik und Biodiversitätsverlust zu unterrichten [6].

Neben der molekularen Artbestimmung kann das Rucksacklabor aber auch genutzt werden, um zum Beispiel Viren oder andere Pathogene zu identifizieren. Mobile Labore wurden bereits 2015 während der Ebola-Epidemie in West-Afrika [7] oder dem Ausbruch des Zika-Fiebers in Brasilien [8] erfolgreich eingesetzt. Sie werden derzeit auch in vielen Ländern der Welt genutzt, um schnell vor Ort PCR- oder Sequenzierungs-basierte-Tests auf den COVID-19-Erreger SARS-CoV-2 durchzuführen. Allerdings bestehen diese mobilen Labore meist aus umgebauten Bussen oder LKWs, um die hygienischen Bestimmungen und Schutzmaßnahmen einhalten zu können – und nicht einfach aus einem Rucksack.

Wir befinden uns derzeit in einer weltweiten Biodiversitätskrise, die sich in den nächsten Jahren vermutlich weiter verschärfen wird. Unsere Ökosysteme zu verstehen und Biodiversität genau zu charakterisieren, wird daher immer wichtiger. Günstige, tragbare Laborgeräte ermöglichen dies auch in Regionen mit eingeschränkter Infrastruktur – trotz unzuverlässiger Stromversorgung oder limitierter Forschungsförderung. Sie revolutionieren hierdurch aber nicht nur genomische Feldstudien: Sie sind auch ein wichtiger Schritt weg von der Ungleichheit zwischen Wissenschaftlern hin zu mehr Fairness in der Wissenschaft.

Weitere Informationen über DNA-Barcoding mithilfe von Miniaturlaboren finden Sie unter [9].

Referenzen

[1] Maxwell et al., Biodiversity: The ravages of guns, nets and bulldozers. Nature News 536(7615): 143.

[2] Hebert et al., Biological identifications through DNA barcodes. Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences 270(1512): 313-21.

[3] Pomerantz et al., Real-time DNA barcoding in a rainforest using nanopore sequencing: opportunities for rapid biodiversity assessments and local capacity building. GigaScience, 7(4): giy033.

[4] Byagathvalli et al., A 3D-printed hand-powered centrifuge for molecular biology. PLoS Biol 17(5): e3000251.

[5] Srivathsan et al., Rapid, large-scale species discovery in hyperdiverse taxa using 1D MinION sequencing. BMC Biol 17: 96.

[6] Watsa et al., Portable sequencing as a teaching tool in conservation and biodiversity research. PLoS Biology 18(4): e3000667.

[7] Quick et al., Real-time, portable genome sequencing for Ebola surveillance. Nature 530(7589): 228-32.

[8] Faria et al., Mobile real-time surveillance of Zika virus in Brazil. Genome Med 8(1): 97.

[9] Krehenwinkel et al., Genetic biomonitoring and biodiversity assessment using portable sequencing technologies: current uses and future directions. Genes 10(11): 858.



Zum Autor

Stefan Prost ist Postdoc am LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik in Frankfurt am Main. Bei seinen Feldstudien in entlegenen Dschungelregionen hat er immer sein Rucksacklabor mit Mini-Thermocycler und MinION-Sequenzierer dabei. Zusammen mit lokalen Studenten nutzt er es, um mithilfe von DNA-Barcodes neue Arten zu bestimmen und Biodiversitäts-Daten zu erheben.


Letzte Änderungen: 07.07.2020