Editorial

Kunststoffknacker – Mit Mikroorganismen gegen Plastikmüll?

Mario Rembold


(08.12.2019) Plastik ist praktisch. Der Nachteil: In der Natur sammeln sich Müllberge aus Tüten und PET-Flaschen; hinzu kommt unsichtbares Mikroplastik. Immerhin sind gegen einige Kunststoffe mikrobielle Enzyme bekannt, die man zum biotechnischen Plastik-Abbau nutzen könnte.

Inzwischen kennen wir alle die Bilder von Plastikmüllstrudeln im Meer. Eindrucksvolle Memes gehen durch die sozialen Netzwerke und wollen uns das Ausmaß menschengemachter Polymere in der Natur vor Augen führen. Sogar ein Erotik-Portal machte im Sommer auf das Plastikproblem aufmerksam – mit dem angeblich „Dirtiest Porn Ever“, gedreht an einem vermüllten Strand. Das öffentliche Bewusstsein für Plastik in der Umwelt ist derzeit wohl höher als je zuvor.

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„In der Not frisst der Prokaryot Plastik“ Illustr.: AdobeStock / Kateryna_Kon

Dennoch gelangen, je nach Schätzung, jährlich zwischen 5 und 25 Millionen Tonnen Kunststoff in die Umwelt. Durch UV-Licht und mechanische Einwirkungen zerfallen einige Materialien in kleinere Stücke und setzen dabei Mikroplastik frei, also künstliche Polymerpartikel kleiner als fünf Millimeter. Doch auch wer seine Tüten und Kunststoffverpackungen gewissenhaft entsorgt: Mikroplastik bringen wir trotzdem in die Umwelt, zum Beispiel über Reifenabrieb, Kosmetikprodukte oder Fusseln aus Textilien. Derzeit dürften daher um die hundert Millionen Tonnen Plastik in den Weltmeeren stecken – und nur ein Prozent davon treibt an der Oberfläche. Die spektakulären Bilder, die wir aus Funk, Fernsehen und sozialen Netzwerken kennen, sind demnach also nur die Spitze des Plastikberges.

Haltbarkeit: Fluch und Segen

Andererseits liegt gerade in der Haltbarkeit von Kunststoffen deren besonderer Charme. Die Kunststoffschublade in der Spülmaschine verrostet nicht; und die PET-Flasche im Rucksack ist nicht nur leichter, sondern auch weniger zerbrechlich als ihr Pendant aus Glas. Nur: Die von uns so geschätzten Eigenschaften behalten diese Stoffe leider auch in der Natur. Sie sind robust, chemisch stabil und oft von so geringer Dichte, dass Wind, Wetter und Meeresströmung sie praktisch rund um die Welt tragen.

Die „Wollmilchsau“ unter den Kunststoffen hätte im Alltag alle oben genannten Vorteile, wäre in der Natur aber komplett abbaubar und frei von giftigen Zusatzstoffen. Eventuell könnten Mikroorganismen helfen, die Enzyme produzieren würden, mit denen sie auch Kunststoffe chemisch knacken können. Schließlich sind Plastik und Co. potenzielle Kohlenstoffquellen, aus denen Lebewesen theoretisch Energie gewinnen oder Biomoleküle basteln könnten. Und tatsächlich hat man vereinzelt welche gefunden...

Doch zunächst zu einer anderen Frage, die beispielsweise der Umweltchemiker ­Michael Sander an der ETH Zürich untersucht: Wie lange verbleiben bestimmte Kunststoffe in der Natur? Tatsächlich sind Kunststoff-Tüten erhältlich, die als „biologisch abbaubar“ deklariert sind. Andererseits weisen die Entsorgungsunternehmen vieler Kommunen darauf hin, dass „kompostierbare Plastiktüten“ nicht in die Biotonne gehören. Scheinbar ein Widerspruch, der den umweltbewussten Verbraucher irritiert. „Leider gibt es keine einfache Antwort auf die Frage, was ‚biologisch abbaubar‘ bedeutet“, erklärt Sander, „denn Bioabbaubarkeit ist nicht nur eine Eigenschaft des Kunststoffs, sondern eben auch des Milieus, in dem sich der Kunststoff befindet“.

