Gentechnikschein-Gefechte

Henrik Müller


Editorial

Bis Anfang 2021 muss jeder Projektleiter in Deutschland seinen Gentechnik-Projektleiterschein erneuern. Schuld daran ist die beschlossene Neuordnung der Gentechnik-Sicherheitsverordnung (GenTSV). Wer sich zu spät darum kümmert, könnte ein böses Erwachen erleben.

Bislang war es eine einmalige Angelegenheit, die Zulassung zur Leitung einer gentechnischen Anlage zu erhalten – eine Anerkennung auf Lebenszeit ähnlich dem Pkw-Führerschein. Das ändert sich jetzt. „Seit 1990 arbeiten wir beanstandungsfrei unter der Gentechnik-Sicherheitsverordnung. Doch ausgerechnet für Arbeiten der Sicherheitsstufe 1, bei denen keine Gefahr für Mensch und Umwelt besteht, hat die Bundesregierung jetzt Verschärfungen angebracht“, erklärt Petra Kauch, eine auf Gentechnik spezialisierte Fachanwältin für Agrar- und Verwaltungsrecht in Lüdinghausen, Nordrhein-Westfalen.

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Die Türen zu Gentechnik-Laboren könnten bald für viele verschlossen bleiben, die heute noch gar nicht daran denken. Foto: Wikimedia Commons / Cygaretka via CC BY-SA 3.0
Stillgelegte Labors drohen

Kauch bezieht sich damit auf die Neuordnung der Gentechnik-Sicherheitsverordnung (GenTSV), wie sie am 1. März 2021 in Kraft treten soll. Von da an schreibt §28 GenTSV allen Projektleitern vor, ihre gentechnische Sachkunde im Fünf-Jahres-Rhythmus unter Beweis zu stellen. Für jeden, der seinen GenTSV‐Schein vor 2016 erworben hat, ergeben sich daher unmittelbare Konsequenzen. Nimmt er nicht binnen der nächsten 18 Monate an einer entsprechenden Fortbildungsveranstaltung teil, könnte der „Laborführerschein“ aberkannt werden. Eine Stilllegung des Labors wäre die Folge.

„Auf einen Schlag ist der Bedarf an verpflichtenden Kursplätzen weitaus größer als es Kurse gibt. Man müsste die Kurskapazitäten verfünf- bis -zehnfachen, um allen gerecht zu werden“, erklärt Rechtsanwältin Kauch.

Editorial

Laut der Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS) existierten 2015 in Deutschland 6.465 gentechnische Anlagen, 4.751 davon als S1‑Labor, 1.714 als S2 bis S4. Eine genaue Angabe dort tätiger Projektleiter ist nicht möglich, da behördliche Statistiken S1-Arbeiten nicht erfassen. Eine konservative Schätzung liefert aber eine Summe im fünfstelligen Bereich. Dem gegenüber stehen wenige Dutzend Anbieter, die hierzulande die zweitägigen GenTSV-Kurse durchführen. Da diese jedoch nur für neue Projektleiter konzipiert sind, veranstalten die meisten Kursanbieter ihre Fortbildungsmaßnahmen halbjährlich mit je zwanzig bis fünfzig Kursplätzen. Die gegenwärtigen Kurskapazitäten decken also ein Fünftel der bis März 2021 notwendigen Plätze ab. Im schlechtesten Fall könnten Hunderte Personen ihrer Verpflichtung zur Nachschulung selbst bei bestem Willen nicht nachkommen.

Was jedoch führte zu der gesetzlichen Verschärfung? Im Juni 2018 verordnete die Bundesregierung, die Sicherheitsmaßnahmen im GenTSV zu aktualisieren. Auslöser waren zum einen die neuen Techniken des Gene Drive sowie der Wunsch nach einer Verbesserung der Abfall- und Abwasserentsorgung. Zum anderen sollte infolge des Bologna-Prozesses geregelt werden, wie Projektleiter ihre Sachkunde nachzuweisen haben.

Bio-Verbände kritisieren Neuordnung

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) erarbeitete daraufhin einen Gesetzentwurf, um wie üblich die Meinung fachwissenschaftlicher Gremien einzuholen. Der damalige §28 Abs. 3 GenTSV besagte, dass Projektleiter bei Vorliegen von Anhaltspunkten für mangelnde Kenntnisse zu einer anerkannten Fortbildungsveranstaltung beordert werden können.

