Editorial

Aufnahme läuft

Juliet Merz


FREIBURG: Am Institut für Musikermedizin kümmern sich Ärzte und Therapeuten nicht nur um die ambulante Behandlung der Patienten, sondern erforschen auch die Physiologie des Musizierens. Wie das aussieht, erklärt Leiterin Claudia Spahn – und hat sogar eine digitale Lösung gegen Lampenfieber parat.

Drei Räume, zwei schwarze Klaviere, ein Flügel. Und mitten auf einem der Tasteninstrumente ein handgroßer Plüsch-Pinguin. „Wofür der ist?“, wiederholt Claudia Spahn die Frage. „Vermutlich nur ein Maskottchen.“

Spahn ist Leiterin des Freiburger Instituts für Musikermedizin und kümmert sich zusammen mit ihren Kollegen um Musiker, Schauspieler und andere, deren Stimme eine wichtige Rolle in ihrem Berufsleben spielt. „Wir arbeiten mit Sängern, Instrumentalisten und Schauspielern zusammen, seien es Profis oder Laien“, zählt Spahn auf – und ergänzt: „Aber auch Lehrer, Pfarrer, Journalisten und Politiker gehören zu unseren Patienten.“

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Trällern im MRT: Die Opernsängerin Okka von der Damerau singt im Kernspintomographen die Arie „Weiche, Wotan, weiche!“ (Erda in der vierten Szene) aus der Oper „Das Rheingold“ von Richard Wagner – Stimmlage Mezzosopran. Gut sichtbar ist die bewegliche Zunge. Bilder (3): Herbling Verlag

Vielfältige Behandlung

Die Beschwerden dieser Zielgruppe sind vielfältig. Häufig klagen die Patienten jedoch über Stimmprobleme – beispielsweise eine simple Heiserkeit. Aber auch Stimm- und Sprechtrainings werden am Freiburger Institut durchgeführt. „Zum Beispiel testen wir die Belastbarkeit der Stimme von Lehrern, um zu überprüfen, ob diese vor einer Schulklasse nicht versagt“, erzählt Spahn und deutet auf ein großes Mikrofon, das an einen Computer angeschlossen ist. Dazu sprechen die Probanden mit lauter Stimme wie in einem Klassenzimmer in den Apparat. Die Auswertung der Tonaufnahme zeigt dann, ob und wann die Stimme überlastet ist und wie gut sie die Situation verkraftet. Letztlich zeigt ein solcher Test also, wie „gesund“ die Stimme ist.

Doch die Stimme ist nicht alles. Professio­nelle Instrumentalisten leiden ebenso häufig unter Überlastungsstörungen der oberen Extremitäten. Dazu zählen Entzündungen der Sehnen in Finger, Hand und Schulter, muskuläre Beschwerden oder Koordinationsschwierigkeiten beim Spielen. „Während der Behandlung spielen die Patienten auf ihren mitgebrachten Instrumenten – auch wenn sie sperrig sind wie beispielsweise bei Harfenisten“, so Spahn. Für Pianisten stünden zudem diverse Klaviere zur Verfügung. Während des Spielens können Spahn und ihre Kollegen live mitverfolgen, bei welchen Bewegungen Schmerzen oder Probleme auftreten oder welcher Haltungsfehler dafür verantwortlich ist.

Neben der ambulanten Behandlung widmen sich Spahn und ihr Team auch der Erforschung von physiologischen Vorgängen während des Musizierens. Anstoß für eine erste Versuchsreihe vor über zehn Jahren war der Freiburger Horn-Professor Bruno Schneider mit seiner Bitte, er möchte endlich wissen, was beim Spielen innerhalb des Körpers passiert – er sehe ja nie was. Recht hatte Schneider: Denn im Gegensatz zu etwa Streichern oder Pianisten, die regelmäßig die Handhabung ihrer Instrumente bei Profis beobachten und nachahmen können, zählen bei Blasinstrumentalisten weitgehend innere Vorgänge, die sie sich leider bei niemandem abschauen können.

Im Inneren verborgen

Um den verborgenen Techniken im Inneren des Spielers auf den Grund zu gehen, kooperierten Spahn und ihre Kollegen mit Medizinphysikern der Universitätsklinik Freiburg – und verfrachteten kurzerhand Bläserexperten unterschiedlicher Instrumente in einen Kernspintomographen. Die Ergebnisse fasste die Gruppe 2013 auf einer DVD zusammen („Blasinstrumentenspiel“, ISBN 978-3-86227-089-7). Aber nicht nur mittels Kernspintomographie zeigten Spahn et al. damals, was in Brustraum, Rachen und Mund beim Spielen abläuft: Mit einem durch die Nase eingeführten Endoskop beobachteten sie die Bewegungen der Stimmlippen der Musiker während des Musizierens.

