„Wir brauchen einen Verhaltenskodex“

Die Fragen stellte Bettina Dupont


Editorial

Die Mikrobiologin Bärbel Friedrich hat mit weiteren Wissenschaftlern dazu aufgerufen, weltweit vorerst nicht mit Genome Editing in die Keimbahn des Menschen einzugreifen, um genetisch veränderte Kinder zu erzeugen. Wir sprachen mit ihr über die Hintergründe.

Laborjournal: Wie kam es zu diesem Aufruf im März in Nature [567: 165-8]?

Friedrich » Ein wesentlicher Grund war die Vorstellung Genom-editierter Babys durch den chinesischen Wissenschaftler He Jiankui beim Genome Editing-Summit II in Hongkong 2018. Die Kinder haben offenbar ein inaktiviertes CCR5-Gen, was sie vor einer Infektion mit HIV schützen soll.

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Bärbel Friedrich Foto: Leopoldina

Gab es frühere Initiativen, um solche wissenschaftlichen Hasardeure aufzuhalten?

Friedrich » Die Nationale Akademie der Wissenschaften – Leopoldina, deren Vizepräsidentin ich bis 2015 war, veröffentlichte bereits im Herbst 2015 zusammen mit der DFG sowie mit Partnerakademien die Stellungnahme „Chancen und Grenzen des Genome Editing“, in der ein Moratorium vorgeschlagen wurde. Das Kommuniqué des ersten Genome Editing-Summits in Washington 2015 sprach ein klares Verbot für klinische Anwendungen aus. Und 2017 hat die Leopoldina in dem Diskussionspapier „Ethische und rechtliche Beurteilung des Genome Editing in der Forschung an humanen Zellen“ ihre Vorschläge nochmals weiter konkretisiert.

Welche Maßnahmen schlagen Sie vor?

Friedrich » Kurz gefasst brauchen wir endlich Rahmenbedingungen auf freiwilliger Basis, die in den einzelnen Staaten in Form von Regularien oder Gesetzen umgesetzt werden. Außerdem brauchen wir einen Verhaltenskodex, was diese Forschung betrifft, unterstützt durch Diskussionen mit allen beteiligten und betroffenen Gruppen.

Editorial

Beim jetzigen Forschungs- und Kenntnisstand ist es unverantwortlich und in jeder Hinsicht abzulehnen, derartige Eingriffe in die menschliche Keimbahn vorzunehmen. Es müssen erst einmal Sicherheit und Wirksamkeit dieser Methoden belegt werden, bevor sie für Keimbahnveränderungen beim Menschen für klinische Zwecke eingesetzt werden könnten. Ein Moratorium soll es ermöglichen, dass der Umgang mit diesen Methoden in der Zukunft sicher, transparent und nach ethischen Prinzipien erfolgt.

Welche Erwartungen haben Sie dabei an die Wissenschaftler?

Friedrich » Sie sollten Risiken und Nutzen des Genome Editing in der menschlichen Keimbahn klar ausweisen, ihre Projekte anzeigen, all ihre Ergebnisse veröffentlichen und sich an einen zu vereinbarenden Verhaltenskodex halten. Und natürlich müssen sie die Gesetze des Landes beachten, in dem sie ihre Forschung durchführen.

Betrifft das von Ihnen geforderte Moratorium auch Genome Editing an Körperzellen wie beispielsweise Blutzellen?

Friedrich » Nein, denn das somatische Genome Editing hat keine vererbbaren Folgen – und es gibt bereits etablierte Regularien. Derartige Behandlungen werden als neue Therapie betrachtet und müssen entsprechend von der EMA [European Medicines Agency] oder der FDA [Food and Drug Administration] genehmigt werden. Zur Behandlung von Blutzell-Erkrankungen wie Sichelzellanämie oder ß-Thalassämie haben sogar bereits klinische Studien begonnen. Auch für die Duchenne-Muskeldystrophie versucht man in den USA, Behandlungsmöglichkeiten mithilfe von Genscheren zu finden. Das somatische Genome Editing hat darüber hinaus den Vorteil, dass man das zu behandelnde Individuum im Gegensatz zu einer Keimbahn-Intervention vorher aufklären und um seine Zustimmung bitten kann.

Wer sollte denn an der Ausgestaltung von Rahmenbedingungen für das Genome Editing an menschlichen Keimzellen und Embryonen mitwirken?

Friedrich » Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat ein Experten-Panel etabliert, das Vorschläge machen soll, wie der Einsatz von Genome Editing beim Menschen reguliert werden kann. Aufgrund der Komplexität des Themas braucht ein solches Panel aber Rat von verschiedensten Seiten – zum Beispiel von Patientenorganisationen, gesellschaftlichen Gruppen, Religionsgemeinschaften, Wissenschaftlern, Ärzten und Juristen.

Was halten Sie von dem durch das WHO-Panel vorgeschlagenen Register für Genome-Editing-Studien am Menschen?