Bereits im Juli 2018 antwortete der Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland e. V. (VBIO), Deutschlands Dachverband für viele biowissenschaftliche Fachgesellschaften mit insgesamt 35.000 Mitgliedern. Er begrüßte die Intention des GenTSV-Entwurfs, dass Projektleiter ihre Sachkunde aktuell halten müssen. Gleichzeitig bemängelte er, dass nicht näher definiert war, ab wann ein Projektleiter sachunkundig wäre. Auch sprach sich der VBIO gegen standardisierte Fortbildungsveranstaltungen anstelle gezielter Nachschulungen aus. In seiner Stellungnahme vom 12.Juli 2018 fasste er zusammen: „Wir sehen keinerlei Notwendigkeit für eine Verschärfung der Maßnahmen im S1- und S2-Bereich.“

Bundesrat beschließt Aktualisierungpflicht für alle

Im Rahmen der Verbändeanhörung bezog neben dem VBIO und der Konferenz Biologischer Fachbereiche auch BIO Deutschland, gleichsam der Branchenverband von Biotechnologieunternehmen wie ­Qiagen, Evotec und Miltenyi, Stellung: „Zu §28 GenTSV: Diese Regelung ist nicht praxistauglich. BIO Deutschland fordert, §28 Abs. 3 GenTSV so zu formulieren, dass nur begründete Anhaltspunkte die Anordnung zur Nachschulung auslösen und bei der Nachschulung die Möglichkeit besteht, diese nur hinsichtlich der Defizite des Projektleiters zu machen.”

Die Bio-Verbände waren sich also einig. Die Bundesregierung schloss sich ihrer Sichtweise an und übernahm die Formulierungsvorschläge von VBIO und BIO Deutschland in die Verordnung, die Angela Merkel im März 2019 zur Zustimmung an den Bundesrat übersandte.

Anders jedoch sah es der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz, der im Mai 2019 zur Vorbereitung der Bundesratssitzung tagte. Die 26 im Ausschuss tätigen Staatsminister, Minister und Senatoren – mehrheitlich Rechts-, Wirtschafts- und Agrarwissenschaftler – hielten die Vorschläge der Bio-Verbände für nicht ausreichend. Sie strichen deren Formulierungsvorschläge und empfahlen dem Bundesrat, jeden Projektleiter seine Sachkunde im Fünf‑Jahres-Rhythmus neu und komplett unter Beweis stellen zu lassen. In anderen Rechtsgebieten, wie beispielsweise dem Strahlenschutz, ist das seit langem übliche Praxis. Die Strahlenschutzverordnung sieht in §48 vor, dass die Fachkunde alle fünf Jahre aktualisiert werden muss.

Der „Schwarze Peter“ liegt in Hessen

Auf Nachfrage teilte eine Sprecherin des BMELs mit: „Der Regierungsentwurf für die GenTSV sah ursprünglich in §28 Abs. 3 vor, dass die zuständige Behörde die erneute Teilnahme des Projektleiters an einer anerkannten Fortbildungsveranstaltung anlassbezogen anordnen kann. Auf Initiative Hessens hat der Bundesrat diese Regelung durch eine Pflicht zur regelmäßigen Aktualisierung der Fortbildung ersetzt.“

Welches waren die hessischen Beweggründe für diese Initiative? Das Land Hessen wird im Ausschuss durch Priska Hinz von Bündnis 90/Die Grünen, Hessische Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vertreten. Die Sitzungen des Ausschusses finden zwar in der Regel nicht auf Minister-, sondern auf Mitarbeiterebene statt, doch sind alle Sitzungsniederschriften der laufenden und letzten Legislaturperioden vertraulich. Gegenüber Laborjournal erläuterte eine Pressesprecherin des Hessischen Landwirtschaftsministeriums aber dennoch:

„Die Vollzugserfahrung in der Vergangenheit hat gezeigt, dass es bei den Projektleitern Wissenslücken in folgenden Bereichen gibt: Rechtsgrundlagen und Verpflichtungen gemäß GenTSV, Aufzeichnungsverordnung, Kriterien zur Einstufung gentechnischer Arbeiten und Umsetzung von Sicherheitsmaßnahmen. Dass es Defizite gibt, war offenbar Konsens. Ansonsten hätte eine Regelung für den Fall, dass ein Projektleiter nicht mehr über die bei der Fortbildung vermittelten Kenntnisse verfügt, von vornherein keinen Eingang in den Entwurf gefunden. Aus Sicht des Vollzugs erschien es uns aber schwierig, im Einzelfall festzulegen, wann die Wissenslücken ausreichend relevant sind, um den Besuch einer Fortbildung anzuordnen; von einer Stigmatisierung betroffener Projektleiter einmal ganz abgesehen. Es erschien uns deshalb zielführender, geeignete Fortbildungsmaßnahmen für alle Projektleiter in angemessenen zeitlichen Intervallen verpflichtend vorzusehen.“