So erweisen sich selbst biologische Makromoleküle unter bestimmten Bedingungen als chemisch robust. „In meiner Vorlesung gebe ich gerne das Beispiel, dass Venedig auf Holz gebaut ist“, so Sander. „Das ist möglich, weil es im Sediment unter der Stadt an Oxidasen und Sauerstoff mangelt, sodass Lignin – ein natürliches bioabbaubares Polymer – dort sehr stabil ist.“ Umgekehrt weiß man auch von einigen nicht-bioabbaubaren Kunststoffen, dass sie unter bestimmten Bedingungen degradiert werden. Hier aber stellt Sander klar: „Wenn nur wenige Prozent des Kohlenstoffs eines Kunststoffs über Jahrzehnte bis Jahrhunderte zu CO2 umgewandelt werden, dann ist dieses Material nicht als ‚bioabbaubar’ zu bezeichnen.“

„Messer“ und „Gabel“ vorhanden

Im Lauf der Evolution haben sich nun Mikroorganismen diverse Biomakromoleküle zugänglich gemacht, die durchaus Ähnlichkeiten mit bestimmten Kunststoffen aufweisen. „Es gibt natürlich vorkommende Polyester wie Cutin, also das Wachs auf den Oberflächen von Pflanzenblättern“, nennt Sander ein Beispiel. Bekanntermaßen reichert sich Cutin nicht in der Natur an, sondern ist biologisch abbaubar. Und da manche Kunststoffe ebenfalls Esterbindungen enthalten, können einige davon auch durch mikrobielle Cutin-spaltende Enzyme geknackt werden. „Bakterien mit diesen Enzymen haben in ihrer Evolution zwar nie diese synthetischen Polyester gesehen, doch sie haben bereits passende Messer und Gabeln dafür“, veranschaulicht Sander.

„Aber nicht jeder Polyester ist auch bioabbaubar“, stellt Sander klar und erklärt, dass man neben der Chemie auch die Physik eines Polymers beachten muss. „Wir müssen auch die Kristallinität des Kunststoff-Materials berücksichtigen.“ Damit meint er die Ordnung der einzelnen Polymerketten im Kunststoff, und wie sie zusammenhaften. So kennen wir zwar Enzyme, die „auf dem Papier“ bestimmte chemische Gruppen in Polyestern brechen können. Doch wenn diese Estergruppen aufgrund der Polymerphysik nicht angreifbar sind, bleibt das Enzym wirkungslos oder zumindest sehr ineffizient. Der Abbau dieser Polyester in der Natur verläuft dann also extrem langsam.

Folienfutter

In einem ihrer Projekte hat Sanders Gruppe untersucht, wie gut der synthetische Polyester Polybutylenadipat-terephthalat (PBAT) im Boden unter natürlichen Bedingungen biologisch abgebaut wird. Vor allem wollte das Team zeigen, dass Mikroorganismen PBAT wirklich komplett verwerten können. Denn dieser wichtige Nachweis für „Bioabbaubarkeit“ von Kunststoffen sei oft nicht geführt worden. „Da gibt es ganze Generationen angeblich bioabbaubarer Materialien“, erläutert Sander. In vielen Fällen würden diese Materialien aber einfach nur zu einem gewissen Grad fragmentiert und dann nicht weiter abgebaut. „Diese falsch deklarierten Polymere zerfallen in kleine Stücke, so dass man sie nicht mehr sieht – aber der stringente Nachweis, dass wirklich der gesamte Kohlenstoff umgewandelt wird, fehlt.“ In Zusammenarbeit mit Kollegen der Uni Wien konnten die Züricher für PBAT zeigen, dass dieser Polyester in Bodenproben komplett von Mikroorganismen verwertet werden kann, also wirklich ‚bioabbaubar‘ ist. Die Ergebnisse stellten die Wissenschaftler 2018 in Science Advances vor (4(7): eaas9024).

