In Co-Autorschaft mit einem Belästiger?

Von Hjördis Czesnick, Berlin, und Klaus Ferdinand Gärditz, Bonn


Editorial

(14.07.2023) Welche Folgen hat sexuelle Belästigung für gemeinsame Publikationen? Gar nicht selten gerät man dabei in eine vertrackte Zwickmühle zwischen notwendigem Opferschutz und Verantwortung für wissenschaftliche Redlichkeit.

Neulich fand sich in Science der Bericht über eine amerikanische Publikationskontroverse, der aufhorchen lässt („Authorship listing for a harasser roils astronomy“, Science 380: 680-681, 2023): Einem Astronomen, der früher an der University of California (Berkeley) lehrte, waren einige Jahre zuvor sexuelle Belästigungen von Studentinnen vorgeworfen worden. Im Zuge der Untersuchung gab er seine Professur auf. Als er als Mitautor (unter 16 Autorinnen und Autoren) eines Preprint-Papers auftauchte, das auf der Grundlage von Forschungsdaten veröffentlicht werden sollte, die das Team gemeinsam im Rahmen eines vom diskreditierten Professor geleiteten Forschungsprojekts erhoben hatte, schlugen Wogen des Protests hoch. Der Betroffene zog daher seine Mitautorschaft zurück, obwohl er maßgeblich an der Forschung mitgewirkt hatte. Eine gemeinsame Veröffentlichung – so die Begründung der Co-Autorinnen und -Autoren – könne insofern fehlverstanden werden, dass man sexuelle Belästigung dulde.

Auch in Deutschland gibt es Fälle, in denen Hochschullehrende wegen Belästigungen oder Übergriffen dienstrechtlich suspendiert wurden. So kommt es vor, dass diese nach der Suspendierung – etwa aus Trotz oder Vergeltungsbedürfnis – die Zustimmung zu Publikationen verweigern, an deren Entstehung sie maßgeblich beteiligt waren. Für Mitarbeitende, Promovierende oder Postdocs kann ein Publikationsabbruch zu gravierenden Einschnitten in der Karriere führen, wenn Forschungsarbeiten nicht oder nicht rechtzeitig publiziert werden. Schlimmstenfalls werden Opfer von Belästigungen erneut geschädigt.

Symbolbild: Mann wird aus Gruppe aussortiert
Illustrationen: Tim Teebken - Bearbeitung Ulrich Sillmann

Editorial

Es kommt also zum einen vor, dass Betroffene mutmaßlicher Übergriffe oder Mitarbeitende, die um ihre Reputation aufgrund der Assoziierung fürchten, ohne einen Belästiger publizieren möchten, weil ihnen die Mitautorschaft unangenehm ist oder sie diese schlimmstenfalls als psychische Gewalt erleben. Zum anderen kann es umgekehrt sein, dass auf Vorwürfe mit einer willkürlichen Blockade von Publikationen reagiert wird, obwohl unmittelbare Opfer oder sonstige Beteiligte aber (notfalls eben auch mit dem mutmaßlichen Täter beziehungsweise der Täterin) publizieren möchten.

Für Hochschulen und Forschungseinrichtungen, nicht zuletzt für angerufene Ombudspersonen, die für Verdachtsfälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens zuständig sind, führt dies in ein Dilemma zwischen notwendigem Opferschutz und Verantwortung für wissenschaftliche Redlichkeit:

Erwiesenes Fehlverhalten (zum Beispiel sexuelle Belästigung, Diskriminierung oder Mobbing) beseitigt nicht die Mitautorschaft an gemeinsam erhobenen Forschungsdaten oder die konzeptionellen Leistungen für ein gemeinsames Forschungsprojekt. Das Autorenteam im kalifornischen Fall argumentierte hingegen, dass das massive Fehlverhalten des Professors schwerer wiegen würde als dessen wissenschaftliche Leistung, was ihn als Co-Autor disqualifiziere. Es wurde zudem gefordert, dass in Autorschaftsleitlinien eine Klausel aufgenommen werden solle, die es ermöglicht, Personen auszuschließen, die gegen einen Verhaltenskodex verstoßen.

