Editorial

Verbriefte Unsicherheit

Aus dem Tagebuch einer Jungforscherin

Karin Bodewits


Jungforscherin

Mittwochabend, sieben Uhr. Im Vorbeigehen bemerke ich Licht im Büro meiner Chefin. Prof. Lous war zuletzt so viel unterwegs, dass ihr Anblick im Institut selten geworden ist. Eigentlich habe ich ja keine Lust, mit ihr zu sprechen – doch weiß Gott, wann sie uns mal wieder mit ihrer Anwesenheit beglücken wird. Ich atme also tief durch und klopfe an die Tür.

„Herein!“

Ihre gepresste Stimme lässt vermuten, dass sie nur ungern bei ihrer Arbeit gestört werden will. Ich betrete ihr Büro und werde sofort wortlos darüber informiert, dass es weit wichtigere Dinge für sie gibt als meine Wenigkeit. Ihre ersten Worte sind höflich und direkt, um ja nicht zu signalisieren, dass Small Talk Teil des Gespräches sein wird. „Miriam, schön Dich zu sehen! Was kann ich für Dich tun?“

„Ich wollte mich erkundigen, ob es schon Neuigkeiten zu meinem Vertrag gibt?”

Lous‘ Stirn legt sich in Falten, ganz als würden meine einfachen Worte ihr Anstrengung abverlangen. „Ich verstehe nicht ganz... Du hast doch noch gut drei Monate... Ich werde dann schon versuchen, eine Verlängerung für Dich zu bekommen.”

Ich beiße die Zähne zusammen, hoffentlich nicht zu offensichtlich, und überlege, was ich als Nächstes sagen kann. Ich will nicht so einfach unverrichteter Dinge gehen. Ich möchte nicht verscheucht werden, als wäre meine Lebensplanung nur eine triviale Störung im größeren Geschehen der Forschung. Ein paar Sekunden dauert es, dann ist es Lous, die das Wort ergreift: „Du willst bleiben, richtig?“

„Ja, das will ich schon“, sage ich schnell. „Es ist nur... Wie sicher ist es, dass ich bleiben kann?“

„Ich bin optimistisch, kann aber nichts versprechen. Ich erwarte eine Antwort vom Dekan. Du wirst ja teils vom Institut finanziert.“

„Sicher. Ich möchte ja nur wissen, wann eine Entscheidung fällt.“

„Diese Dinge sind nicht so einfach. Es spielen viele Faktoren mit hinein. Viele Entscheidungen auf den letzten Drücker...“

„Ich weiß. Aber ich denke, es wäre nur fair, früh genug zu erfahren, wenn ich doch gehen muss. Ich müsste mich dann besser heute als morgen auf andere Stellen bewerben, eigentlich ist es dafür jetzt schon fast zu spät... Diese Unsicherheit treibt mich in den Wahnsinn. Unsicherheit ist der Feind der Konzentration, oder etwa nicht?“

Lous nickt verständnisvoll. „Ja, das stimmt. Ich werde nachfragen, ob eine Entscheidung in den nächsten Wochen möglich ist.”

„Gut“, sage ich und versuche das Fünkchen Erleichterung aufzunehmen, das von Lous vagen Bemerkungen ausgehen soll.

„Ich sage Bescheid, sobald ich etwas höre.“

„Okay“, sage ich ein klein wenig fröhlicher, lächle unsicher und verlasse das Büro.

Ich gehe an den Postfächern vorbei und ziehe die ganze Werbung der letzten Tage heraus – aus meinem eigenen Postfach wie auch aus denen meiner engeren Kollegen. Am anderen Ende des Stockwerks öffne ich die Tür zu meinem Büro mit dem Ellenbogen und lasse den Stapel Papiermüll gleich dahinter auf einen kleinen Tisch fallen. Marcel sitzt im Büro und starrt auf einen Bericht, der vor ihm liegt. „Post für Dich“, sage ich und reiche ihm einen Umschlag.

„Im Zeitalter der Hashtags ist es niemals gut, Briefe zu erhalten“, seufzt er hinter seinem Schreibtisch.

„Ja, entweder eine Rechnung oder eine Ablehnung“, biete ich ihm als Option an.

Er reißt den Brief auf, hastig, und liest ihn mit einem Stirnrunzeln.

„Was ist es?“

„Ach, nur hervorragende Neuigkeiten, die ich heute Abend mit nach Hause nehmen kann.“

Ich hebe die Augenbrauen. Marcel seufzt erneut und liest den Brief vor... Man dankt ihm, dass er sich auf die Juniorprofessur in Darmstadt beworben hat, aber leider haben sie jemand anderen auf die Stelle berufen. Dennoch ermutigt man ihn, sich wieder zu bewerben, sollten sich andere Stellen auftun.

„Och nee... Du hast Dich doch schon so gefreut...”

„Nun, darauf gefreut... gefreut nur insofern, dass es toll gewesen wäre, endlich von Dagobert Duck wegzukommen.“

„Dagobert Duck“ ist sein Professor, ein Pfennigfuchser wie aus dem Bilderbuch. Elf Monate im Jahr investiert Prof. Duck Unmengen an Zeit und Energie, um sicherzustellen, dass nicht ein Atom im Labor verschwendet wird. Und im Dezember wird das verbleibende Budget mit beiden Händen aus dem Fenster geschmissen, als gäbe es kein Morgen. Klar, will kein Akademiker Geld an die Drittmittelgeber zurückfließen lassen, doch kennen die meisten gewisse Grenzen. Nicht so „Onkel Dagobert“. Alle möglichen Chemikalien, Plasmide, Zellen und weiß der Geier was noch alles werden in selbstzweckartigem Übermaß angeschafft – ohne wirklich über ihren möglichen Nutzen nachzudenken.

„Ich nehme an, Du warst richtig scharf drauf?“

„Ja, schon. Aber wenn man es positiv betrachtet... zumindest muss ich jetzt nicht nach Darmstadt.”

„Hm, aus freiem Willen ist wohl noch nie jemand nach Darmstadt gezogen. Es gibt aber doch andere Positionen, oder?

„Tja, irgendwann schon. In meinem Spezialgebiet gibt es etwa zwei offene Stellen pro Jahr.“

„Meine Güte...“

„Und bei Dir? Bekommst Du nun den Anschlussvertrag?“



Letzte Änderungen: 04.07.2018