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Schön wär‘s, wenn alle Plastikflaschen sich so schnell von selbst zersetzen würden... Foto: sustpkgg-blogspot.com

Um zu belegen, dass der Kohlenstoff aus PBAT in mikrobielle Stoffwechselprozesse einfließt, bauten Sander und Kollegen das seltene stabile Kohlenstoffisotop 13C in PBAT ein. Die Forscher hatten in unterschiedlichen Versuchen jeweils die drei Monomereinheiten im PBAT separat mit 13C markiert und jeweils für sechs Wochen in Bodenproben inkubiert. „Wir wollten zeigen, dass alle Bestandteile des Polymers mikrobiell verstoffwechselt werden“, erklärt Sander. Tatsächlich wiesen die Forscher in allen drei Experimenten 13C -haltiges CO2 nach. Offenbar können Organismen im Boden also alle drei Monomere für die Energiegewinnung nutzen. Die PBAT-Folien waren sowohl mit einzelligen Organismen als auch mit Pilzgeflechten besiedelt. Zudem war das 13C aus dem PBAT auch in Mikroorganismen des Biofilms nachweisbar.

Sander stellt aber klar, dass dennoch ein sorgsamer Umgang mit Plastik notwendig sei. „Ich propagiere nicht, dass wir jetzt nur noch bioabbaubare Kunststoffe herstellen“, mahnt er, „denn dann bringen wir vielleicht erst recht noch mehr Kunststoffe in die Natur.“ Vielmehr sieht Sander ganz spezielle Anwendungen für bioabbaubare Kunststoffe – nämlich dort, wo Plastik unvermeidlich während der Anwendung in die Umwelt gelangt.

So kommen in der Landwirtschaft etwa Mulchfolien zum Einsatz, um Pflanzen abzudecken und damit Temperatur sowie Feuchtigkeit konstant zu halten. Leider lassen sich diese Folien nach der Ernte aber nicht immer rückstandslos entfernen. „Es gibt Schätzungen, wonach in China zwölf Prozent der Agrarflächen mit Mulchfolien bedeckt sind“, verdeutlicht Sander die Dimensionen. „Die Mengen, die da über die Jahre im Boden zurückbleiben, dürften riesig sein.“ Hier könnte ein Kunststoff wie PBAT also Abhilfe schaffen. „Wir wollen als nächstes testen, wie schnell PBAT auch draußen in Ackerböden biologisch abgebaut wird“, gibt Sander einen Ausblick.

Auch hier ist es dem Chemiker wichtig zu betonen, dass die gezeigte biologische Abbaubarkeit von PBAT in Böden nicht ohne Weiteres auf andere Umweltsysteme übertragbar ist. Dasselbe Material könnte sich in Flüssen oder Meeren wiederum als stabiler erweisen. Für Diskussionen sorgt derzeit beispielsweise eine Studie der Universität Plymouth: Forscher hatten unterschiedliche als „abbaubar“ deklarierte Plastiktüten über viele Monate in Wasser, Erde oder an der Luft gelagert (Environ Sci. Technol. 53(9): 4775-83). Zwar war eine derartige Tüte im Salzwasser nach drei Monaten nicht mehr sichtbar, im Erdboden vergraben hingegen hielt sie sich auch nach drei Jahren noch unverändert. Eigentlich nicht das, was man von einem kompostierbaren Produkt erwartet.

„Wir müssen klarer kommunizieren, dass ein Material, das im industriellen Kompost bei 80 Grad Celcius abbaubar ist, nicht zwangsläufig daheim in der Biotonne oder einer anderen Umgebung biologisch abgebaut wird“, ordnet Sander diese Resultate ein.

„Mikroplastik hat in der Umwelt nichts zu suchen“

Nun mag man fragen, ob etwa Mikroplastik in der Nahrungskette wirklich gefährlich für uns Menschen ist. Ein chemisch stabiles Material sollte ja eigentlich auch nicht toxisch sein. „Selbst wenn Mikroplastik sich als weitestgehend unproblematisch erweisen sollte: Es hat in der Umwelt nichts zu suchen“, entgegnet Sander diesem Argument. Zudem sei für Makroplastik klar gezeigt, dass es negative Effekte hat. Beispielsweise in Ackerböden, wo die Erträge sinken, weil Wasser- und Gasaustausch gestört sind. Mittelbar entstehen dadurch nicht nur der Natur, sondern auch dem Menschen Nachteile. „Und solange wir ein ungenaues Bild haben über mögliche ökosystemare und gesundheitliche Auswirkungen, gilt für mich das Vorsorgeprinzip“, so Sander. „Davon abgesehen möchte ich nicht zwischen Plastiktüten umherlaufen, wenn ich durch den Wald oder über den Strand gehe.“