Bundesregierung sieht keine Hindernisse

In seiner Sitzung vom 7. Juni 2019 beschloss der Bundesrat schließlich den vom Ausschuss veränderten GenTSV-Entwurf. Nur die Vertreter von Sachsen und Bayern stimmten dagegen.

In den folgenden Wochen ersuchten die Bio-Verbände das BMEL unabhängig voneinander, die Änderungen nicht in die finale Verordnung zu übernehmen. Eine Pressesprecherin des Bundesministeriums fasste jedoch zusammen:

„Für die Bundesregierung besteht nach Abschluss des Bundesratsverfahrens keine Möglichkeit mehr, einzelne Maßgaben der Verordnung innerhalb des laufenden Rechtsetzungsverfahrens zu verändern. Die Verordnung kann entweder mit den Maßgaben, die der Bundesrat beschlossen hat, verkündet werden. Oder die Verkündung der Verordnung unterbleibt, wenn die Bundesregierung in den Maßgaben des Bundesrates ein Verkündungshindernis sieht. Mit Blick auf die vom Bundesrat eingebrachte Regelung des §28 Abs. 3 GenTSV hat die Bundesregierung ein solches Verkündungshindernis nicht gesehen.“

Falls in dieser Stellungnahme unklar ist, wer mit Bundesregierung gemeint ist: Bei der Übersendung des GenTSV-Entwurfs an den Bundesrat erklärte Angela Merkel im März 2019: „Federführend ist das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL).“

Der beschlossene §28 GenTSV stößt natürlich auf heftige Kritik. „Rechtlich habe ich Bedenken wegen der Rückwirkungspflicht“, offenbart Fachanwältin Kauch. „Natürlich kann man beim Pkw-Führerschein die Klassen ändern, aber doch nicht rückwirkend für diejenigen, die bisher unter den geltenden Bedingungen ihre Eignung erworben haben.“

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Zeichnungen: GoGraph; Text & Montage: Laborjournal

Plötzlicher Kursbedarf kaum zu bewältigen

Neben der Rückwirkungspflicht wird auch die Praxistauglichkeit der Kursinhalte nach §28 GenTSV bemängelt. Carsten Roller, VBIO-Ansprechpartner im Ressort „Ausbildung & Karriere“ erklärt: „Eine solche Fortbildungsveranstaltung dauert mindestens 16 Stunden, und als Referenten müssen Vertreter der Überwachungsbehörde und ein Volljurist beteiligt sein. Außerdem muss zur Anerkennung durch die Überwachungsbehörde ein starres Curriculum eingehalten werden. Für aktuell Wichtiges bleibt da fast keine Zeit. Einen erfahrenen Projektleiter alle fünf Jahre in solch eine Pflichtveranstaltung für Anfänger zu schicken, ist wie einen Tankerkapitän immer wieder den Segelschein machen zu lassen.“

Fachanwältin Kauch, selbst Kursanbieterin mit der AdvoGenConsulT in Nordrhein-Westfalen, bedrückt in diesem Zusammenhang vor allem der Mangel an Kursplätzen: „Natürlich könnten im nachgehenden Vollzug die Länderbehörden die Kapazitätsgrenzen erhöhen. Doch nach unserer Erfahrung ist ein Vorlesungscharakter für GenTSV-­Kurse nicht angemessen. Intensive Frage­möglichkeiten sind in solch praxisbezogenen Kursen entscheidend.“

Das sehen andere Kursanbieter genauso – wie etwa Reinhard Geßner von der BioMedConcept in Berlin, mit knapp dreißigjähriger Erfahrung einer der Pioniere gentechnischer Fortbildungsveranstaltungen: „Der Seminarcharakter des Fortbildungskurses muss gewahrt bleiben. Wir brauchen keine Frontalveranstaltung, sondern ein Seminar, in dem sich fachliche Diskussionen zu den einzelnen Themen ergeben.“

Kursanbieterin Cornelia Kautt vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ergänzt: „Wünschenswert wäre eine lediglich eintägige Veranstaltung mit einem Update über die in §28 GenTSV geforderten Inhalte.“

Auf Nachfrage erwiderte eine Pressesprecherin des BMEL: „Bei dem Auffrischungslehrgang muss es sich nicht um einen ‚standardisierten Einsteigerkurs‘ handeln. Schließlich ermöglicht es die Öffnungsklausel des §28 Abs. 3 GenTSV zu sachgerechten Lösungen im Einzelfall zu gelangen.“

Haben „sachgerechte Lösungen“ eine Chance?