Ein großes inneres Störgefühl gegenüber einer gemeinsamen Publikation mit einem Belästiger ist selbstverständlich nachvollziehbar. Wissenschaftliche Autorschaft ist jedoch keine moralische Auszeichnung, sondern ein Ausweis epistemischer Leistungen, die nicht verloren gehen, weil sich jemand anderweitig pflichtwidrig verhalten hat. Das gilt selbst in drastischen Fällen. Man denke etwa an den wegen sexuellen Missbrauchs verurteilten Nobelpreisträger Daniel Carleton Gajdusek. Daher kann man Autoren oder Autorinnen, deren wissenschaftliche Leistungen redlich erbracht wurden, nicht einfach aus der Autorenliste einer Veröffentlichung streichen. Ein solches Vorgehen würde im Umkehrschluss zudem bedeuten, dass sich der Rest des Teams Leistungen zuschreibt, die er als solche nicht allein erbracht hat. Zugespitzt: Wenn jemand gemeinsam mit einer Kollegin eine nobelpreisverdächtige Theorie entwickelt, und diese später ein Opfer von dessen Belästigung wird, macht das die Kollegin dennoch nicht zur wissenschaftlichen Alleinautorin der Theorie. Möglicherweise lässt sich ein Konflikt dadurch entschärfen, dass man Eigenanteile der einzelnen Personen an einem Forschungsprojekt wieder auseinanderdividiert und separat veröffentlicht. Das wird jedoch bei Großprojekten im Rahmen einer Laborinfrastruktur oftmals nicht möglich sein.

Symbolbild: Trauriges Mädchen mit Kurzhaarfrisur

Reziprok bildet die Mitautorschaft auch die gemeinsame Verantwortung für die Richtigkeit und Redlichkeit der Daten oder Forschungsergebnisse ab, die einer Publikation zugrunde liegen. Würde eine einzelne Person, die eine Mitverantwortung trägt, aus der Mitautorschaft entlassen, bleibt die Verantwortungsdeckung unvollständig. Zwar könnte das verbleibende Autorenteam angeben, es würde die wissenschaftliche Verantwortung für die Beiträge der „gestrichenen“ Person übernehmen. Ein solches Vorgehen führt aber spätestens dann zu Problemen bei der Zuordnung, wenn die Forschungsgrundlagen fehlerbehaftet sind, wenn zum Beispiel Daten manipuliert oder Textelemente plagiiert wurden. Beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern muss ihr Beitrag in Publikationen daher korrekt zugeschrieben werden.

Dass es höchst unangenehm sein kann, mit einer Person gemeinsam als Autorin oder Autor in Erscheinung zu treten, die öffentlich diskreditiert ist, wird jeder verstehen. An der kalten Rationalität wissenschaftlicher Autorschaft ändert das aber nichts. Regeln guter wissenschaftlicher Praxis (GWP) dienen nicht dazu, außerwissenschaftliche Verhaltensstandards des Rechts oder der Ethik durchzusetzen, sie sichern allein die Integrität des wissenschaftlichen Diskurses. Einen einmal akzeptierten oder aufgrund des Gewichts des wissenschaftlichen Eigenanteils zwingend zu akzeptierenden Mitautor insbesondere ohne dessen Einverständnis zu streichen, wäre daher wissenschaftliches Fehlverhalten (Anmaßung von fremder Autorschaft), zu dessen Sanktionierung nach Vorbild von Leitlinie 14 des DFG-Kodex „Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ die GWP-Ordnungen verpflichten.

Auch ein freiwilliger Rückzug wie in dem berichteten Fall des Astronomen, dessen Beiträge wohl zweifelsohne eine Autorschaft rechtfertigen, würde daher gegen GWP-Standards verstoßen. Wissenschaftliche Autorschaft ist nicht disponibel wie ein Urheberrecht oder verleihbar wie ein Wissenschaftspreis oder Ehrentitel, sondern beruht auf einer hinreichend objektivierten Zuordnung von erbrachten Forschungsleistungen. So sind auch Ghostwriting oder der Missbrauch von Mitarbeitenden, sich Texte „schreiben zu lassen“, unbestritten wissenschaftliches Fehlverhalten: Die wahren Urheber eines wissenschaftlichen Beitrags müssen stets als Autorin oder Autor erscheinen. Eine Autorschaft ist weder handelbar noch verzichtbar. Kann man sich hierauf nicht (mehr) verständigen, ist eine Publikation eben nicht möglich. Das passiert auch sonst bei Zerwürfnissen gelegentlich.