Dass ein mikrobielles Enzym gegen Cutin oder Lignin zufällig auch mal das eine oder andere synthetische Polymer spalten kann, mag zu erwarten sein. Überraschend war jedoch vor drei Jahren eine Entdeckung in einer japanischen Recycling-Anlage für Plastikflaschen. Shosuke Yoshida et al. hatten ein Enzym aus dem Bakterium Ideonella sakaiensis isoliert, das PET spaltet – also Polyethylenterephthalat, einen ziemlich stabilen Polyester. Während jedoch andere „Plastikenzyme“ ihre optimale Aktivität auf natürlichen Substraten entfalten, schnitt das Ideonella-Protein im Labor bei PET am besten ab. Anscheinend hatte die Evolution innerhalb weniger Jahrzehnte ein Enzym für den Abbau eines menschengemachten Kunststoffs optimiert, sodass die Autoren auch explizit von einer PETase sprechen (Science 351: 1196-9; siehe auch unser „Stichwort des Monats“ zum Thema unter www.laborjournal.de/rubric/archiv/stichwort/w_16_05.php).

Damit nicht genug: Die PETase spaltet PET zunächst in sein Monomer Monohydroxyethylterephthalat (MHET). Doch Ideonella besitzt noch ein zweites Enzym, das MHET weiter abbaut zu Terephthalsäure und Ethylenglycol, die als ökologisch unbedenklich gelten. Diese MHETase ist ein weiteres Indiz, dass sich das Bakterium auf die Verwertung von PET spezialisiert hat. Eigentlich eine gute Nachricht. Doch leider vermehrt sich Ideonella nur langsam, zudem arbeitet die PETase ebenfalls nur träge und braucht für ihr Optimum Temperaturen um die 35 Grad Celcius.

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So sieht‘s unter dem Elektronenmikroskop aus, wenn die PETase aus Ideonella sich über ein grünes Stückchen Polyethylenterephthalat (PET) hermacht. Foto: Dennis Schroeder / US Department of Energy‘s National Renewable Energy

Dennoch hat sich diesbezüglich zuletzt einiges getan, wie etwa Uwe Bornscheuer zu berichten weiß. Der Chemiker leitet an der Universität Greifswald die Gruppe „Biotechnologie und Enzymkatalyse“. „Für das Enzym sind in den letzten Jahren deutlich verbesserte Mutanten erzeugt worden, die nun einen effektiveren Abbau von PET ermöglichen“, verrät er.

Auch sein Team arbeitet an einer Verbesserung der PETase. Ebenso hat Bornscheuer die MHETase aus Ideonella im Visier. In einer Kooperation von Berliner und Greifswalder Forschern hat Bornscheuer beispielsweise daran mitgewirkt, die Kristallstruktur der MHETase mit und ohne Substrat zu untersuchen (Nat. Commun. 10(1): 1717). Bislang sei zur MHETase weniger publiziert als zur PETase – „wohl weil das Enzym nicht so gut in E. coli exprimiert werden kann“, vermutet Bornscheuer. Doch da nun sowohl die Strukturen von PETase wie auch MHETase bekannt sind, könne man jetzt gezielt an die jeweilige Aminosäuresequenz herangehen, um das Enzym zu verbessern.

Enzyme optimieren

Eine optimierte PETase hat auch der Zellbiologe Daniel Moog verwendet. Moog leitet eine Nachwuchsgruppe an der Uni Marburg, die mit Kieselalgen arbeitet. „Dabei interessieren uns auch Aspekte der synthetischen Biologie“, erklärt er und geht auf Vorteile der Kieselalgen ein: „Die Algen sind sehr einfach zu kultivieren und brauchen zum Wachsen nicht viel mehr als Sonnenlicht und CO2.“ Also setzten die Marburger ein Genkonstrukt der verbesserten Ideonella-PETase ins Kieselalgengenom ein und brachten es zur Expression (Microb. Cell Fact. 18(1): 171). Der Schritt vom Bakterium in eine eukaryotische Umgebung erforderte jedoch ein paar Modifikationen. So musste die Basenfolge leicht verändert werden, da einige Codons zwischen Ideonella und Kieselalgen voneinander abweichen. „Das war relativ simpel“, erinnert sich Moog. Anspruchsvoller war hingegen, das PETase-Protein aus den Zellen herauszulotsen. „Dazu haben wir die bakterielle Zielsteuerungssequenz gegen ein Signalpeptid der Alge ausgetauscht.“

