Editorial

Kaum noch Lust auf EU

Von Antonia Weberling, Cambridge


(16.07.2021) Nicht nur bei der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses während der Corona-Krise, auch bei der Budgetierung ihrer künftigen Forschungsausgaben zeigt die Europäische Union, was sie von ihren Forscherinnen und Forschern hält: Offenbar weniger, als man meinen sollte.

„Europa glaubt an Wissenschaft, und wir glauben an unsere Wissenschaftler” – mit diesen Worten beendete Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre Rede anlässlich der Feierlichkeiten zur Verleihung des zehntausendsten Grants durch den Europäischen Forschungsrat (ERC). Sie pries die harte Arbeit und die Ausdauer ihrer Forscherinnen und Forscher, die jeden Tag daransetzten, die Grenzen der Wissenschaft zu verschieben, und natürlich die Institution des ERC, durch den die EU ihren Wissenschaftlern solche Durchbrüche möglich machte.

Was ihr indes entgangen zu sein schien:

Allein in den letzten sieben Jahren sind 40 Prozent der als exzellent und damit eigentlich als förderungswürdig bewerteten Fördergeldanträge aufgrund mangelnden Geldes abgelehnt worden. Das macht allein 3.600 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ihre Ideen nicht entwickeln konnten, ganz zu schweigen von den von ihnen abhängigen Doktoranden und Postdocs. Da tatsächlich etwa 80 Prozent der ERC-Projekte in wissenschaftliche Durchbrüche münden, sind der EU knapp 2.900 davon entgangen. Wie viele davon wären später womöglich mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden? Und wie viele hätten uns in der derzeitigen Pandemie helfen können?

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Illustr.: AdobeStock / fran_kie

Themenoffene Grundlagenforschung, die ja gerade der ERC fördert, dient nicht dem Selbstzweck. Ihr Ziel ist es, das Fundament für angewandte Forschung zu bereiten. Die Herstellung nicht nur eines, sondern gleich mehrerer Impfstoffe gegen COVID-19 wäre trotz der immensen, weltweiten Kraftanstrengung aller beteiligten Forschungsgruppen vollkommen unmöglich gewesen, hätten sie sich nicht auf Jahrzehnte vorangegangener Grundlagenforschung stützen können.

Dass exzellente Grundlagenforschung für Europa essenziell ist, war schon vor der Corona-Krise bekannt: Bereits im Jahr 2002 haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten zu Prioritäten bekannt, unter anderem verpflichteten sie sich zu dem sogenannten Drei-Prozent-Ziel bis 2020: Drei Prozent des Bruttoinlandproduktes der EU sollten bis dahin in die Wissenschaftsförderung fließen. Ein ehrgeiziges Ziel, das Europa als einen der weltweit führenden Wissenschaftsstandorte festigen sollte. Doch bis heute, 19 Jahre nach der Festlegung und ein Jahr nach der selbstgesetzten Deadline dieses Ziels, fehlt ein kohärenter Plan, wie es erreicht werden soll.

Stattdessen wurde die massive Diskrepanz zwischen den allgemein anerkannten Prioritäten der EU und dem politischen Willen, diese durchzusetzen, im vergangenen Jahr offensichtlich, als es galt, das Budget für den Haushalt der nächsten sieben Jahre festzulegen: Im März 2018 schlug die Lamy-Gruppe, die von Kommissar Moedas beauftragt worden war, die Architektur des nächsten Forschungs-Rahmenprogrammes zu berechnen, ehrgeizige 160 Milliarden Euro als Budget für „Horizon Europe“ vor. Damit sollte es „Horizon 2020“ nachfolgen, über das in den letzten sieben Jahren Forschung und Innovation in Europa finanziert wurden. Die EU-Kommission warf stattdessen kurzsichtige 100 Milliarden Euro in den Ring. Im Mai 2018 reduzierte das EU-Parlament den Betrag auf immer noch nie dagewesene 120 Milliarden Euro – ein Budget, das von Wissenschaftsorganisationen in ganz Europa begrüßt wurde.

Dann begann das Kürzen.

Im Sommer 2020, mitten in der Corona-Krise, in der die gesamte Welt in Schockstarre samt einer gewissen Erwartung verharrte, dass Wissenschaft die (Er-)Lösung bringen würde, und alle Politiker die Wichtigkeit „ihrer“ Forscher beschworen, wurde das Budget plötzlich um weitere 40 Milliarden Euro gekürzt.