Friedrich » Ein solches Register finde ich sehr nützlich, da es Transparenz schafft und einen gesellschaftlichen Diskussionsprozess in Gang setzt. Auf diese Weise wird nicht nur die wissenschaftliche Seite abgesichert, sondern es kann sich ein politisch-gesellschaftlicher Konsens bilden. Entscheiden muss am Ende die Politik, aber die Wissenschaftler sollten diesen Entscheidungsprozess aktiv mitgestalten.

Das WHO-Panel könnte zudem eine Anlaufstelle für diejenigen sein, die von illegalen Forschungsvorhaben erfahren und das zur Kenntnis bringen möchten. Denkbar wären aber auch Kommissionen an den Universitäten und Forschungseinrichtungen, die hierzu Beratung bieten.

Wie sind vererbbare Eingriffe in die menschliche Keimbahn derzeit überhaupt in Deutschland geregelt?

Friedrich » Nach §5 des Embryonenschutzgesetzes ist die künstliche Veränderung von menschlichen Keimbahnzellen und ihre Verwendung zur Befruchtung verboten. Verstöße werden mit bis zu fünf Jahren Gefängnis oder Geldstrafe geahndet.

Forschungspolitisch stellt sich immer wieder die Frage nach den Grenzen der Wissenschaftsfreiheit und der Ethik risikobehafteter Forschung. Mit letzterer beschäftigt sich ein gemeinsamer Ausschuss von DFG und Leopoldina zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung, ausgelöst durch die Debatte um Dual-Use-Experimente. Bereits 2014 haben wir entsprechende Leitlinien für Wissenschaftler veröffentlicht. Die Selbstregulierung in den Wissenschaften spielt dabei nach unserer Auffassung eine zentrale Rolle, auch wenn sie im Fall der Genom-editierten Babys in China in gewisser Weise versagt hat.

Braucht es in Deutschland eine Lockerung der Regelungen, um medizinisch begründete Änderungen vornehmen zu können?

Friedrich » Aufgrund unserer Geschichte sind die Regelungen in Deutschland sehr strikt. Ich halte das Embryonenschutzgesetz dennoch für überholungsbedürftig. Die Leopoldina hat in einem Diskussionspapier 2017 gefordert, das Embryonenschutzgesetz der modernen Fortpflanzungsmedizin sowie veränderten Formen des Zusammenlebens und den damit verbundenen ethischen, juristischen, psychischen und sozialen Aspekten anzupassen.

Derzeit beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe der Leopoldina und ihrer Partnerakademien mit der Forschung an humanen embryonalen Zellen. Deutschland sollte sich an solcher Forschung aktiv beteiligen und nicht nur Trittbrettfahrer sein wie bisher. International gesehen sind die Auffassungen zur Forschung an Embryonen ja heterogen. Dreizehn weitere europäische Staaten haben ebenfalls sehr restriktive Gesetze. Frankreich und Japan erlauben inzwischen Forschung an überzähligen Embryonen aus der In-Vitro-Fertilisation. Andere Länder wie das Vereinigte Königreich haben klar definierte Regularien. Dort dürfen nach begründeter Antragstellung Forschungsembryonen hergestellt werden, die nicht für eine Schwangerschaft verwendet werden.

Halten Sie Eingriffe in die menschliche Keimbahn generell eher für ethisch oder für unethisch?

Friedrich » Das muss man differenziert betrachten. Die Scientific Community hat großes Interesse daran, schwere monogenetische Krankheiten wie Chorea Huntington durch Genome Editing in der Keimbahn behandeln zu können. In solchen raren Fällen fällt die Einstufung leicht, dass es sich um ethisch begründbare Vorhaben handelt. Bei Krankheiten, die das Leben verkürzen, zu Taubheit oder Blindheit oder in einem frühen Lebensabschnitt zu Krebs führen, ist die Antwort schon schwieriger. Wäre hierbei eine Anwendung von Genome Editing in der Keimbahn schon genetische Optimierung oder nicht? Bei genetischen Veränderungen, die zur Steigerung der Muskelmasse oder der Intelligenz führen sollen, fällt die Ablehnung als unethische genetische Optimierung eher leicht.

Welche Entwicklungen erwarten Sie in der nächsten Zeit für das Genome Editing?

Friedrich » Man kann nicht ausschließen, dass irgendwo auf der Welt Alleingänge erfolgen werden. Für unseren Kulturkreis waren die chinesischen Genom-editierten Babys allerdings ein Schockmoment. Es werden sicherlich Maßnahmen ergriffen werden, um solche unverantwortlichen Vorhaben in Zukunft möglichst zu unterbinden. Vor allem sollten wir bei den betroffenen Probanden nicht voreilig falsche Hoffnungen wecken. Wie gesagt, bisher können wir die Konsequenzen einer genetischen Veränderung in der Keimbahn für die nächste Generation nicht umfassend absehen. Für die Genom-editierten Babys in China heißt das, dass ihr eigener Gesundheitszustand und derjenige ihrer Kinder möglicherweise lebenslang überwacht werden muss.



Letzte Änderungen: 29.11.2019