Unter Laborbedingungen waren die Kieselalgen in der Lage, PET abzubauen. Dabei kamen sie mit geschreddertem Kunststoff besser zurecht als mit größeren Stücken. „Für uns ist das jetzt erstmal nur ein Proof of Principle“, stellt Moog klar. Doch er hofft, dass mit PETase ausgerüstete Kieselalgen eines Tages dabei helfen, Mikroplastik aus Meerwasser zu entfernen. „Sie vermehren sich im Salzwasser, das ist ein großer Vorteil“, so Moog. Vorstellen kann er sich abgeschlossene Anlagen in Küstennähe, in denen die Algen wachsen. „Allerdings brauchen sie für ein optimales Wachstum Temperaturen zwischen 21 und 26 Grad sowie eine lichtdurchflutete Umgebung“, schränkt Moog ein – sodass nur Regionen in geeigneter geografischer Lage in Frage kommen. „Dafür fixieren die Kieselalgen aber nebenher auch CO2“, hebt Moog einen weiteren Vorteil photosynthetischer Einzeller hervor.

Was heißt Abbaubarkeit?

Sind plastikspaltende Enzyme am Ende nur ein Tropfen auf den heißen Stein oder eine echte Chance? „Ich bin vorsichtig optimistisch, dass es uns in naher Zukunft gelingen wird, Enzyme und Organismen zu finden, die deutlich besser sind als die bisher bekannten“, erklärt Mikrobiologe Wolfgang Streit von der Universität Hamburg. Zusammen mit Daminik Danso und Jennifer Chow – beide aus der von ihm geleiteten Arbeitsgruppe – hat Streit im September einen Review-Artikel zum Stand der Dinge veröffentlicht. Für alle, die tiefer in die Thematik einsteigen wollen: Die frei verfügbare Publikation gibt einen Überblick über die wichtigsten Plastikarten und bislang bekannte Mikroorganismen, die dazu passende Enzyme produzieren (Appl. Environ. Microbiol. 85(19): e01095-19).

Die verfügbaren Enzyme, so berichten die Autoren, richten sich hauptsächlich gegen PET und esterbasiertes Polyurethan. „Leider sind all diese Enzyme relativ langsam“, ergänzt Streit. Wie Michael Sander kritisiert auch Wolfgang Streit die nicht klaren Definitionen für den Begriff der „Abbaubarkeit“. „Es fehlen Standards“, so Streit, „leider arbeiten viele Gruppen nicht mit definierten Materialien und nutzen den Gewichtsverlust als Maß für den Abbau“. Doch da zahlreiche Kunststoffe Weichmacher und andere Additive enthalten, sei das reine Gewicht eben kein sicheres Maß für die in der Probe enthaltene Plastikmenge.

Die Suche geht weiter...

Doch in der Natur könnten noch weitere interessante Enzyme auf ihre Entdeckung warten, ist sich Streit sicher. Bislang nicht-kultivierte Mikroorganismen und deren Genome solle man genauer unter die Lupe nehmen. Und auch Dark-Matter-Proteine, deren Funktionen bislang noch nicht entschlüsselt sind, könnten Überraschungen bereithalten. Streit will sich aber nicht allein auf die Mikroorganismen verlassen. „Ein sorgsamer Umgang und sehr hohe Recyclingraten plus die Entwicklung wirklich abbaubarer Biopolymere wären wichtige Schritte“, betont er – und spricht von einer Mammutaufgabe.

Auch die Mikrobiologen Sonja Oberbeckmann und Matthias Labrenz schauen auf das Plastik und haben vor allem marine Ökosysteme im Blick. Beide haben aus Publikationen der vergangenen Jahre zusammengetragen, welche mikrobiellen Gemeinschaften auf Mikroplastik wachsen und inwiefern sie das Plastik abbauen. Die Ergebnisse ihrer Recherche haben sie in einem Review zusammengefasst, der kommendes Jahr erscheint und vorab bereits online verfügbar ist (Ann. Rev. Mar. Sci., doi: 10.1146/annurev-marine-010419-010633).