Die Politiker schienen sich der ungewollten Komik im Lichte der Situation nicht bewusst zu sein: Eine weltweite Pandemie fordert hunderttausende Todesopfer, die Forschung soll die Rettung bringen – also kürzen wir ihnen jetzt das Geld um ein sattes Drittel. Das war leider kein Witz und auch nicht der Plot eines Horrorfilms, sondern traurige Tatsache.

Im Juni 2020 zog die EU-Kommission mir persönlich den wirtschaftlichen Boden unter den Füßen weg. Mit einem Mal sah ich mich als Promotionsstipendiatin eines internationalen Trainingsnetzwerkes der Marie Skłodowska-Curie Actions (MSCA) gezwungen, mich politisch zu engagieren: Der Lockdown führte zur Schließung der Labore und die damit verbundene Verringerung der Kapazitäten in den Tierhäusern machte es unausweichlich, dass wir unsere Mauslinien töten mussten. Meine Forschungskameraden und ich waren in Tränen aufgelöst. Wir machen keine Tierversuche aus Spaß, jeder Mausversuch wird sorgfältig geplant und dokumentiert. Von der Mauslinie, auf die meine Promotion aufbaut, blieb nur ein Deckmäuserich übrig, um die Linie nach Ende des Lockdowns wieder hochzuzüchten, was letztlich bis Anfang dieses Jahres dauerte.

Doch eine Stipendienverlängerung sah die EU-Kommission nicht vor. Stattdessen boten uns die Verantwortlichen eine unbezahlte, sechsmonatige Verlängerung oder unbezahlten Urlaub während des Lockdowns an. Wie und wovon wir während dieser beiden Phasen unseren Lebensunterhalt bestreiten sollten, interessierte die Kommission nicht mehr. Finanziell unterstützte sie nur ausgewählte Stipendiaten, von denen sie sich direkte Beiträge zur Lösung der Pandemie erhoffte, und berief sich ansonsten darauf, dass sie niemanden bezahlt verlängern könnte, da sie alle gleich zu behandeln habe. Wir standen vor dem Nichts, während nationale Stipendien verlängert und den einfachen Studenten die Pandemie-Semester nicht angerechnet wurden.

Aus einem entsprechenden Brandbrief an Ursula von der Leyen entwickelte sich schließlich eine internationale Kampagne, die ich mit Unterstützung mehrerer EU-Abgeordneter zusammen mit einer MSCA PostDoc Fellow der KU Leuven, Dr. Nathalie Conrad, organisiere. Zeitgleich liefen die Trilog-Verhandlungen zwischen der Europäischen Kommission, dem Rat der Europäischen Union und dem Europäischen Parlament über Horizon Europe.

Die Budget-Kürzungen waren damit natürlich Gesprächsthema Nummer eins zwischen allen jungen Forschern, die überlegten: Wohin mit der nächsten Fellowship – oder wohin, um den ersten PI-Grant einzuwerben? Die meisten sagten, dass sie in dieser Situation nicht in Europa bleiben würden – vor allem wenn Joe Biden die US-Wahl gewönne, da dann die Förderung in den USA wieder massiv zunehmen würde. China und andere Länder wie Singapur oder Japan steckten ohnehin mehr Geld in Forschung.

Als ich das nächste Mal mit dem Mitarbeiter eines der EU-Abgeordneten, mit dem ich mich im Laufe der Zeit gut angefreundet hatte, wegen der Stipendienverlängerungs-Initiative telefonierte, kam das Gespräch auf die Trilog-Verhandlungen. Ich fragte, ob den Mitgliedern des Parlaments eigentlich bewusst sei, dass sie mit den Budget-Kürzungen ein massives Ausbluten der Forschungslandschaft verursachen würden, da alle Forscher, die ich kenne, sich überlegen würden, aus Europa abzuwandern. Seine Antwort war: Kannst Du mir das schriftlich besorgen?

In der Zwischenzeit hatten alle großen Forschungsorganisationen bereits eingehend gegen die Kürzungen protestiert, sie hatten die Fakten dargelegt, sie hatten die Zahlen genannt, doch weder die Kommission noch das Parlament noch der Rat stellten sich offensiv und von höchster Stelle auf die Seite der Forscher. Obwohl sie deren Wert natürlich mehr denn je priesen.