Die Grenzen zwischen Mitautorschaft und bloßer Unterstützung sind freilich fließend. Es gibt eine Bandbreite des Vertretbaren, niederschwellige Mitwirkung noch nicht als Forschungsbeitrag zu bewerten. Etwa die bloße Verantwortung für die genutzte Infrastruktur oder einzelne Datenerhebungen, die lange zurückliegen und für die Ergebnisse, die der Publikation zugrunde liegen, nicht mehr prägend sind, mögen vertretbar als nicht autorschaftsbegründend bewertet werden. Dann kann man Ergebnisse ohne die Mitwirkung einer belasteten Person veröffentlichen. Die Konfliktverantwortlichkeit führt insoweit lediglich dazu, dass man dem Konfliktverursacher das Recht entzieht, gleichberechtigt über die Frage seiner Mitautorschaft zu entscheiden, was zum Beispiel aus einer Leitungsfunktion gegebenenfalls möglich gewesen wäre.

Die Herabstufung des Forschungsbeitrags erfolgt dann allerdings auf eigenes Risiko der Publizierenden. Wenn der Betroffene – wie in dem Fall des Astronomen – freiwillig akzeptiert, dass seine Mitwirkung keine hinreichend gewichtige Forschungsleistung darstellt (und sich gegebenenfalls mit einer Danksagung oder Erwähnung zufriedengibt), wird man diese Selbsteinstufung grundsätzlich akzeptieren können, solange nicht erwiesen ist, dass sie aus taktischen Gründen erfolgt ist, aber inhaltlich unvertretbar die reale Arbeitsteilung verzerrt.

Auch rechtlich wäre es nicht zulässig, wissenschaftliche Autorschaft aufgrund von nicht-wissenschaftlichem Fehlverhalten in Geiselhaft zu nehmen. Das Bundesverwaltungsgericht hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem ein Ingenieur für Werkstofftechnik wegen sexueller Nötigung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden war, dies aber bei seinem Antrag auf Promotionszulassung verschwieg. Seine Universität nahm dies zum Anlass, ihm den später erlangten Doktorgrad wegen Täuschung zu entziehen. Das Gericht hat dieses Vorgehen überzeugend als rechtswidrig beanstandet und den Bescheid aufgehoben, weil er insoweit mit dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz) unvereinbar war: „Die Universitäten sind generell nicht zur Abgabe und Durchsetzung von Werturteilen berufen, die außerhalb der Wissenschaft angesiedelt sind.“ Gesetzliche Ermächtigungen zur Entziehung eines Doktorgrades dürften nur „bei wissenschaftsbezogenen Verfehlungen“ in Anspruch genommen werden (Urt. v. 30.09.2015 – 6 C 45/14, BVerwGE 153, 79). Entsprechendes hatte das Gericht für den in einigen Hochschulgesetzen und nicht wenigen Promotionsordnungen vorgesehenen Entziehungstatbestand der nachträglichen „Unwürdigkeit“ festgestellt (Urt. v. 31.07.2013 – 6 C 9.12, BVerwGE 147, 292). Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsprechungslinie übernommen (Beschl. v. 03.09.2014 – 1 BvR 3353/13, NVwZ 2014, 1571).

Die Rechtsprechung ist inhaltlich nicht auf das Promotionsrecht beschränkt, sondern wird auf die Wissenschaftsfreiheit gestützt, die die möglichen Reaktionen von Hochschulen und Forschungseinrichtungen auf Fehlverhalten beschränkt. Zwar sind Co-Autorinnen und Co-Autoren nicht unmittelbar an das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit gebunden. Allerdings sind Forschende den in Hochschulgesetzen, Satzungen und dienstlichen Leitlinien niedergelegten GWP-Standards verpflichtet. Diese enthalten gerade auch Regeln im Umgang einzelner Forschender untereinander. Staatliche Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind kraft ihrer Grundrechtsbindung (Art. 1 Abs. 3 Grundgesetz) verpflichtet, die Wissenschaftsfreiheit zu achten. Das schlägt sich dann in der Auslegung und Anwendung des Wissenschaftsrechts nieder, auch soweit dieses das faire Verhältnis privater Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untereinander regelt. Im Ergebnis müssen also Forschende die Wissenschaftsfreiheit anderer Forschender respektieren, was es einschließt, deren wissenschaftliche Autorschaft nicht zu verletzen. Hierzu gehört es wiederum verallgemeinernd, dass wissenschaftliche Nachteile (wie ein Autorschaftsentzug) nur mit wissenschaftsimmanenten Gründen gerechtfertigt werden können, nicht aber mit Fehlverhalten, das die wissenschaftliche Leistung als solche nicht in Frage stellt.

