Vorstellungsgespräch

Aus dem Tagebuch einer Jungforscherin

Karin Bodewits


Editorial

Jungforscherin

Das Prasseln der Regentropfen weckt mich auf. Mein Zimmer im Gästehaus ist winzig. Ich bin in Fieberschweiß gebadet, die klein­ste Bewegung verursacht heftige Bauchkrämpfe. Mein Kopf pocht dumpf wie ein Gong, auf den man einmal kräftig draufgeschlagen hat. Mein Rücken fühlt sich an, als hätte ich die ganze Nacht ein Kamel über Kopfsteinpflaster geritten.

Die Matratze hängt dermaßen tief im Bettgestell, dass es aussieht, als habe sich hier kürzlich etwas Seltsames und Dramatisches abgespielt. Der am Fensterbrett befestigte Holzschreibtisch wirkt irgendwie windschief. Vielleicht verzerrt aber auch das komische Bett nur meinen Blickwinkel.

Für einige Minuten liege ich still da und frage mich, wie ich diesen Tag überleben soll. In zwei Stunden erwartet man mich zum Bewerbungsgespräch für eine Postdoc-Stelle. Seit einigen Tagen bin ich krank, fühle mich ausgezehrt und besiegt. Ich will einfach nur zusammenbrechen und tagelang nicht mehr aufstehen. Aber so einen wichtigen Termin abzusagen, kam nie in Frage. Ich möchte nicht schwach erscheinen, ich möchte das Alpha-Weibchen sein – was auch immer das bedeuten mag...

Editorial

Also bleibt mir nichts anderes übrig, als mich, benebelt wie ich bin, aus dem gottverdammten Bett aufzuraffen und während des Bewerbungsgespräches möglichst wach zu erscheinen. Mit ein paar Schmerztabletten und Fieberhemmern sollte das doch irgendwie zu überstehen sein...

Langsam stehe ich auf. In einem Zug leere ich eine alte Flasche Cola; sie schmeckt schal, aber den Koffeinkick bekomme ich trotzdem. Ich spüre, wie mir ein schwacher Adrenalinschauer durch den Körper läuft, als wäre ich ein Vibrator, kurz bevor die Batterie leer ist. Ich stehe vor dem Spiegel, der auf dem billigen Einbauschrank klebt, und komme zu dem Schluss, dass ich grauenhaft aussehe – wie eine verirrte Statistin aus „The Walking Dead“.

An der Uni betrete ich die Eingangshalle durch eine schwere Holztür. Ich folge einem Schild zur Toilette, wo ich zwei Schmerzta­bletten aus meinem Rucksack nehme und runterschlucke.

„Alles okay bei dir?“, will die Frau wissen, die sich neben mir die Hände wäscht.

„Ja, nur ein bisschen krank, das ist alles“, sage ich. „Weißt du zufällig, wo sich das Büro von Professor Walker befindet?“

„Die Treppe rauf, nach rechts und dann den ersten Gang links.“

„Das klingt einfach.“

„Vorstellungsgespräch?“

„Ja.“

Auf dem Weg zur Tür, dreht sie sich noch mal um und raunt mir zu: „Angeblich ist er nicht der einfachste Typ.“

Trotz meiner Benebelung nehme ich die Warnung wahr.

Zögernd klopfe ich an eine Bürotür und werde von einer kräftigen Stimme hereingebeten. Als hätte er eine Chilischote zwischen den Pobacken, springt er mir aus seinem Stuhl entgegen, um sich vorzustellen. Seine ausgestreckte Hand ist äußerst maskulin, entsprechend kräftig fällt der Händedruck aus. „Walker“, sagt er. Seine Augen sind groß und strahlen vor Energie.

Er erkundigt sich nach meiner Anreise. „Großartig!“, lüge ich ihn an. Vermutlich eher hektisch, aber er scheint sowieso kaum an der Antwort interessiert zu sein.

Er nimmt seinen Schlüsselbund und einen Laptop vom Schreibtisch. „Gehen wir gleich ins Labor.“

Wir schreiten zügig durch den Gang, ich kann kaum Schritt halten. Er redet schnell und ohne Unterbrechung. Andere Doktoranden und Postdocs verschwinden schnell, als sie uns sehen. Er zeigt mir die drei kleinen Laborräume, im Seminarraum bittet er mich schließlich, meine Präsentation hochzuladen. All dies zur Begleitmusik seines intensiven, schneidenden und selbstzentrierten Monologs, dessen Enthusiasmus mich dennoch bewegt. Vergeblich versuche ich, seinen Ausführungen zu folgen. Ich kann nichts zur Unterhaltung beitragen, doch soll ich das überhaupt? Sein Sprachrhythmus ist unnachgiebig, ohne Verschnaufpausen. Eine verbale Einbahnstraße, kraftvoll und unaufhaltsam wie ein Gebirgsbach, aber ohne dessen natürliche Schönheit.

Sechs weitere Personen betreten den Raum. Aus seinem Labor, nehme ich an. Professor Walker stellt mich mit freundlichen Worten vor und bittet mich, mit der Präsentation zu beginnen. Ich erhebe mich und erzähle von meinen bisherigen Forschungsprojekten. Ich fühle mich viel sicherer als noch vor zwei Stunden – und für einen Moment scheint es, als wäre der Virus in meinem Körper besiegt.

Im Anschluss lädt Walker die Zuhörer ein, Fragen zu stellen. Er selbst beginnt mit einer einfachen Verständnisfrage. Nach meiner Antwort folgt betretenes Schweigen. Die Sekunden verstreichen, die Stille wird immer unangenehmer. Doch es dauert eine ganze Weile, bis Walker die Versammlung endlich auflöst und allen für ihre Aufmerksamkeit dankt. Das war seltsam, nicht ermutigend.

„Tolle Präsentation“, strahlt Walker. „Du kannst nächsten Monat anfangen“, fügt er hinzu. Er fragt gar nicht, ob ich die Position überhaupt möchte.

Ich presse meine Lippen aufeinander. „Ich muss darüber nachdenken“, wispere ich. Professor Walker hebt die Augenbrauen, schaut zuerst verwirrt, dann angewidert. „Mit Zweiflern kann ich hier nichts anfangen“, presst er genervt hervor.

Zurück im Gästehaus lege ich mich wieder ins Bett. Ich bin sicher, dass ich dieses Labor nie wieder betreten werde.



Letzte Änderungen: 05.12.2018