Wieso also nicht den Politikern und Beamten der Kommission klarmachen, dass hinter diesen Zahlen Menschen stehen? Nathalie und ich begannen also, Forscherinnen und Forscher anzuschreiben und sie zu bitten, für uns ein Statement darüber zu verfassen, wie diese Budget-Kürzungen ihre Forschungsarbeit beeinflussen würden. Zuerst sollten es zehn werden – Doktoranden und Postdocs, vielleicht auch der ein oder andere Professor schwebten uns vor. Doch dann wurde uns klar, dass das nicht reichen würde. „No-Names“ würden bei der EU-Kommission und dem Europäischen Rat keinen Eindruck machen. Wir beschlossen daher, alles zu wagen: Wir schrieben Nobelpreisträger an.

Dutzende E-Mails später hatten wir den ersten, dann zwei – und schließlich traten Nathalie und ich mit den persönlichen Statements von knapp sechzig Forscherinnen und Forschern an die EU-Kommission und die Regierungschefs aller Mitgliedsstaaten heran – von der einfachen Doktorandin bis zum etablierten Professor, einschließlich sechs Nobelpreisträgern und einer Nobelpreisträgerin. Alle malten eindringlich aus, was geschehen würde, wenn die EU ihre Forschungsgemeinde aufgäbe.

Diesem Appell schlossen sich in einem offenen Brief 49 Europaabgeordnete aus allen Fraktionen außer den Rechtsextremen an. Die Abgeordneten schrieben überdies auch persönlich an Angela Merkel, um sie angesichts der damaligen deutschen Ratspräsidentschaft um Unterstützung im Europäischen Rat zu bitten. Denn um auf die Trilog-Verhandlungen Einfluss zu nehmen, mussten wir die Regierungschefs oder die Kommission überzeugen. Zeitgleich schalteten wir eine Webseite frei, die es Forscherinnen und Forschern sowie Europaabgeordneten erlaubte, uns ihre Unterstützung auszudrücken: www.rescue-horizon-europe.org/.

Über hundert Abgeordnete aus fast allen Mitgliedsstaaten unterstützen die Initiative „RescueHorizonEurope“. 2.500 Forscherinnen und Forscher haben sich in dieser noch nie dagewesenen Graswurzelbewegung zusammengeschlossen, darunter acht Nobelpreisträger und eine Nobelpreisträgerin. Dutzende Universitäten, darunter renommierte Institutionen wie das Karolinska-Institut, die ETH Zürich, die TU München, die TU Delft, die Universität Leiden, die KU Leuven, die Universität Wien, die Karls-Universität Prag und die Pariser Sorbonne-Universität, haben uns bereits ihre Unterstützung ausgesprochen – dazu Universitätsnetzwerke und wissenschaftliche Dachverbände, die über 800 Universitäten zusammenfassen.

Doch weder von Angela Merkel noch von der Kommission kam je eine Antwort. Kommission, Rat und Parlament beschlossen, die Initiative zu ignorieren. Dabei sind wir nicht gekommen, um zu protestieren. Wir werden uns nicht streikend vor das EU-Parlament stellen – dazu fehlt uns die Zeit. Proteste ändern die Weltprobleme nicht. Wissenschaftler haben die Möglichkeit, die derzeitigen und zukünftigen Krisen anzugehen und wissenschaftliche Lösungen bereitzustellen. Wird der Forschung aber das Geld gestrichen, ist dies nicht mehr möglich.

Die Trilog-Verhandlungen wurden abgeschlossen, ohne dass die Forscher zu Wort kamen. Das Budget für Horizon Europe wurde auf 95 Milliarden Euro festgelegt – was mehr ist, als zunächst zurechtgekürzt, allerdings doch viel weniger als benötigt. Zumal die Politiker beschlossen, das Geld ungleich zu verteilen: Statt Grundlagenforschung – also freie, ergebnisoffene und damit zu wissenschaftlichen Durchbrüchen und unvorhergesehenen Erkenntnissen führende Forschung – und die angewandte Forschung gleich zu dotieren, fließen 69 Prozent des Budgets in die ergebnisorientierte Forschung, während nur 27 Prozent auf die Säule „Exzellenz“ fallen, zu der die Förderung der Grundlagenforschung gehört. Die übrigen vier Prozent sollen den Wissenschaftsstandort Europa stärken und dazu unterrepräsentierte Mitgliedsstaaten aufwerten.

