Editorial

Autoren-Geschacher

Aus dem Tagebuch einer Jungforscherin

Karin Bodewits


Jungforscherin

„Aber... aber... Kim hat mir alles gezeigt...”, stottere ich.

„Nein! Kims Name wird nicht drauf stehen!“ Bill zeigt auf das Manuskript.

„Aber... äh... aber“ Kim wird mich umbringen! Hoffentlich schnell und schmerzfrei. Wenn ich Pech habe, wird sie mich mit ihren Riesenvorräten an Endotoxin vergiften.

„N.E.I.N.“ Er buchstabiert sein abschließendes Urteil, während er mich mit festem Blick fixiert.

Soll ich dennoch einen letzten, verzweifelten Versuch wagen? Ich will unbedingt, dass Kims Name auf dem Paper steht. Ich brauche den Glauben an Gerechtigkeit in der akademischen Welt. Und dazu gehört, dass am Ende die richtigen Leute die Lorbeeren für ihre Arbeit einstreichen...

Bevor ich etwas sagen kann, beendet er das Gespräch: „Schick’ mir die genaue Beschreibung der Materialien und Methoden. Bis heute Abend.“

Zu Befehl, Sir! „Welches Format?“ Meine Stimme zittert. Alles was hier gerade geschieht, ist falsch. Grundlegend falsch.

„Angewandte Chemie.“

Ich schlucke.

„Sei froh. Es ist ein sehr gutes Journal. Und Du musstest nicht viel dafür tun.“ In der Tat, sehr wenig.

Tragischerweise ist dies einer der Momente, die mich eigentlich glücklich machen sollten. Eine Ko-Autorenschaft in einem angesehenen Journal. Stattdessen schäme ich mich. Und ich fühle, wie die fragile Beziehung zu meinen Leidensgenossen aus Labor 807 in tausend Teile zerspringen wird. Nie, niemals wird mir Kim wieder irgendetwas zeigen. Und ich kann ihr deshalb noch nicht einmal böse sein.

Mit schweren Beinen schlurfe ich aus Bills Büro...

Schon vor Wochen war Kim nicht erfreut, als ich ihr erzählt hatte, dass Bill ins Labor kam und nach dem Endotoxin fragte. Weil Kim nicht da war, gab ich ihm meinen eigenen Vorrat. Als sie die Geschichte hörte, weiteten sich ihre Augen, ihr Kiefer sackte nach unten; ich hatte umgehend das Gefühl, etwas Falsches gemacht zu haben. Nachdem sie mich einige Sekunden fixiert hatte, zischte sie nur: „Wenn da ein Paper rauskommt, sollte mein Name drauf stehen.“ Ihr Tonfall deutete nicht darauf hin, dass ich im anderen Fall auf Gnade hoffen könnte.

Vermutlich war dies das erste Mal, dass ich wirklich realisierte, wie verbittert der akademische Wettstreit sein kann. Wie eine unschuldige kleine Hilfeleistung im Handumdrehen zu einem persönlichen Drama verkommen kann. Die Währung der Wissenschaft ist letztlich die Publikationsliste, nichts anderes.

„Mach‘ dir keine Sorgen. Wie groß ist die Chance, dass dabei etwas rauskommt?“, sagte ich damals noch. Und sie stimmte zu. Es lohne sich wohl nicht, etwas derart Vages zu diskutieren.

Doch das Undenkbare kam, und es kam unglaublich schnell.

Zurück im Labor lese ich das Manuskript der Angewandte-Publikation. Leider verstehe ich kaum etwas – zu weit weg von meinem eigenen Projekt. Ich prüfe noch schnell in meinem Laborbuch, ob ich alle Daten habe, um „Material & Methoden“ zu schreiben – dann gehe ich nach Hause. Ich fühle mich klein, geschrumpft durch die letzten Stunden.

Am nächsten Morgen warte ich nervös auf Kim. Ich halte still, bis sie ihre Jacke ausgezogen und sich hingesetzt hat.

„Kim? Du erinnerst dich an die Endotoxin-Geschichte? Sie wird nun doch publiziert.“

Sie verschränkt ihre Arme und lauert darauf, was als Nächstes kommen wird. „Ich habe es wirklich versucht, aber Bill will deinen Namen nicht auf dem Paper haben.“

Mit einem schneidenden Laut zwischen Schreien und Quietschen fährt sie mich an: „Ich wusste, dass das passieren wird... Das ist so unfair!“

Ich wähle Stille als Antwort. Wirklich etwas zu sagen habe ich sowieso nicht.

„Was hat Bill gesagt?“

Ich stottere: „Nicht viel... dass ich die Laborarbeit getan habe und... und dass ich deswegen Ko-Autorin sein sollte. Ich habe es zweimal probiert... aber ihm war nicht nach Diskutieren zumute... überhaupt nicht...“

„Ich stand im Labor neben dir und habe dir haarklein erklärt, was du tun musst.“

Ihre Stimme ist jetzt mehr Schreien als Quietschen.

„Ich weiß.“

„Hast Du es ihm gesagt?“

„Ja! Habe ich.“

Sie presst ihre Fäuste zusammen und atmet tief durch.

„Ich werde mit ihm sprechen.“

Sie stürmt aus dem Labor und lässt mich mit einem gemischten Gefühl hinter sich: Erleichtert, dass ich es ihr gesagt habe – aber auch unbeschreiblich schmutzig, weil ich ungewollt zur Komplizin dieser schäbigen Aktion geworden war.

Es dauert nicht lange, bis Kim wieder zurückkommt.

„Er wird mich mit draufsetzen“, verkündet sie, offensichtlich erleichtert.

„Oh, cool.“ Gott sei Dank.

„Bill ist so ein Bastard. Ich kann es noch immer nicht glauben, dass er mich nicht auf der Autorenliste haben wollte.“ Halleluja, Bill ist der Feind, nicht ich!

„Ja, glücklicherweise ist jetzt alles in Ordnung. Wir werden Ko-Autorinnen auf einem Artikel sein, für den wir beide kaum etwas getan haben.“ Und den wir beide nicht einmal verstehen.

„Wo wollen die es einreichen?“

Angewandte Chemie.

„Geil.“

Nicht einmal fragt sie nach den Ergebnissen der Versuche. Aber ist ja auch egal. Alles, was zählt, ist die Autorenschaft.



Letzte Änderungen: 04.07.2018