Was mit „sachgerechten Lösungen“ gemeint ist, erklärt Rechtsanwältin Kauch: „In der Öffnungsklausel macht ein Teilnehmer irgendeine Fortbildungsveranstaltung. Den Teilnahmenachweis reicht er im Anschluss bei der Behörde ein. Diese bestätigt die Anerkennung der Aktualisierung, falls sie die Kursinhalte als ausreichend erachtet. Das Risiko ist also vollständig beim Projektleiter.“

Carsten Roller vom VBIO hegt deshalb Zweifel: „Nur nachträglich anerkennungsfähige Fortbildungen, etwa in Form jährlicher Halbtagesveranstaltungen, die sich an etablierte Projektleiter richten und sich lediglich auf neue gesetzliche Vorschriften fokussieren, werden sich wohl kaum gegen die starren, aber im Voraus als rechtssicher anerkannten §28-Kurse durchsetzen.“ Außerdem sorgt er sich um die Behördenvertreter: „Die Öffnungsklausel ist eine Individuallösung. Die Sachkunde muss für jeden Fall einzeln überprüft werden. Wie sollen die Überwachungsbehörden das bei einem Fortbildungsstau von bundesweit voraussichtlich zehntausend Betroffenen bewältigen – und zwar diskontinuierlich alle fünf Jahre?“

Überwachungsbehörden geben sich ahnungslos

Laborjournal hakte beim BMEL nach, wie die Öffnungsklausel konkret und sachgerecht umgesetzt werden soll. Wie sichergestellt werden soll, dass Sachkunde infolge mangelnder Nachschulungsmöglichkeiten nicht aberkannt wird. Und wer für den personellen und finanziellen Mehraufwand der Neuregelung des §28 GenTSV geradesteht. Die BMEL-Pressesprecherin antwortete: „Mit Blick auf die konkreten Fragen zur Anwendung der Norm wird auf die Zuständigkeit der Länder verwiesen. Es wird davon ausgegangen, dass diese sowie weitere Umsetzungsfragen zur GenTSV kurzfristig im Rahmen der Bund‐Länder‐Arbeitsgemeinschaft Gentechnik besprochen und praxisorientiert angegangen werden.“

Den Überwachungsbehörden der Länder liegt derzeit keine Information vor, wie die neuen Vorgaben umgesetzt werden sollen. Nachfragen zu Kursinhalten gemäß neuem §28 GenTSV und zur Bescheidung der Sachkunde sind vergeblich. Alle Betroffenen blicken auf die nächste Sitzung der Bund‐Länder‐Arbeitsgemeinschaft Gentechnik (LAG) am 6. und 7. November 2019 in Magdeburg. Bislang konnte sich die Geschäftsstellenleitung der LAG nicht zu Sitzungsagenda und Teilnehmerliste äußern.

Gentechnik-Projektleiter sollten proaktiv handeln

Bis alle Durchführungsbehörden Auskunft erteilen können, wird Betroffenen noch etwas mehr als ein Jahr bis zum Inkrafttreten der GenTSV-Neuordnung am 1. März 2021 bleiben. Rechtsanwältin Kauch rät deshalb: „Um ihre Fortbildung sicher über die Bühne zu bekommen, sollten Projektleiter proaktiv bei Kursanbietern nachfragen, ob sie in der nächsten Kapazitätsschwelle dabei sein können. Falls einem Projektleiter tatsächlich die Sachkunde aberkannt würde, müsste der Betreiber der gentechnischen Anlage im Wege der Klage die Wirkung des alten GenTSV-Scheins zu erreichen versuchen.“

Eine Reihe von Kursanbietern finden sich unter www.lag-gentechnik.de/Fortbildung.html. Viel Erfolg!



Letzte Änderungen: 29.11.2019