Das ist historisch wenig: Im Vorgängerprogramm Horizon 2020 lag der Anteil der „Exzellenz“-Säule I am Gesamtbudget noch bei 32 Prozent.

Damit betreibt die EU Raubbau an den Fundamenten der ergebnisorientierten Forschung – eine solche kann nur ab einer gewissen kritischen Datenmenge stattfinden. Diese Datensätze, die ersten Ergebnisse, die in die richtige Richtung deuten, werden von der Grundlagenforschung bereitgestellt. Gräbt man nun Letzterer das Wasser ab, sitzt man irgendwann auf dem Trockenen, weil einem die neuen Ansätze ausgehen, die eben nicht planbar sind, sondern allzu häufig auf unerwarteten Ergebnissen beruhen, die einem Projekt eine vollkommen neue Richtung geben.

Wir versuchten, mit der Kommission ins Gespräch zu kommen, um gemeinsam nach einer Lösung zu suchen, doch leider maß man uns – obgleich unterstützt von Forscherinnen und Forschern sowie Universitäten und Wissenschaftsverbänden aus ganz Europa und zudem noch von einem Siebtel des EU-Parlaments – nicht genug Bedeutung bei, um mit uns zu sprechen.

Im Dezember kam dann auf einmal die Anfrage, ob ich am nächsten Tag für ein Telefongespräch mit einem sehr hochrangigen Beamten der EU-Kommission bereitstünde. Am nächsten Tag wurde das Gespräch zunächst um eine Stunde verschoben und dann für ein nachfolgendes Zeitfenster von einer Stunde angekündigt. Eine Stunde, nachdem dieses verstrichen war, wurde mir per E-Mail mitgeteilt, dass leider etwas dazwischen gekommen sei, was Vorrang habe. Ein weiteres Gesprächsangebot kam auf mein Drängen erst Anfang Februar.

Zu diesem Zeitpunkt war mein Stipendium bereits ausgelaufen und der einzige Grund, warum ich meine Promotion und mein Projekt, für das bereits etliche Tiere geopfert worden waren, nicht ohne abschließende Ergebnisse hatte abbrechen müssen, bestand in der Förderung einer Privatstiftung, die das Verhalten der EU-Kommission nicht fassen konnte und mich deshalb fördert.

Auf das erste Gespräch mit dem besagten Beamten sollte ein weiteres innerhalb einer Woche folgen – nicht nur, um mögliche Lösungen für die Marie-Curie-Stipendiaten zu diskutieren, sondern auch, um im Detail zu besprechen, wie wir Europa als Exzellenzstandort erhalten und ausbauen könnten. Da das Budget von Horizon Europe bereits beschlossen und verteilt war, hatten Nathalie und ich die Idee, eine Pflichtquote beim Ausgeben des Rettungsfonds, die Fachleute nennen ihn Next-Generation-EU (NGEU), einzuführen. Wir warben dafür, dass die EU-Kommission die Anträge der einzelnen Mitgliedsstaaten auf Gelder aus dem NGEU nur dann absegnet, wenn fünf Prozent davon für Forschungsförderung ausgegeben werden – zum Beispiel für den Bau neuer Forschungsinstitute, die exzellente Forschung in bisher unterrepräsentierte Mitgliedsstaaten bringen sollte.

Bis heute warte ich auf dieses Gespräch.

In der Zwischenzeit wurde die „Konferenz zur Zukunft Europas“ eröffnet, die sich Bürgernähe und -mitbestimmung zum Ziel gemacht hat: Den europäischen Bürgerinnen und Bürgern soll hier die Möglichkeit gegeben werden, gehört zu werden, mitzudiskutieren und ihre Ideen einzubringen. Bemerkenswerterweise interessieren die profunden Vorschläge von 2.500 Bürgerinnen und Bürgern der EU die Kommission offenbar bis heute nicht. Auch die Gelder des Rettungsfonds sind mittlerweile verteilt – und die Marie-Curie-Stipendiaten sitzen an Supermarktkassen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, anstatt ihre exzellente Forschung abzuschließen, für die sie in einem hochkompetitiven Verfahren ausgewählt und gefördert wurden.