Die entstandenen Video-Clips von Profi­Musikern sollen die entsprechenden Vorgänge in erster Linie nur darstellen. „Die Aufnahmen sind nicht zur simplen Nachahmung gedacht à la ‚So sollst Du es machen’“, stellt Spahn klar. Dennoch können Bläser von den Aufnahmen etwas mitnehmen – auch wenn viele Prozesse, wie etwa die Bewegung des Zwerchfells, eher unbewusst ablaufen. „Die Aufnahmen können den Musikern helfen, sich die Abläufe im Körper bildlich besser vorzustellen“, so Spahn. Und das könne dann in Einklang mit der Physiologie gebracht werden und das Musizieren durchaus verbessern. „Wenn Sie als Bläser genau beobachten, wie Ihre Zwerchfellbewegungen während des Spielens ablaufen, so kann das einen positiven Effekt auf ­Ihre Atmung haben“, nennt Spahn ein Beispiel.

Ausgehend von den ersten Untersuchungen ging die Freiburger Gruppe noch einen Schritt weiter: Mit Unterstützung des Deutschen Chorverbands und des Bundesverbands Deutscher Gesangspädagogen erstellten sie eine umfangreiche DVD zur Stimme. Hierfür durften sich auch Sänger und Sprecher in die Röhre legen. Beobachtet wurden wiederum Brustraum, Kehlkopf und Vokaltrakt sowohl mit Kernspintomographie als auch dem Endoskop.

Während der Aufnahmen konnten sich die Probanden austoben: Neben alltäglichem und künstlerischem Sprechen nahmen die Musikermediziner auch die physiologischen Vorgänge bei unterschiedlichen Gesangsstilen wie Klassik, Volkslieder, Rock-, Pop- und Musicalgesang sowie Rap und Jodeln auf Video auf. Letztes Jahr erschien dann die zweite DVD mit den Ergebnissen („Stimme“, ISBN 978-3-86227-258-7). Spahns Favorit ist das rhythmische Beatboxing. „Die Zunge ist ein riesiges Organ und unglaublich beweglich“, berichtet sie fasziniert. Das konnten die Forscher bei allen Übungen beobachten – sogar beim Lachen, Weinen und beim Sprechen unter Lampenfieber.

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Musikermedizinerin Claudia Spahn Foto: Uniklinik Freiburg
Auftrittsangst

Apropos Lampenfieber. Auch wer unter psychologischen Belastungen leidet, ist am Institut für Musikermedizin gut aufgehoben. Denn Spahns Steckenpferd sind die Auftritts­ängste. So gibt sie Tipps, wie sich der Patient auf eine solche Stresssituation vorbereiten kann, Panikattacken vermeidet und kurz vor einem Auftritt mit dem Druck besser klarkommt. Als Übungsrequisit steht in einem der Räume ein circa ein Quadratmeter großes Bühnenpodest zur Verfügung. „Hier können wir den Auftritt simulieren und auch an der Körpersprache und -haltung arbeiten“, meint Spahn – und stellt klar: „Lampenfieber muss aber nicht zwangsläufig etwas Negatives sein.“ So gehöre die Aufregung, kurz bevor man die Bühne betritt, eben dazu und könne auch motivierend sowie euphorisierend wirken.

Dennoch ist sie für viele eine Qual. Ein Grund, weshalb die Musikermedizinerin an einer digitalen Lösung für diese Nervosität vor Auftritten arbeitet. Speziell für Jugendliche hat die Freiburgerin in Zusammenarbeit mit einem Kollegen eine App entwickelt, mit der die Benutzer ihre eigenen Auftritte bewerten beziehungsweise auswerten können. „App-Besitzer können unterschiedliche Parameter eintragen – zum Beispiel wie stark die Aufregung vor, während und nach einer Aufführung ist“, erklärt Spahn. Im Anschluss erhalten die Anwender eine Rückmeldung von der App, die darstellt, wie die Aufführung gelaufen ist – und die sie dann mit dem nächsten Auftritt vergleichen können. Das ermöglicht den Anwendern eine persönliche Evaluierung der eigenen Performance.

Momentan befindet sich die App noch in der Testphase; weitere Forschungsgelder sind aber schon beantragt. Wann die Software zum Download verfügbar sein wird, das kann Spahn noch nicht verraten. Und wie soll die App dann heißen? „Ganz simpel: Auftritts-App“, antwortet Spahn und lacht. „Oder haben Sie eine bessere Idee?"



Letzte Änderungen: 10.10.2019