Neben dem Beisteuern eines wissenschaftlich-inhaltlichen – wie es in Leitlinie 14 (Autorschaft) des DFG-Kodex heißt: genuinen – Beitrags zu einem Manuskript sollen Co-Autorinnen und Co-Autoren auch am Verfassen des Entwurfs mitgewirkt, diesen kritisch gegengelesen und ihm letztlich auch zugestimmt haben. Mit der Bestätigung ihrer Co-Autorschaft gegenüber dem Verlag stimmen sie zu, die Verantwortung für die Inhalte zu übernehmen. Der Hebel der Zustimmung wird bei Konflikten mitunter instrumentalisiert, um sachfremde Interessen durchzusetzen. Werden vordergründig Fachgründe ins Feld geführt, müssen diese auch für die weiteren Co-Autorinnen und Co-Autoren bei objektiver Betrachtung nachvollziehbar dargelegt werden. Die Obstruktion einer Publikation ohne fachliche Einwände stellt gemäß DFG-Kodex ein wissenschaftliches Fehlverhalten dar. Dies gilt auch, wenn Personen im Zuge einer Untersuchung von Belästigungsvorfällen vom Dienst befreit werden und sich im Anschluss weigern, ihr Einverständnis für ausstehende Publikationen zu geben. Da es sich bei Tätern sexueller Übergriffe in der Wissenschaft überwiegend um Personen in Leitungspositionen handelt („Sexual Harassment of Women“, National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine, 2018), haben diese oft die Projektleitung inne und sind als Letzt- und korrespondierende Autoren vorgesehen, deren Zustimmung unverzichtbar ist.

Aber wie kann man entsprechende Kooperationsbereitschaft durchsetzen? Dass man nach der Suspendierung nun ja nicht mehr weiterarbeiten könne, stellt weder einen Fach- noch einen Sachgrund dar, zumal niemand gehindert werden kann, als Privatperson Wissenschaft zu betreiben. Das nachträgliche Ausnutzen einer (prominenten) Autorschaftsposition, um die Einreichung von Manuskripten zu verhindern, ist zweifelsohne ein GWP-Verstoß. Natürlich gibt es dafür die üblichen Ombuds- und sich anschließende Untersuchungsverfahren, die Fehlverhalten feststellen können – die sind hier aber zu schwerfällig. Praktisch bietet sich ein anderes Verstärkungsmittel an: Wissenschaftliches Fehlverhalten von Personal an Hochschulen oder Forschungseinrichtungen ist zugleich ein Dienstvergehen, das beamten- oder arbeitsrechtliche Konsequenzen haben kann. Das Bundesverwaltungsgericht hat sogar eine objektive Schutzverantwortung für eine redliche Wissenschaft aus der Wissenschaftsfreiheit abgeleitet und hieraus den zutreffenden Schluss gezogen, dass eine grundsätzliche Verpflichtung besteht, Fehlverhalten zu sanktionieren (Urt. v. 21.06.2017 – 6 C 3/16, BVerwGE 159, 148). Für die Dosierung der konkreten Sanktion kommt es entscheidend darauf an, wie man mit der aufgedeckten Verfehlung umgeht. Etwa Unrechtseinsicht, Bemühungen um Schadensbegrenzung oder Kooperationsbereitschaft wirken sich in der Regel mildernd aus, eine Vertiefung von Schäden – nicht zuletzt auf Kosten abhängiger Beschäftigter – wäre im Rahmen des immer einheitlich betrachteten Dienstvergehens ein Grund, im Sanktionenkanon höher zu greifen. Ungeachtet der Wahrung von Verteidigungsrechten ist dies ein gewichtiges Instrument, Kooperationsbereitschaft zu fördern.