Dabei würde exzellente Forschung so dringend gebraucht: Die Welt taumelt von der Corona-Krise in die vielen Gesichter der Klimakrise; Krebs ist nicht besiegt; nur dreißig Prozent aller Schwangeren gebären Kinder; Herz-Kreislauf-Krankheiten gehören zur führenden Todesursache weltweit, ohne dass die passenden Medikamente bisher ansatzweise ausreichend erforscht wären; im Jahr 2019 starben 1,4 Millionen Menschen an Tuberkulose;...

Die erste ERC-Grant-Ausschreibung dieses Jahr hatte die erschreckend niedrige Erfolgsquote von acht Prozent. Bei vielen Forscherinnen und Forschern wirft das die Frage auf, ob man sich überhaupt innerhalb der EU ins Rennen um Fördermittel begeben sollte – oder ob man stattdessen lieber direkt in ein Land gehen sollte, das der Wissenschaft nicht nur auf dem Papier die angemessene Bedeutung zumisst, sondern ihr auch die entsprechenden Ressourcen bereitstellt, um in der nächsten Krise ebenfalls Lösungen zu finden.

Forschungsförderung in Europa darf nicht nur Thema von Sonntagsreden sein. Die europäischen Politiker und ihr Beamtenapparat müssen begreifen, dass mit der bisherigen Finanzausstattung die von ihnen gesetzten Ziele nicht erreichbar sind. Ohne massive Investitionen wird Europa seine wertvollste Ressource verlieren: das Potenzial seiner Forscher, die Welt neu zu denken. Diese Investitionen müssten zum einen wissenschaftliche Exzellenz in jeden einzelnen Mitgliedsstaat tragen, indem dort die Infrastrukturen für Spitzenforschung geschaffen werden – zum anderen müssten die Gelder rein aufgrund von wissenschaftlichem Können und nicht von politischen Animositäten vergeben werden. Die besten Wissenschaftler müssen gefördert werden, nicht diejenigen mit den wichtigsten Freunden.

Die bisherigen Anstrengungen zur Verbreitung von Exzellenz, in die auch mit diesem Budget sehr viel Geld fließt, haben bisher keine Früchte getragen. Die Gründe dafür müssen analysiert und ein neuer ordentlicher Plan formuliert werden. In diese Analysen sollten nicht nur Politiker und Bürokraten eingebunden werden, sondern auch die Forscherinnen und Forscher selbst. Denn diese können am besten erklären, was nicht funktioniert. Und sie sind in ihren Aussagen nicht darauf bedacht, Wähler für die nächste Wahl zu gewinnen.

Europa hat ein riesiges ungenutztes Potenzial. Unsere Politiker haben die Wahl: Entweder sie beginnen, es auszuschöpfen, oder wir werden zu Zuschauern der Abwanderung unserer besten Köpfe, weil deren Forschung nicht mehr gewürdigt wird. Wir laufen Gefahr, dass Europa durch das Verschulden von EU-Kommission und -Rat in die wissenschaftliche Kreisklasse absteigt.

Wir brauchen eine Task Force, die nach 19 Jahren Zielformulierung endlich einen Plan ausarbeitet, wie das Drei-Prozent-Ziel tatsächlich erreicht werden soll. Diese Task-Force sollte nicht nur mit Politikern bestückt werden, sondern auch mit Forscherinnen und Forschern. Damit endlich Bewegung in die Sache kommt, Projektplanung ist in der Forschung normalerweise der erste Schritt. Dieser Plan muss von den Mitgliedsstaaten als verbindlich vereinbart werden.

Wir könnten auf dem Sprung in großartige Jahrzehnte voller wissenschaftlicher Durchbrüche sein, wenn die EU sich politisch dafür entscheiden würde. Europa verfügt über die Kapazitäten – wir brauchen nur die Freiheit, sie zu entwickeln. Die Wissenschaft ist der einzig wirkliche Bodenschatz, den Europa hat. Es sollte ihn heben.



Zur Autorin

Antonia Weberling ist Biochemikerin und promoviert als Marie-Skłodowska-Curie-Stipendiatin des europäischen Trainingsnetzwerks „Image-In-Life“, welches aus dem EU-Forschungsprogramm Horizon 2020 finanziert wird, an der University of Cambridge. Konkret geht es in ihrem Projekt um die Steuerung der Einnistung des Mausembryos in die Gebärmutter.