Kaum Plastikabbau im Ozean

Sonja Oberbeckmann forscht in der von Labrenz geleiteten Arbeitsgruppe für Umweltmikrobiologie am Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde. Sie sieht in der Verschmutzung der Meere durch Plastik ebenfalls eine große Herausforderung. „Wir wissen im Vorfeld nicht, wie sich Ökosysteme entwickeln“, erklärt sie im Hinblick auf die eingebrachten Plastikmengen. Denn, so legen es die für das Review gesammelten Ergebnisse nahe: Mikroorganismen werden in absehbarer Zeit wohl nicht unseren Plastikmüll entsorgen. „Wir finden zwar viele Studien, die über einen Plastikabbau berichten, doch ganz häufig wurde dabei nur der Gewichtsverlust im Wasser gemessen“, stellt Oberbeckmann fest. Oder es sind Effekte unter speziellen Bedingungen im Labor beziehungsweise in Recyclinganlagen, wie im Beispiel aus Japan. „Überzeugende Daten dafür, dass Plastik auch in natürlichen Systemen abgebaut wird, habe ich noch nicht gesehen.“

Die Rolle der Biofilme

Mikroplastik könnte auch dadurch Ökosysteme durcheinanderbringen, dass es Mikroorganismen in Biofilmen an weit entfernte Orte transportiert. „Plastik ist sehr leicht und viel langlebiger als die meisten natürlichen Partikel“, begründet Oberbeckmann. Glücklicherweise bestätigte sich diese Sorge bei der aktuellen Bestandsaufnahme nicht. Laut der meisten Studien sitzen auf dem Plastik vorwiegend Lebensgemeinschaften, die für das jeweilige Biotop typisch sind. „Daher gehen wir momentan davon aus, dass Plastikpartikel in einer neuen Umgebung schnell wieder einen neuen Biofilm bekommen.“

Tatsächlich scheint es auch plastiktypische Bakteriengemeinschaften zu geben. „Die findet man eher in Gegenden mit geringem Nährstoffgehalt“, so Oberbeckmann. Klingt nach dem Motto: In der Not frisst der Prokaryot Plastik. Doch Oberbeckmann bremst auch hier die Hoffnung: „Wenn, dann beschränkt sich der Plastikabbau auf den unteren primären Biofilm, der direkten Kontakt zum Kunststoff hat.“ Wahrscheinlich sei hier jedoch nicht der Abbau von Plastik maßgeblich. „In nährstoffarmen Regionen ist der Nährstoffgehalt generell auf Oberflächen am größten“, erklärt Oberbeckmann. Demnach wäre auch – aber nicht nur – Mikroplastik ein begehrter Ort zum Besiedeln. „Hier sind vermutlich Konkurrenzprozesse viel wichtiger, wie zum Beispiel spezielle Anheftungsmechanismen.“

Welche Risiken Plastik in der Umwelt birgt, lässt sich derzeit nicht sicher abschätzen. Oberbeckmann hält nichts von Panikmache und betont, dass die Plastikmengen regional sehr unterschiedlich seien – „was an den Meeresströmungen und nicht notwendigerweise am regionalen Eintrag liegt“, hebt sie hervor. Nicht jede Küste erstickt also in PET-Flaschen. Wie gefährlich speziell Mikroplastik ist, dazu fehlen ebenfalls Daten. „Immerhin konnten wir für die Ostsee bislang noch keine negativen Effekte auf das Ökosystem durch Mikroplastik nachweisen“, zeigt sich Oberbeckmann erleichtert, gibt aber keine Entwarnung. „Plastik gehört nicht ins Meer“, stellt sie fest, und für makroskopische Plastikteile, Folien und Tüten seien negative Effekte unstrittig. „Es gibt Regionen, in denen Meerestiere keine Nahrung mehr aufnehmen können, weil ihr Magen voll mit Plastik ist.“

Allenfalls Hilfe statt Lösung

Wie man es also dreht und wendet: Um einen gewissenhafteren Umgang mit Kunststoffen kommen wir nicht herum, falls wir nicht massive Veränderungen der Ökosysteme riskieren wollen. Mikrobielle Enzyme und Mikroorganismen könnten irgendwann einmal helfen, mit Plastik belastetes Wasser in Kläranlagen zu reinigen. Bislang jedoch kennen wir noch keine effiziente Methode für deren Einsatz. Und von alleine aus der Natur verschwinden wird Plastik in den nächsten Jahrhunderten sicher nicht.



Letzte Änderungen: 08.12.2019