Letztlich lassen sich Konflikte während des Publikationsprozesses nur dadurch entschärfen, dass man jeden Fall einzeln in seinen Kontexten betrachtet und mit Empathie für die (mutmaßlichen) Opfer, lösungsorientiertem Pragmatismus und aktiver Kommunikation angeht, die die konkreten Interessen sowie Vulnerabilitäten ermittelt. Im Bereich des wissenschaftlichen Fehlverhaltens hat eine Studie in der Tat gezeigt, dass sich Retractions von Artikeln in den Folgejahren negativ auf die Zitationszahlen aller Autorinnen und Autoren auswirken („Stigma durch Assoziierung“), unabhängig davon, ob sie den Fehler im Artikel verursacht haben („Guilt by Association: How Scientific Misconduct Harms Prior Collaborators“, ZEW Discussion Paper No. 17-051). Für nicht-wissenschaftliches Fehlverhalten ist Vergleichbares aber bislang (unseres Wissens) nicht belegt, wohl auch, weil die Qualität der Artikelinhalte nicht betroffen ist und keine Retraction oder anderweitige „Markierung“ der Artikel erfolgt.

Man wird den Opfern von Übergriffen – ohne Verletzung von Regel 14 des DFG-Kodex – unter Umständen ein Recht zugestehen müssen, ein Veto gegen eine gemeinsame Publikation einzulegen, wenn der Zwang, mit dem Peiniger gemeinsam zu publizieren, das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzen würde. Hier kommt es aber entscheidend auf die Schwere des Übergriffs an, zumal ein Veto unter Umständen auch andere – unschuldige – Mitautorinnen und Mitautoren in einem Team schädigt und Karrierechancen beeinträchtigt. Da wird es einen Unterschied machen, ob es um sexistische Kommentare oder um Nötigung zum Beischlaf geht. Abhängig von den Folgen für Dritte und der Qualität der Rechtsverletzung wird man die Zumutbarkeitsschwelle hier unterschiedlich tarieren müssen. Versucht werden kann zudem, die Kommunikation zwischen den Konfliktbeteiligten über eine Mittelsperson herzustellen. So könnten zum Beispiel die zuständige Ombudsperson oder jemand aus dem Autorenkreis die verbleibenden Klärungen koordinieren, sodass den Betroffenen zumindest der direkte Kontakt erspart bleibt.

Die vorliegenden Erwägungen beziehen sich allein auf gemeinsame Publikationsprojekte, die ex ante gestartet sind – also bevor die Co-Autorinnen und Co-Autoren von den Taten wussten oder gar betroffen waren. Im Hinblick auf zukünftige Projekte obliegt es den Forschenden, selbst zu entscheiden, ob sie Kooperationen beenden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten daher nicht aufgrund von Abhängigkeiten in die Position versetzt werden, weiterhin mit einem Täter oder einer Täterin zusammenarbeiten zu müssen. Sind weitere Kooperationsprojekte und Manuskripte geplant, so sollte die Einbindung dieser Person mit allen Beteiligten abgestimmt werden. In jedem Fall ist ein sensibles und differenziertes Vorgehen nötig. Die jeweiligen Zumutbarkeitsgrenzen müssen tastend, kontextbezogen und rücksichtsvoll ausgelotet werden.

Zweifelsohne handelt es sich bei Belästigungen im Wissenschafts- und Hochschulumfeld um ein systemisches Problem, das nicht allein auf der Ebene der GWP gelöst werden kann, sondern auch die vielfältigen strukturellen Probleme im Gesamtkontext in den Blick nehmen muss. Wichtig ist in jedem Fall, für die Vielschichtigkeit des Themas verstärkte Aufmerksamkeit zu schaffen.



Potraitfotos Hjördis Czesnick und Klaus Ferdinand Gärditz
Fotos: Ombudsman DFG (l.), J. Liebers (r.)

Zu den Personen

Hjördis Czesnick (l.) leitet die Geschäftsstelle des Ombudsmans für die Wissenschaft der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Berlin.

Klaus Ferdinand Gärditz (r.) ist Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bonn